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Fallstudien: Die Formung des Selbst in der Waldorfschule

  • Chapter
Waldorfschule und Schülerbiographie
  • 1193 Accesses

Auszug

Nachdem der konzeptionelle Rahmen dieser Studie entfaltet worden ist, enthält dieses Kapitel nun die Fallstudien zu den drei Eckfällen des Samples. Die beiden ersten Fallstudien, jene von Max und Franziska, werden in hohem Auflösungsgrad dargestellt, welcher den intersubjektiven Nachvollzug der Rekonstruktionslinien und -befunde sicherstellen soll. Die dritte Fallstudie, jene von Carolin, wurde für die vorliegende Dissertation zu einem abgekürzten Fallporträt verdichtet. Es wurde auf die Darstellung der zweiten Zeugnisrekonstruktion ebenso verzichtet wie auf eine umfassende strukturelle Beschreibung des narrativ-biographischen Interviews.45 Vorab sollen die Transkriptionsregeln offen gelegt werden: Die Interviews wurden möglichst lautgetreu verschriftlicht, wobei das Transkript linguistischen Anforderungen nicht standhält. Weder die Tonmelodie noch das Sprechtempo, außer bei extremen Auffälligkeiten, wurden festgehalten. Auch sind parasprachliche Erscheinungen nur im Falle besonderer Auffälligkeiten verzeichnet. Entsprechende Charakteristika sind in Klammern hinter den entsprechenden Passagen oder dem Wort vermerkt, z.B. (lachend); wenn kein Hinweis auf die Länge der Passage erfolgt, bezieht sich die Anmerkung immer auf das zuletzt gesprochene Wort.

Dem Fallporträt liegt beides zugrunde.

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Literatur

  1. Im Anschluss an die hippokratische und später galenische Charakterlehre unterscheidet Steiner vier Idealtypen des menschlichen Charakters: Melancholiker, Phlegmatiker, Sanguiniker und Choleriker. Der Lehrer hat in den ersten Wochen der Begegnung mit den Schülern diese entsprechend der Idealtypen zu kategorisieren und die Sitzordnung im Klassenzimmer nach Temperamenten vorzunehmen (Schüler des gleichen Temperaments sollen beieinander gesetzt werden; vom Lehrer aus gesehen: Phlegmatiker links, Melanchcholiker und Sanguiniker innen, Choleriker rechts). Der Lehrer, „der durch konsequente (...) Selbsterziehung eine gesteigerte Harmonie der Temperamente in sich selber hergestellt hat“, soll seine pädagogische Einflussnahme an den Temperamenten orientieren, wobei Steiner dafür plädiert, „die im Kinde vorhandene Temperamentsneigung kräftig und in bewusster Differenzierung anzusprechen und nicht etwa künstlich auszugleichen“ (Ullrich 1991, S. 156 u. 153). Ziel der Temperamentserziehung ist die Harmonisierung des Charakters. Für das Verständnis der lehrerseitigen Kategorisierung des vorliegenden Falles ist nun bedeutsam, dass nach Steiner das cholerische Temperament unter Kindern eher die Ausnahme ist (Kinder sind vor allem Sanguiniker). Cholerische Kinder zeichnen sich durch die Neigung aus, ihren Willen durch Toben zu bekunden, sie lieben die Gefahr, in ihnen waltet der Astralleib vor (weiterführend hierzu: Barz 1996, S. 72ff, Ullrich 1991, S. 145ff).

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  2. Steiner nimmt in seiner Adaption der Karmalehre an, dass der Geist des Menschen durch Wiedergeburt sich aus dem Jenseits immer wieder auf der Erde reinkarniert. Der Mensch muss in seiner Biographie seinen karmischen Konstitutionszusammenhang ergründen und ihn in seiner Lebensführung berücksichtigen. Der Mensch ist so gesehen „weder die Wiederholung irgendeines Ahnen noch eine Neuschöpfung (...), sondern die Wiederholung seiner selbst“ (Baumann 1998, S. 281; vgl. weiterführend und kritisch Ullrich 1991, S.93ff.).

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  3. Hoffmann-Riem hat in ihrer biographieanalytischen Arbeit zu Adoptivfamilien auf „die übermächtige Bedeutung der unbekannten Vergangenheit für die gegenwärtige Identitätsfindung“ von Adoptierten hingewiesen. „Die nach dem Wiedersehen [der leiblichen Mutter bzw. des Milieus der biologischen Herkunftsfamilie] abklingende Spannung bringt hingegen zum Ausdruck, wie die bekannte Vergangenheit aufgrund ihrer Orientierungskraft die gegenwärtige biographische Selbstverortung ermöglicht und in Zukunft als Aufmerksamkeitsschwerpunkt nur noch von abgeschwächter Bedeutung ist“ (Hoffmann-Riem 1984, S. 285).

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  4. Wenn hier von Autonomie gesprochen wird, so sind damit letztlich immer Maxens eigentheoretische Konstruktionen dieses Begriffs bzw. sein autonomieorientiertes lebenspraktisches Handeln grundlegend. Im Vergleich zum Autonomiebegriff der idealistischen Philosophie in der Tradition Kants und Hegels o-der zum sozialwissenschaftlichen Begriff der praktischen Vernunft einer autonomen Lebenspraxis (vgl. Oevermann 1995) basiert Maxens Automomiekonstrukt auf einem schwachen, reduzierten Autonomiebegriff. In seinem Verständnis und seiner Fallstruktur meint Autonomie das unbedingte Primat der Verfolgung eigener Interessen und Bedürfnisse. Inwiefern seine Handlungen den Bedingungen praktischer Vernünftigkeit genügen, also Ergebnis reflektierter lebenspraktischer Entscheidungen aus dem Spektrum biographischer Optionen sind, muss im Durchgang der Biographie und in deren analytischer Abstraktion geklärt werden.

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  5. Vor dem Hintergrund von Steiners sozialrevolutionärem Programm einer „Dreigliederung des sozialen Organismus“ in die Sphären der Kultur, der politischen Gemeinschaft und des wirtschaftlichen Lebens o-rientiert sich die Schule als der Kultur zugehörige Einrichtung am Grundsatz der Freiheit und ist von der Ansprüchlichkeit der beiden anderen Sphären befreit (vgl. Steiner GA 3; Leber 1989; Koerner-Wellershaus 1993). Nur in diesem Rahmen radikaler schulischer Selbstverantwortung kann, so Steiner, der Schüler seine eigene Geisteserfahrung machen.

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  6. In diesem elementaren Übergang zwischen Familie und Schule lernt das kindliche Selbst, sich in den Rahmen der schulischen Bewährungsdynamiken einzupassen, indem es seine Aufmerksamkeit den schulischen Erwartungsstrukturen zuwendet. Dazu muss es sich partiell aus der gewohnten familial-kindlichen Lebenswelt herauslösen. Sozialisationstheoretisch gesehen liegen einerseits Risiken in diesem Übergang, insofern das im familialen Raum gefestigte Selbst diesen nun transzendieren muss, indem es die Grundqualifikationen der Schülerrolle erwirbt. Die erfolgreiche Einsozialisation ist dabei aber gleichzeitig mit der Chance verbunden, den Individuationsprozess über die Beschränkungen des familialen Binnenraums hinaus weiter zu treiben (vgl. Combe/ Helsper 1994, S. 108f).

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  7. Gleichwohl ist grundsätzlich von einem spannungsvollen Differenzverhältnis zwischen Familie und Schule auszugehen (Kramer/ Helsper 2000). Gerade eine Verkennung der Differenzen beider Sphären, sei es durch Überanpassung an die Schule oder durch distanzierte Entthematisierung, birgt die Gefahr von für die schulbiographische Entwicklung problematischen Bezügen.

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  8. „Indem das Kind den ‚Rubikon’ überschreitet, gibt es seine eher animistische Weltauffassung zugunsten einer eher realistischen auf und entwickelt daher ein stärkeres sachliches Interesse an seiner Umgebung“ (Ullrich 1991, S. 106).

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  9. Den Melancholiker zeichnet gemäß der anthroposophischen Temperamentenlehre niedrige innere Erregbarkeit und starke Rückwirkung aus. Beim melancholischen Kind dominiert das Ich, das einen zu starken Vorstoß in das Organische gemacht hat (vgl. Ullrich 1991, S. 148). „Erlebnisse und Begegnungen wirken lange bei ihm [dem melancholischen Kind], und er kann noch am Abend über etwas weinen, das ihm am Vormittag begegnet ist. Als Schüler und Jugendlicher fühlt er sich oft unverstanden und unerkannt. Er selbst nimmt lebhaften Anteil an allem tragischen Geschehen und leidet besonders in einer Umgebung, die von Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit geprägt ist“ (Goebel/Glöckler 1984, S. 520).

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  10. Subjektiv motiviert ist diese Hervorhebung der kindlichen Freundschaftsdyade mit großer Wahrschein-lichkeit wieder durch den anthroposophischen Blick des Lehrers auf die Temperamentskonstitution, denn insbesondere Melancholiker „... sind besonders darauf angewiesen, einen Freund zu finden, dem sie sich anvertrauen können und der sie versteht“ (Goebel/ Glöckler 2001, S. 522).

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© 2007 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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(2007). Fallstudien: Die Formung des Selbst in der Waldorfschule. In: Waldorfschule und Schülerbiographie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90406-1_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-90406-1_5

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-14725-3

  • Online ISBN: 978-3-531-90406-1

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

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