Auszug
Im Jahr 2004 wurden die Widersprüche der deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Ende des Sowjetblocks deutlich sichtbar. In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 2004 feierten auf der Brücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice der deutsche und der polnische Außenminister die historische Erweiterung der Europäischen Union um fünfzehn neue Mitglieder. Ein strategisches Ziel des deutsch-polnischen Tandems wurde nach jahrelangen Beitrittsverhandlungen erreicht. Doch nur wenige Wochen nach dem EU-Beitritt zeigte sich, wie brüchig die neue deutsch-polnische Harmonie sein kann. Der 10. September 2004 wurde zu einem Schwarzen Freitag in den jüngsten deutsch-polnischen Beziehungen. An diesem Tag beschloss das polnische Abgeordnetenhaus fast einstimmig mit nur einer Enthaltung — ohne Konsultationen mit der polnischen Regierung, geschweige denn mit dem Bundestag oder deutschen Diplomaten — eine Resolution, in der die Regierung aufgefordert wurde, Gespräche mit der Bundesregierung über Reparationszahlungen für polnische Verluste im Zweiten Weltkrieges zu führen. Diese Initiative war eine Antwort des polnischen Parlaments auf eventuelle Entschäigungsklagen deutscher Vertriebener und Spätaussiedler, die in Polen spätestens seit der Gründung der Vertriebeneninitiative „Preußische Treuhand“ gefürchtet werden. Die Bundesregierung und der Bundestag zeigten sich von der Sejm-Resolution irritiert, bezeichneten sie als Überreaktion polnischer Politiker auf Aktivitäten einer Minderheit von Ewiggestrigen. In Berlin war man tief enttäuscht darüber, dass die Versöhnungspolitik des vereinigten Deutschland, die zahlreichen Gesten guten Willens und der Distanzierung von jeglichen Vermögensansprüchen deutscher Vertriebener der Bundesregierung vom polnischen Parlament nicht ernst genommen wurden. Die Resolution des polnischen Parlaments blieb ohne Folgen, die damalige polnische Regierung von Ministerpräsident Marek Belka hat Reparationsforderung polnischer Parteien zurückgewiesen und wies auf den formellen Verzicht gegenüber der DDR 1953 und nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages von 1970 mit der Bundesrepublik hin. Die beiden Ereignisse vom Mai und September 2004 zeigen das breite Spektrum der deutsch-polnischen Beziehungen seit 1989.
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Weiterführende Literatur
Bingen, Dieter/ Wolff-Poweska, Anna (Hrsg.), (2005), Nachbarn auf Distanz. Polen und Deutsche 1998–2004, Wiesbaden: Harrassowitz. Sammelband mit zahlreichen Beiträgen über die Entwicklungen der deutsch-polnischen Beziehungen am Vorabend der EU-Osterweiterung. Empirisch umfangreiche und analytisch vielschichtige Analyse des aktuellen Verhältnisses.
Bingen, Dieter (2005), Die deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 5-6, S. 9–17. Kurze und dichte Einführung in die Entwicklung der politischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei die jüngsten Erfolge sowie Rückschläge den Schwerpunkt der Analyse bilden.
Buras, Piotr/ Tewes, Henning (2005), Polens Weg. Von der Wende bis zum EU-Beitritt, Stuttgart: Hohenheim. Gut lesbare Analyse der jungen polnischen Demokratie und Bilanz des polnischen Transformationsprozesses nach 1989.
Eberwein, Wolf-Dieter/ Kerski, Basil(Hrsg.), (2001), Die deutsch-polnischen Beziehungen 1949–2000. Eine Werte-und Interessengemeinschaft?, Opladen: Leske + Budrich. Sammelband über die Entwicklung der Beziehungen vor und nach 1989. Die Beiträge im Band ordnen die Substanz der deutsch-polnischen Beziehungen integrationstheoretisch und analysieren sie empirisch.
Hajnicz, Artur (1995), Polens Wende und Deutschlands Vereinigung. Die Öffnung zur Normalität 1989—1992, Paderborn: Schöningh. Dichte Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen am Vorabend des Mauerfalls sowie im Laufe des deutschen Vereinigungsprozesses. De Autor, auβenpolitischer Berater von Ministerpräsident Mazowiecki, versucht daneben die Entstehungsgeschichte des Nachbarschaftsvertrages von 1991 zu rekonstruieren.
Lang, Kai-Olaf (2004), Pragmatische Kooperation statt strategische Partnerschaft. Zu Stand und Perspektiven der deutsch-polnischen Beziehungen, SWP-Aktuell (48), Oktober 2004. Kritische Analyse der Entwicklung der Beziehungen auf der Regierungsebene sowie der auβenpolitischen Debatten in Polen zwischen 2003 und 2005.
Lawaty, Andreas/ Orlowski, Hubert (Hrsg.), (2003), Deutsche und Polen. Geschichte — Kultur — Politik, München: Beck. In über 60 Essays gehen polnische und deutsche Autoren der Frage nach, was Deutsche und Polen unterscheidet und worin sie sich ähneln. Der Vergleich deckt Konfliktpotenziale auf und zeigt die Stärken der Partnerschaft.
Riechers, Albrecht/ Schröter, Christian/ Kerski, Basil (Hrsg.), (2005), Dialog der Bürger. Die gesellschaftliche Ebene der deutsch-polnischen Nachbarschaft, Osnabrück: Fibre. Umfangreicher Sammelband, der die historische und aktuelle Entwicklung der Beziehungen auf der nichtstaatlichen Ebene darstellt.
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Kerski, B. (2007). Polen. In: Schmidt, S., Hellmann, G., Wolf, R. (eds) Handbuch zur deutschen Außenpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90250-0_31
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Online ISBN: 978-3-531-90250-0
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