Auszug
Die Ausnahmestellung des Gemeinwohls als überzeitlicher und transkultureller „Leitbegriff politischen Handelns“70 ist untrennbar verbunden mit dem für alle unterschiedlichen Regimeformen gleichermaßen bedeutsamen politischen Grundproblem der Herrschaftsbegründung. In einer Alleinherrschaft — um hier nur den idealtypischen Kontrast zwischen Allein- und Volksherrschaft zu bemühen – ist die Orientierung des Herrschers am Wohl der Allgemeinheit die einzige Versicherung der Beherrschten gegen Willkür. Das Gemeinwohl soll mithin einer Herrschaftslimitation dienen, die sich einer sozial-moralischen Qualität des Herrschers verdankt: seiner insoweit freiwilligen Herrschaftsbeschränkung, als nicht zu ihr gezwungen werden kann, sondern auf seine entsprechenden Intentionen vertraut werden muß. Denn nicht nur fehlen dem Volk die physischen Machtmittel – es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß der Herrscher das Gemeinwohlideal umgekehrt mißbräuchlich zu seiner Herrschaftslegitimation instrumentalisiert.71 Dies wiederum ist auch für Alleinherrscher eine Versuchung, weil hierdurch möglichem Widerstandspotential in der Bevölkerung entgegengewirkt werden kann und also die solchermaßen auch für Monokratien interessante soziale Kohäsion befördert werden kann.
Peter Hibst: Gemeiner Nutzen. Begriffsgeschichtliche Untersuchungen zur politischen Theorie vom 5. vorchristlichen bis zum 15. nachchristlichen Jahrhundert, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XXXIII, 1990, S. 60–95, S. 63.
Hieran dachte offenbar Leo Tolstoi bei seinem Hinweis, „seit die Welt steht und die Menschen einander umbringen“, habe „niemals ein Mensch eine Untat an seinesgleichen verübt, ohne sich dieses Gedankens zu seiner Beruhigung zu bedienen. Dieser Gedanke ist le bien public, das angebliche Wohl aller anderen Menschen. Im Zustande ruhiger Leidenschaftslosigkeit kennt kein Mensch dieses Gemeinwohl; ein Mensch, der ein Verbrechen begeht, weiß aber immer mit aller Bestimmtheit, worin dieses Gemeinwohl besteht.“ Leo Tolstoi: Krieg und Frieden, Bd. 2, Berlin (Ost) 1971, S. 383.
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(2006). Intentionen und Institutionen: Sozial-moralische Qualitäten als politisches Problem. In: Moralkommunikation der Macht. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90525-9_2
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