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Unter Männern. Kollektive Orientierungen und existentielle Hintergründe

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Auszug

Die in der Männerverstandigungsliteratur und in sonstigen äffentlichen Selbst- thematisierungen betriebene Diskursivierung von Männlichkeit läßt das frag- los Gegebene zum Fragwürdigen werden, auch dann, wenn jenes auf diesem Wege wiederhergestellt werden soil. Nun sollte die Beschäftigung mit sol- chen Indikatoren einer ‚Krise der Männlichkeit‘ nicht dazu verleiten zu ver- kennen, daß neben diskursiv vorgenommenen Positionsbestimmungen immer noch das Muster einer indexikal vollzogenen Verortung im Beziehungsge- flecht der Geschlechter Bestand hat, Formen einer in fragloser Gültigkeit ge- lebten Männlichkeit, wie sie im theoretischen Teil der Arbeit mit dem Begriff des geschlechtlichen Habitus konzipiert worden ist. Diese Männlichkeit läßt sich nicht irgendwo zwischen Profeminismus und Maskulinismus, zwischen Gleichheits- und Differenzbestimmungen verorten, schon gar nicht in der Mit- te. Sie liegt völlig außerhalb solcher Kontinuen. Auch wenn nur die ‚Fraktion‘ der bewegten Männer für sich das Etikett ‚neuer Mann‘ reklamiert, steht in einer wissenssoziologischen Perspektive die gesamte Männerverständigungs- literatur für neue Männlichkeiten und reflektieren alle Teildiskurse - in je ei- gener Weise - deren Dilemmata.

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Literatur

  1. Der Begriff des Männerbundes hat in den deutschen Sozialwissenschaften eine nicht unbelastete Tradition. Zu Beginn des Jahrhunderts ein populäres Thema in der soziologischen Diskussion, war der Begriff nach der bündisch organisierten NS-Diktatur diskreditiert (vgl. König 1990; Reulecke 1990). Angesichts der Ubiquität der Organisationsform Männerbund (vgl. Schweizer 1990) scheint eine erneute, von völkischen und männlich-chauvinistischen Untertönen befreite Diskussion über Männerbünde als Quelle und Stütze männlicher Hegemonie auf der Tagesordnung zu stehen (vgl. Völger/Welck 1990).

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  2. Eine ähnliche Beobachtung notiert Spence (1985). In einer Studie, in der die Untersuchungspersonen angeben sollten, was ihrer Ansicht nach die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit ist, bestritten viele, daß die gängigen Geschlechterstereotype von Bedeutung seien für ‘wirkliche’ Männlichkeit und Weiblichkeit. Im weiteren Verlauf des Interviews benutzten dieselben Befragten die zuvor kritisierten stereotypen Begriffe aber in selbstverständlicher Manier, um sich und andere zu beschreiben.

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  3. Obwohl Mannheim den Begriff des Habitus nur beiläufig verwendet, ohne ihn systematisch zu entfalten, lassen sich Gemeinsamkeiten mit dem Bourdieuschen Verständnis des Begriffs konstatieren (vgl. Meuser 1999b, 2001b). Beide, Mannheim wie Bourdieu, beziehen sich auf Arbeiten des Kunsthistorikers Erwin Panofsky. Mannheim (1970, S. 122f, 128) verdeutlicht anhand von Panofskys Begriff des „Kunstwollens“ sein Konzept des dokumentarischen Sinngehalts. Bourdieu (1970, S. 127ff.) übernimmt den Begriff des Habitus von Panofsky, der damit, so Bourdieu, den „modus operandi“ einer kulturellen Epoche bezeichnet. Dieser sorge dafür, daß z.B. „die Gedanken des Theologen und die Bauformen des Architekten“ des 13. Jahrhunderts einem homologen Muster folgen (S. 143f).

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  4. Zur technischen Seite der Verfahrensschritte vgl. Bohnsack 1991. In zwei breit angelegten Untersuchungen zu kollektiven Orientierungen von Jugendlichen hat Bohnsack das Verfahren zur Auswertung von Gruppendiskussionen eingesetzt (vgl. Bohnsack 1989; Bohnsack u.a. 1995).

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  5. Auf die methodologische Problematik einer am Prinzip der Betroffenheit oder auch der Empathie mit den Beforschten orientierten Forschung hat Wohlrab-Sahr (1993) in einer Diskussion der methodischen Postulate der Frauenforschung hingewiesen. Vgl. auch Behnke/Meuser 1999.

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  6. Der weiteren dürfte sich hier der Klassenhabitus geltend machen. Der tägliche Kneipenbesuch der Arbeiter ist vermutlich ein Beispiel dafür, daß, wie Bourdieu (1997c, S. 225) betont, „immer gesellschaftlich und geschlechtlich konstruierte Habitus“ ihre Wirkung entfalten.

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  7. Dieser Aspekt wird unten ausführlich behandelt werden (s. Kap. 7.7). Vgl. auch Dröge/ Krämer-Badoni 1987, S. 264

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  8. Berger, Berger und Kellner (1987, S. 71) beschreiben diesen Zustand folgendermaßen: „Wenn man in einer integrierten und intakten Welt lebt, kann man mit einem Minimum an Reflexionen auskommen. In solchen Fällen werden die Grundvoraussetzungen der sozialen Welt für selbstverständlich genommen und bleiben das in der Regel auch innerhalb des Lebenslaufes des einzelnen, jedenfalls der ‘normalen’ Individuen“. Aufforderungen zur Reflexion werden, wie wir noch sehen werden, nicht selten als Zumutung empfunden.

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  9. Auf die gleiche Frage gibt ein Mann aus dem gleichen sozialen Milieu (ein Jurist) in einer Untersuchung von Hochschild (1993, S. 145) eine ähnliche Antwort. „Mit der Frage, was es für ihn bedeute, ‘ein Mann zu sein’, oder was er sich unter ‘Männlichkeit’ vorstelle, konnte er wenig anfangen. ‘Menschen sind Menschen’, war sein einziger Kommentar, ‘mehr kann ich dazu nicht sagen.’“ Offensichtlich gibt es bestimmte homologe Muster auch über nationale Grenzen hinweg.

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  10. Zur Funktion von accounts im Zuge der interaktiven Konstruktion von Wirklichkeit vgl. Heritage 1987.

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  11. Diese wenigen Kolleginnen erhalten den Status von „token“ (Kanter 1987); sie verschaffen den Männern die Gelegenheit, den eigenen Hegemonieanspruch ‘auf nette Art’ zu bekräftigen (s. auch Kap. 2.2). Die männlichen Kollegen, so berichtet ein Facharbeiter, „sind dann natürlich auch besonders nett“, nutzen die Situation aber auch, wie ein anderer zu berichten weiß, um „zu zeigen, daß man mehr in den Muskeln hat“.

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  12. Zur prosozialen Dimension männlicher Hegemonie vgl. auch Goffrnan 1994c (s. Kap. 2.2).

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  13. Bei Bourdieu (1997b, S. 187) heißt es: „(S)o sind auch die Männer Gefangene und auf versteckte Weise Opfer der herrschenden Vorstellung, die gleichwohl so perfekt ihren Interessen entspricht“.

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  14. Der Begriff der „institutionalisierten Dauerreflexion“ ist von Schelsky (1965; zuerst 1957) vor ca. 50 Jahren in einer religionssoziologischen Arbeit geprägt worden, um Entwicklungen religiöser Kommunikation in der Moderne zu analysieren: von einer „unreflektierten Anerkennung kultureller Selbstverständlichkeiten“ (S. 256) in der vorindustriellen Gesellschaft zur „Gesprächspartnerschaft“ (S. 286). Doch ist dieses Phänomen nicht auf den kirchlichen Bereich begrenzt. Schelsky selbst bemerkt, die „Institutionalisierung der Dauerreflexion“ sei „eine Grundlage der modernen Sozialstruktur schlechthin“ (S. 263).

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  15. Der Rückgriff auf psychologische Theorien ist freilich keine Besonderheit von Männergruppen, sondern im Selbsthilfesektor weit verbreitet. Insofern lassen sich Männergruppen als eine weitere Ausprägung einer „versozialwissenschaftlichen Identitätsformation“ (Oevermann 1985) begreifen.

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  16. Zur Frage, in welcher Hinsicht ‘Biographie’ als ein „modernes Deutungsmuster“ gelten kann vgl. Alheit/ Dausien 1992.

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  17. Zur Einschätzung des Veränderungspotentials von Männergruppen vgl. Behnke/ Loos/ Meuser 1995

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  18. Vgl. auch Connell (1995, S. 93): „Recent discussion of change in masculinity has focused on middle-class Professional men. In much of this discussion working-class or ‘blue-collar’ men are presumed to be conservative in sexual politics, if not reactionary“.

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  19. Amerikanische Studien zu einer ganz anderen Paarkonstellation in einem ganz anderen sozialen Milieu, zu sog. dual career couples — das sind Paare, in denen Frau und Mann eine professionelle Karriere verfolgen — zeigen, daß egalitäre Beziehungsarrangements nicht auf das Arbeitermilieu beschränkt sind, daß die Tendenz zu einer Gleichverteilung der im Haushalt anfallenden Arbeiten aber auch bei den Karrierepaaren weniger ein Ergebnis intentionaler Bemühungen als unbeabsichtigte Folge der Vereinigung zweier Karrieren unter dem Dach einer Ehe ist. Geschlechterpolitische Absichten scheinen nicht im Spiel zu sein. „Far from being the avant-garde of a social movement, with an articulate vision of what they want to create, these couples are notable for their lack of ideological prescriptions about the equality of marital roles. Instead, combining two equally demanding (and rewarding) careers, they simply practice such equality.“ (Hertz 1986, S. 33)

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  20. Hierbei beschränke ich mich auf einige wenige zentrale Punkte. Zur Rekonstruktion der männlichen Konstruktion der Frau vgl. auch Behnke 1997.

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  21. Eine freudvolle Akzeptanz der auferlegten Pflichten kennzeichnet auch ein anderes Deutungsmuster, das zum Grundinventar der bürgerlichen Konstruktion der Frau gehört: das der „Mutterliebe“. Noch in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts postulierten bekannte und einflußreiche Psychologen wie Bowlby und Winnicott, daß die Mutter „aus der Hingebung an das Kind persönliche Bereicherung und Freude zu gewinnen hat.... Die Mutter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann ihre Pflichten bis zur Erschöpfung ausüben, trotzdem macht sie sich schuldig, wenn das Gefühl persönlicher Bereicherung ausbleibt oder gar unbewußte negative Empfindungen existieren“ (Schütze 1992, S. 45).

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  22. Koppetsch und Burkart (1999) zeigen in einem Milieuvergleich eindrücklich, dass im individualisierten intellektuell-akademischen Milieu einerseits Egalität als normative Orientierung für beide Partner einen hohen Stellenwert hat. Anderseits ist dieser hohe Stellenwert dafür verantwortlich, dass reale Ungleichheiten der geschlechtlichen Arbeitsteilung systematisch verkannt werden. Die strategische Bedeutung, die dem Egalitätsideal als ideelle Basis der Partnerschaft zukommt, hat zur Folge, dass die reale Ungleichheit einzugestehen die Partnerschaft gefährden würde.

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  23. Ein ‘Beziehungsdauerdiskurs’ scheint die Partnerschaft zu bestimmen. Für Beck und Beck-Gernsheim (1990, S. 122) ist dies ein Kennzeichen einer modernen Beziehung: „Jetzt bedarf es eines ständigen Dialogs, um die gemeinsame Sache herzustellen und zu erhalten, sprich: den Freiraum der Privatheit mit übereinstimmenden Definitionen von Liebe, Ehe, Partnerschaft zu füllen. Das kostet endlose Anstrengungen, viel Zeit, Nerven, Geduld, kurzum das, was in der neueren Diskussion unter dem Stichwort ‘Beziehungsarbeit’ bekannt ist“. Wie oben (Kap. 7.4) deutlich geworden ist, machen sich in einer solchen Beziehungsform aber auch die Ambivalenzen der Moderne geltend.

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  24. Seifert (1992) hat den Männerbund Militär unter dieser Perspektive analysiert. Die Interpretation der Gruppendiskussionen zeigt, daß es sich um ein generelles Merkmal homosozialer Männergemeinschaften handelt.

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  25. Vor dem Hintergrund des vorliegenden empirischen Materials und zum Zwecke der kontrastiven Gegenüberstellung kann hier ein grob umrissener Milieubegriff zugrunde gelegt werden. Eine Feindifferenzierung wie bei Hradil (1987b) oder bei Schulze (1995) ist nicht notwendig, könnte durch die Daten auch nicht eingelöst werden. Ich unterscheide ein bürgerliches von einem Arbeitermilieu; bei jenem noch einmal — den Kapitalbegriff von Bourdieu (1983) aufnehmend — zwischen bürgerlichen Männern, deren Milieuzugehörigkeit im wesentlichen auf dem Besitz ökonomischen Kapitals gründet, und solchen Männern, die über ein hohes kulturelles Kapital verfugen. Damit sind — im Rahmen der Frage nach der sinngenetischen Bedeutung konjunktiver Erfahrungsräume — die entscheidenden Differenzen erfaßt.

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  26. In ähnlicher Weise gehen Frerichs und Steinrücke (1997, S. 39), die ebenfalls auf das Habitus-Konzept rekurrieren, davon aus, daß „verschiedene Strukturierungen (qua Herkunft, Klasse, Geschlecht, potentiell aber auch qua Ethnie oder Region oder Generation) inkorporiert sind und sich amalgamieren, wobei es zusätzlich je nach Situation einer noch genaueren Situationsanalyse bedürfte, um jeweilige Dominanzen feststellen und unterscheiden zu können“.

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  27. Vgl. hierzu ausführlich Behnke 1997; Loos 1999.

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  28. Den Begriff der Generation verwende ich in Anschluß an Karl Mannheim (1970, S. 509ff.): „Gleichzeitig aufwachsende Individuen erfahren in den Jahren der größten Aufnahmebereitschaft, aber auch später dieselben leitenden Einwirkungen sowohl von seiten der sie beeindruckenden intellektuellen Kultur als auch von Seiten der gesellschaftlich-politischen Zustände. Sie bilden eine Generation, eine Gleichzeitigkeit, weil diese Wirkungen einheitlich sind“ (S. 516). Der Begriff der Generation verweist auf sozialen Wandel, ohne den keine Ungleichzeitigkeiten entstünden und mithin Generationen nicht zu unterscheiden wären (vgl. Sackmann 1992, S. 201f.)

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(2006). Unter Männern. Kollektive Orientierungen und existentielle Hintergründe. In: Geschlecht und Männlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90371-2_8

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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