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Das Trauma der Hirnforschung — Der Einzug der Neurobiologie in die psychoanalytische Traumatologie als Symptom der gesellschaftlichen Naturalisierung des Subjektiven

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In der therapeutischen und theoretischen Behandlung von Psychotraumata wird zunehmend auf neurobiologische Konzeptionen zurückgegriffen. Dieser Trend kann als Ausdruck einer allgemeinen institutionellen Tendenz zu einer naturalistischen (de-symbolisierten) Konzeption des Unbewussten der Person gelten. Für das Verständnis dieser Entwicklung sind vor allem psychoanalytisch und tiefenpsychologisch orientierte Ansätze interessant. Das sind sie aus drei Gründen: Erstens hat die Umstellung der theoretischen wie therapeutischen Modelle des Unbewussten von der symbolisch strukturierten Psychodynamik auf die neurologische Rekursivität des Gehirns und auf eine entsprechende „Bahnungsdramaturgie” Wirkungen auf eine zentrale professionelle und spezialisierte Semantik der Person. Zweitens aber ist die psychoanalytische und tiefenpsychologische Bereitschaft, mit der Neurobiologie zu koalieren, interessant, weil sie vorläufig ambivalent bleibt, denn gerade die Psychoanalyse verwendet die neurobiologische Sprache zur Legitimation ihres nach wie vor speziellen Zugangs zum Subjekt, eines Zugangs, der eigentlich diese Sprache transzendiert. Drittens kann es sein, und dies soll gegen Ende der folgenden Überlegungen zumindest im Ansatz Thema werden, dass eine psychoanalytische (oder tiefenpsychologisch)-therapeutische Praxis und ihre eigene neurobiologische Explikation selbst (wie auch mentale und physiologische Ereignisse) problematisch „supervenieren”, d.h. dass sich die Psychoanalyse zwar strategisch in der Semantik naturalistischer Konzepte bzw. der psychischen Dynamik legitimiert, dabei aber sich selbst im Vergleich mit ihrer eigenen Praxis inadäquat expliziert bzw. performativ unterläuft, was sie offiziell proklamiert. Gerade deshalb — so ist zu vermuten — bleiben die praktischen Folgen für die soziale Semantik der Person und im Besonderen mögliche therapeutisch-gesundheitspolitischen Konsequenzen noch offen.

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Renn, J., Zielke, B. (2006). Das Trauma der Hirnforschung — Der Einzug der Neurobiologie in die psychoanalytische Traumatologie als Symptom der gesellschaftlichen Naturalisierung des Subjektiven. In: Reichertz, J., Zaboura, N. (eds) Akteur Gehirn — oder das vermeintliche Ende des handelnden Subjekts. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90321-7_15

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