Auszug
Mit Blick auf Osteuropa und insbesondere auf die ehemalige Sowjetunion, auf die ich mich in diesem Beitrag vor allem beziehen will, kann das 20. Jahrhundert als das der Entwurzelung bezeichnet werden, als das Jahrhundert der Lösung ‚ursprünglicher‘ Bindungen. Doch welcher Art waren diese Ursprünge? Häufig ist zu vernehmen, es handle sich dabei um die von der Sowjetmacht unterdrückten ethnischen Zugehörigkeiten, auf die sich viele der neu erstandenen sozialen Bewegungen und Communities seit Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre beziehen. Diese ethnischen Gemeinden und Vereinigungen vollziehen die Hinwendung jedoch nicht in Form des einfachen Gedenkens, sondern der aktiven Aneignung eines ethnischen Selbstbildes, dessen Original möglicherweise völlig anders aussah, ja — zu dem es vielleicht niemals ein Original gab.1 Die Diskursfigur ist die der ‚Wiedererstehung‘, der ‚Wiedergeburt‘ einer Gemeinschaft, deren Wurzeln in der vorkommunistischen Zeit liegen und die es nun freizulegen gelte, zu denen zurückzukehren sei. Die Mittel der Wiederaneignung dieser als authentisch gedachten Kulturen sind die Erlernung einer besonderen Sprache, die Hinwendung zu einer bestimmten Religion, die Erstellung von Genealogien und/oder die mehr oder weniger deutliche Abgrenzung von anderen Kulturen.
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Oswald, I. (2007). Zur Dynamik staatlicher und ethnischer Grenzen in Osteuropa. In: Deger, P., Hettlage, R. (eds) Der europäische Raum. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90246-3_4
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