Auszug
Nun also methodologischer Individualismus und soziologische Systemtheorie als alternative Auswege aus dem multiparadigmatischen Zustand der Soziologie: Diese Gegenüberstellung löst mehr und mehr die frühere Auseinandersetzung zwischen Jürgen Habermas’ Theorie kommunikativen Handelns und Niklas Luhmanns Systemtheorie um die Einheit der Soziologie in der Vielfalt ihrer Stimmen ab. Nicht nur die Soziologie, auch Physik und andere Wissenschaften träumen von der „Grand Unified Theory“ (Hawking 1991, S. 100), die alles umfasst und bisherige Unstimmigkeiten und Inkonsistenzen aufhebt. Hartmut Esser macht in seiner jüngst angestoßenen Diskussion um die Universaltheorie in der Soziologie zwei Kandidaten aus: „Die — manchem wohl etwas verwegen klingende — These, dass die Soziologie inzwischen im Grunde faktisch nur noch eine übergreifende Perspektive hat, das Modell der soziologischen Erklärung nämlich, lässt sich nun am ehesten an jenem Gegenentwurf testen, der ebenfalls einen Universalitätsanspruch erhebt und in mehrfacher Hinsicht eine Gegenposition zum Konzept der soziologischen Erklärung darstellt. Gemeint sind natürlich Luhmann und seine soziologische Systemtheorie.“ (Esser 2002, S. 28) Für Esser, dies bringen Stil und Ton seiner Ausführungen immer wieder geradezu beschwörend zum Ausdruck, muss die „Grand Unified Theory“ für die Soziologie nicht länger erträumt werden, sie steht im Modell der soziologischen Erklärung im Rahmen des methodologischen Individualismus bereit.
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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Sutter, T. (2006). Emergenz und Konstitution, Kommunikation und soziales Handeln: Leistungsbeziehungen zwischen Essers methodologischem Individualismus und Luhmanns soziologischer Systemtheorie. In: Greshoff, R., Schimank, U. (eds) Integrative Sozialtheorie? Esser — Luhmann — Weber. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90259-3_4
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