Antisystemeinstellungen: Widerstand gegen die bestehende Ordnung im post-kommunistischen Europa

Auszug

Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regimes in Mittel-, Südost- und Osteuropa hat sich in den Sozialwissenschaften ein eigenes Forschungsprogramm herausgebildet, welches die Bedingungen und Konsequenzen des Systemwechsels, des Übergangs zu Demokratie und Marktwirtschaft und deren Konsolidierung zu ihrem Gegenstand gemacht hat¹. Im Hinblick auf die Etablierung des politischen Wettbewerbs erhielt auch die Frage nach der Ausgestaltung des soziokulturellen Unterbaus der Demokratie eine gewisse Aufmerksamkeit². Wie Merkel ausführt, „benötigt das politische System einen input an aktiver und passiver Massenloyalität. Diese Unterstützungsleistungen der Bürger (Support) sind unverzichtbare Ressourcen, die das politische System benötigt, um die aus der ‘Umwelt’ kommenden Forderungen (Demands) in politische Entscheidungen umzuwandeln und zu implementieren (Output)“ (Merkel 1999: 58; vgl. auch die Idee des Democratic Deepening bei Diamond 1999: 74–76). Zur Einschätzung der Unterstützungsleistungen scheint es bedeutsam, die Unterscheidung Easton zwischen einer generalisierten, diffusen Unterstützung und einer kurzfristigen, spezifischen Unterstützung zu bedenken (Easton 1975 1979; Fuchs 1989). Folgt man den Überlegungen von Fuchs und Roller, politische Einstellungen in Anlehnung an Parsons nach dem Grad ihrer Abstraktion in Einstellungen zu normativen Prinzipien, zur implementierten Strukturebene und Performanzebene zu unterteilen (Fuchs/Roller 1998: 38–45), bezieht sich das Konzept der diffusen Unterstützung auf die implementierte Strukturebene und die Ebene normativer Prinzipien (Easton unterscheidet nicht zwischen den beiden Ebenen), spezifische Unterstützung dagegen auf die Performanzebene.

Eine Übersicht über die Annahmen System- und modernisierungstheoretischer (Parsons 1996; Lipset 1959 1966 1994), strukturtheoretischer (Moore 1966; Rueschemeyer et al. 1992), institutionentheoretischer (Elster u.a. 1998; Liebert 1995; Kitschelt 1992), kulturtheoretischer (Putnam 1993; Huntington 1993 1996; Inglehart 1997; Plasser et al. 1997) und akteurstheoretischer Ansätze zum Systemwechsel (u.a. Bermeo 1990; Karl 1990; Linz 1990; Karl/Schmitter 1991; Przeworski 1991; Higley/Gunther 1992; Valenzuela 1992; Diamond 1993 1994 1999; Linz/Stepan 1996a 1996b) findet sich bei Merkel (1994; 1999: 77–110). Waldrauch (1994) fasst die theoretischen Erklärungsansätze in Anlehnung an Kitschelt (1992b) unter den Oberbegriffen „struktur-orientierte“ und „prozeß- und akteursorientierte“ Ansätze zusammen (vgl. dazu auch Shin 1994: 138–141). Erstere gehen davon aus, dass „politisches Handeln eine abhängige Variable sozioökonomischer Bedingungen“ sei und strukturelle Vorbedingungen den Systemwechsel weitgehend determinieren (Waldrauch 1994: 434). Letztere gehen davon aus, dass strukturelle Vorbedingungen nur den Rahmen für einen Systemwechsel bilden. Sie bremsen oder begünstigen den Systemwechsel, „sie sind keine objektiven Vorgaben, sondern unterliegen der Wahrnehmung und Bewertung politischer Akteure“ (Waldrauch 1994: 436).

Seit Mitte der 90er Jahre wurde eine Anzahl von Beiträgen vorgelegt, welche die politische Kultur in verschiedenen Transformationsländern thematisieren, z.B. Gibson u.a. (1992 1993), Plasser u.a. (1997), Diamond (1999), Miller u.a. (1995), Reisinger (1998), Rose u.a. (1998), Whitefield/Evans (1999).