Auszug
Die bisherigen Kapitel standen unter der Frage, wie das Geschlechterverhält- nis in der soziologischen Theorietradition thematisiert wird. In diesem Kapi- tel geht es um theoretische Konzepte, wie sie in einer auf das Geschlechter- verhältnis fokussierten Forschung entwickelt worden sind. Nicht die Zugehö- rigkeit zu einem theoretischen Paradigma, sondem die Gemeinsamkeit des Gegenstandes zeichnet die im folgenden behandelten Arbeiten aus. Wie sich der Unterteilung des Kapitels in Frauenforschung und Männerstudien ent- nehmen läßt, spiegelt sich die Dichotomic, die der kulturellen Codierung des Gegenstandes zugrunde Hegt, in der sozialwissenschaftlichen Aufbereitung desselben wider. Inwieweit mit dem Begriff ‚Geschlechtersoziologie‘ eine Klammer gegeben ist, welche die Schwerpunktsetzungen unter einem Dach zusammenführt, ist eine Frage, die insbesondere in der Frauenforschung kon- trovers diskutiert wird (dazu unten mehr).
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Literatur
Darüber hinaus hat die Frauenforschung auf einer die einzelnen Disziplinen übergreifenden Ebene eine Diskussion methodologischer und erkenntnistheoretischer Fragen in Gang gesetzt (vgl. z.B. Harding 1990; List/Studer 1989; für einen Überblick: Behnke/Meuser 1999).
Eine Analyse des Männerbilds in einigen populären feministischen Schriften, wissenschaftlichen und anderen, hat Rave (1991) vorgelegt. Sie konstatiert eine Gleichsetzung der „gesellschaftlichen Kategorie patriarchaler Macht“ mit der biologisch gegebenen Geschlechtlichkeit (S. 20).
Gute Überblicke bieten der von England (1993) herausgegebene Sammelband sowie die Monographien von Tong (1989) und Evans (1995).
Zu einer anderen Einschätzung kommen Anfang der neunziger Jahre Gildemeister und Wetterer (1992, S. 202ff). Sie machen darauf aufmerksam, daß die deutsche Frauenforschung die von den amerikanischen women’s studies eingeschlagene Richtung der gender-Forschung nicht mitvollzieht. Das hat sich inzwischen allerdings geändert. Einen hohen Stellenwert hat das Patriarchatskonzept in der britischen Frauenforschung (vgl. Cockburn 1991a; Walby 1990).
Die amerikanische Literatur unterscheidet folgende Richtungen des Feminismus: einen liberalen, einen marxistischen, einen sozialistischen (auch dual-systems theory), einen radikalen, einen psychoanalytischen, einen existenzialistischen und einen postmodernen Feminismus (vgl. Tong 1989).
Anders als der radikale Feminismus geht dieser Ansatz nicht davon aus, daß das Patriarchat universell das primäre Unterdrückungsverhältnis ist, und anders als der marxistische Feminismus nimmt der Zwei-Systeme-Ansatz an, daß die Strukturen des Geschlechterverhältnisses fundamental andere sind als die des Klassenverhältnisses und daß Patriarchat und Kapitalismus zwei interdependente Systeme sind, die sich tendenziell in einer Konfliktlage befinden (vgl. Hartmann 1979; Walby 1986) Die Logik des Kapitals wird als geschlechtsblind begriffen und kann deswegen nicht die Unterdrückung von Frauen erklären (vgl. Shelton/Agger 1993, S. 29f; Tong 1989, S. 173ff).
Kennzeichnend für diese Variante des Patriarchatskonzepts ist eine modifizierende Verwendung marxistischer Begrifflichkeit. Das Verhältnis von Mann und Frau wird analog dem von Kapitalist und Lohnarbeiter konzipiert; der marxistische Begriff der Produktion wird erweitert: „The concept of production ought to encompass both the production of ‘things’, or material needs, and the ‘production’ of people or, more accurately, the production of people who have particular attributes, such as gender“ (Hartmann 1981a, S. 371).
Für eine Diskussion verschiedener Patriarchatskonzepte vgl. Walby 1986, S. 5ff.
„However, ‘patriarchy’ has come to be a popular shorthand term for systemic male dominance and for that reason I use it here“ (Cockburn 1991a, S. 7f.).
So auch Metz-Göckel (1987, S. 28): „Analytisch ist Patriarchat ein Systembegriff insofern, als es jenseits des Wollens einzelner Männer existiert. Einzelne können als Individuen persönlich von den Zumutungen und Zuschreibungen patriarchalen Denkens und Handelns abweichen, ohne daß sich am Geschlechterverhältnis insgesamt etwas ändert“.
Lorber (1994, S. 30f.) unterscheidet a) die Ebene sozialer Institutionen, b) die des Individuums und führt folgende Dimensionen auf: a) „Gender statuses“, „Gendered division of labor“, „Gendered kinship“, „Gendered sexual Scripts“, „Gendered personalities“, „Gendered social control“, „Gender ideology“, „Gender imagery“; b) „Sex category“, „Gender identitiy“, „Gendered marital and procreative Status“, „Gendered sexual orientation“, „Gendered personality“, „Gendered processes“, „Gender beliefs“, „Gender display“.
Das gilt nicht nur für die Soziologie, auch in anderen Sozial-und Geisteswissenschaften wird eine Ausdehnung des Gegenstandsbereiches der Frauenforschung gefordert. Für die deutsche Geschichtswissenschaft diagnostiziert Ute Frevert (1991b, S. 268) einen ausgesprochenen „Forschungsnotstand“. „In der Frauengeschichte nimmt man ‘den Mann’ und ‘das Männliche’ hauptsächlich als das generalisierte Andere wahr, ohne ein Gespür für seine enorme Variationsbreite zu entwickeln“. Hanna Schissler (1992, S. 220) zufolge kann „das feministische Projekt, die Überbetonung und normative Überhöhung des Männlichen aufzubrechen“, nur gelingen, wenn „Männer als Männer“ erforscht werden.
Manche Positionsbestimmungen erinnern an die (Anfänge der) Frauenforschung. So postulieren die Herausgeber eines deutschsprachigen Sammelbandes zur Männerforschung: „Kritische Männerforschung ist nach unserer Auffassung allerdings nicht nur ein neuer Wissenschaftsbereich. Sie ist historisch, personell und politisch sehr stark mit der antisexistischen Männerbewegung verknüpft und versteht sich als politisch-emanzipative Theorie“ (BauSteineMänner 1996, S. 7).
Hearn und Morgan (1990) beobachten skeptisch die Tendenz zu einer Institutionalisierung von gender studies, fügen dann aber hinzu: „We say this with some caution, aware that some feminists support the term ‘gender studies’ as an umbrella term“ (S. 204). Der Frauenforschung gebührt die ‘Meinungsführerschaft’. Sollte diese sich entschließen, sich in gender studies umzubenennen, hätte die Männerforschung dem zu folgen. Keinesfalls aber dürfte diese eine Vorreiterrolle spielen.
Deutlicher Ausdruck dessen ist ein in der von der Sektion Frauen-und Geschlechterforschung herausgegebenen Buchreihe erscheinender Band mit dem Titel „FrauenMännerGeschlechterforschung. State of the Art“ (Aulenbacher u.a. 2006), der die Jahrestagung 2005 der Sektion dokumentiert.
In einer späteren Arbeit unterscheidet Hearn (1992, S. 53) explizit zwischen einem privaten und einem öffentlichen Patriarchat.
Hearn rekurriert auf die Thesen von Adrienne Rich (1980).
Hearn (1992, S. 67) erwähnt in diesem Zusammenhang den Begriff fratriarchy, entfaltet ihn aber nicht, sondern bestimmt die ‘Bruderschaft’ als Element des öffentlichen Patriarchats.
In „Masculinities“ (1995), auf dessen Übersetzung ins Deutsche (Connell 1999) sich die Connell-Rezeption hierzulande weitestgehend bezieht, ist der Begriff der Arbeit durch den der Produktion ersetzt.
Eine eigene Studie zu sog. Doppelkarriepaaren, d.h. zu einer Paarkonstellation, in der beide Partner nicht nur berufstätig sind, sondern konsequent eine berufliche Karriere verfolgen, zeigt, daß selbst in diesen hinsichtlich der Inklusion in die Berufswelt hochgradig enttraditionalisierten Partnerschaftsarrangements eine erstaunliche Persistenz ungleicher Arbeitsteilung zu beobachten ist. Das ‚Vereinbarkeitsmanagement‘, das notwendig ist, um zwei berufliche Karrieren unter dem Dach einer Ehe bzw. Partnerschaft zu organisieren, wird nahezu ausschließlich von den Frauen geleistet. „Bezeichnenderweise ist die Zuständigkeit der Frauen für das notwendige Vereinbarkeitsmanagement gerade nicht das Ergebnis von langwierigen Aushandlungsprozessen zwischen den Partnern oder Ausdruck einer Resignation nach nicht zufriedenstellend ausgetragenen Divergenzen, sondern sie ‚ergibt sich’ gleichsam wie von selbst“ (Behnke/ Meuser 2005, S. 137).
In früheren Epochen (z.B. Athen) und in anderen Kulturen gelten hingegen institutionalisierte und zeitlich limitierte sexuelle Kontakte zwischen (älteren und jüngeren) Männern als notwendiger Schritt der Mannwerdung (vgl. Gilmore 1991, S. 161 ff.; Winterling 1990; Bohle 1990).
Instruktive ethnographische Beschreibungen verschiedener Männerbünde und ihrer Praktiken und Riten finden sich in dem zweibändigen Sammelband von Völger/ Welck 1990.
Zum Militär als gendered organisation sind in jüngster Zeit einige Studien erschienen, die einerseits zeigen, daß selbst dann, wenn Frauen Zugang zu den kämpfenden Einheiten haben, d.h. zum Status-und Prestige-relevanten Kern dieser Institution, das Militär ein Ort der Reproduktion von Männlichkeit bleibt, die andererseits jedoch zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, welchen Stellenwert das Militär gegenwärtig für die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit hat (vgl. Apelt 2006; Klein 2001; Seifert 2002; Scholz 2005).
In einer ausführlichen Diskussion des Connellschen Ansatzes stellt Armbruster (1993, S. 83) die Frage, „ob nicht an verschiedenen Orten oder in verschiedenen Diskursen jeweils andere Versionen von Männlichkeit hegemonial sind“.
Für die Geschichtsforschung zeigt dies ein unlängst erschienener Band, der sich mit der Bedeutung des Connellschen Konzept für die Männergeschichtsschreibung befasst (Dinges 2005).
In einem gemeinsam mit James Messerschmidt verfaßten Aufsatz ist Connell unlängst auf die vielfältigen Kritiken und Kommentare eingegangen, die das Konzept der hegemonialen Männlichkeit erfahren hat (vgl. Connell/ Messerschmidt 2005).
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(2006). Geschlechtersoziologie: Frauenforschung und Männerstudien. In: Geschlecht und Männlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90371-2_4
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