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Der duale Charakter der Grenze Bedingungen einer aktuellen Grenztheorie

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Book cover Grenzsoziologie

Auszug

„Die Geschichte der Welt kann am besten von ihren Grenzen her beobachtet werden“, schreibt der französische Historiker Pierre Vilar, und meint damit nicht etwa irgendwelche Grenzen der Welt, sondern die Grenzen in der Welt, die diese politisch und damit auch sozial strukturieren (Vilar 1985: 38).

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Literatur

  1. Febvre (1953; 1988) gibt einen recht ausführlichen Überblick; im Altfranzösisch kannte man fins, dann confins. Heute wird vornehmlich frontière (Geländestreifen; Verteidigungswall) benutzt, ebenso wie limites oder frontières (Demarkationslinie). Im Italienischen ebenfalls la frontiera, fine, termini ebenso wie im Spanischen frontera, limite und confin (vgl. Febvre 1953; 1988: 36). Am differenziertesten ist wohl das Englische, welches zwischen frontier (Grenzraum), boundary (Demarkationslinie), border (Rand, Sawn), margin (Rand, Außensaum) und limit (Begrenzung, auch im abstrakten Sinne) unterscheidet.

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  2. Komlosy (1995) interpretiert diesen Prozeß im Rahmen ökonomischer Veränderungen, denn schließlich, so führt sie aus, kommt es mit der Territorialisierung der Staaten und der Entwicklung ihrer Binnenmärkte zu einer scharfen Abgrenzung nach außen: „Erst jetzt entstand das Konzept von der Staatsgrenze als einer durchgängigen Linie, deren Verlauf eindeutig im Terrain (und auf Landkarten) festgehalten war.“ (Komlosy 1995: 391)

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  3. Medick verweist in seinem Beitrag darauf, dass die Begriffsgeschichte im Deutschen ganz ähnlich verlief, vor allem hinsichtlich eines verstärkten territorialen „Grenzliniendenkens“ im 18. Jahrhundert (vgl. Medick in diesem Band).

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  4. Einen ähnlichen Grenzbegriff konzipiert der US-amerikanische Historiker Frederick Jackson Turner 1893 in seinem Entwurf einer nordamerikanischen Geschichte, in der er die Entwicklung der us-amerikanischen Zivilisation anhand einer Beobachtung der Siedlungsgrenzen im Westen der USA untersucht. Turner geht davon aus, dass nicht die europäischen Wurzeln maßgeblich die gesellschaftliche und politische Entwicklung des Landes beeinflußt haben, sondern vielmehr die Moglichkeit, sich gen Westen frei auszubreiten: Offene Grenzen, so Turners Hypothese, seien die Bedingung für die Herausbildung einer offenen Gesellschaft. (vgl. hierzu auch Medick 1991: 158). In seiner Grenzkonzeption hält er an der Linearität der Grenze fest, konzipiert sie jedoch als eine bewegliche, dynamische Grenze und schreibt so der frontier zugleich die Bedeutung des Grenzsaums — im Sinne unerschlossener Gebiete (bei Turner auch Synonym für den „Westen“) zu. (vgl. Turner 1893; 1994; vgl. ausführlich hierzu insbesondere Beck 1955; Gerhard 1962).

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  5. Der etwas umstandliche Begriff der postnationalstaatlichen Grenze ist um einiges genauer, als der vielfach synonym hierfur verwendete Begriff der postnationalen Grenze (z.B. Cuttitta 2003), geht es doch um die Funktion von Grenze im Kontext veränderter staatlicher Handlungsbedingungen. Der Begriff zielt nicht etwa auf einen umfassenden Bedeutungsverlust von Nationalstaaten beziehungsweise deren Relevanz für Politik und Gesellschaft, sondern lediglich auf die veränderte Rolle, die dem Nationalstaat heute zukommt. In Bezug auf die Außengrenze der EU wird dieser Sachverhalt einmal mehr virulent durch die Tatsaehe, dass es nicht mehr allein die Nationalstaaten sind, die den Verlauf und die Ausgestaltung der gemeinsamen Außengrenze bestimmen, sondern es sich vielmehr in weiten Teilen um europäische, also supranationalstaatliche Politik handelt. Zudem ist die spezifische Gestalt dieser europäischen Außengrenze Produkt der besonderen Anforderungen an eine Grenze, die mehr umgibt als nur einen Staat.

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  6. Die politische Geographie Ratzels blickte auf eine weite geistes-und naturwissenschaftliche Tradition, nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in Frankreich und im anglo-amerikanischen Sprachraum, zurück (für einen Überblick vgl. Schöller 1957; Ossenbrügge 1983).

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  7. Vor allem erstere These der „natürlichen“ Grenze war nicht neu, sondern wurde bereits vom 17. Jahrhundert an in Frankreich als politische Leitvorstellung proklaraiert und diente die Jahrhunderte hindurch insbesondere zur Legitimierung expansiver Politik (vgl. Fröbel 1861: 118f.; Pounds 1951; Braudel 1989: 325ff.; Sahlins 1990). In Deutschland wurde diese Idee freilich in pervertierter Form weiterentwickelt und prägte in Form des geopolitischen Instituts um Karl Haushofer, Otto Maull und Erich Obst insbesondere die nationalsozialistischen Expansionsplane (vgl. hier insbesondere die Schriften von Haushofer 1925; Maull 1925; 1956; Hassinger 1932) Auch Ratzels Anthropogeographie, auf die im Folgenden nicht näher eingegangen wird, findet ihre Grundlagen im Sozialdarwinismus. Er beschreibt in seinen beiden Hauptwerken die „natürliche“ Verdrängung weniger entwickelter Lebensformen durch höher entwickelte in einem „Kampf um Lebensraum“ (vgl. insbesondere Ratzels Anthropogeographie (1892) und die Politische Geographie (1897)).

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  8. Lucien Febvre weist auf die Schwäche dieser Argumentation hin, indem er bemerkt: „Widerlegt sie [diese Erklärung, Anmerkung der Autorin] nicht der Eifer, mit dem sich die modernen Nationen ebenso streng in Wüstenstrichen, Morästen oder steinigen Öden voneinander abzugrenzen suchen wie auf den reichsten und begehrtesten Ackerboden?“ (Febvre 1953;1988: 32)

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  9. Presscott weist darauf hin, dass nicht nur die Entwicklung Deutschlands eben jenen Gesetzen zu gehorchen schien, wie beispielsweise ein Gebietstausch zwischen Bayern und Österreich am 14. April 1816 oder auch die Kolonialpolitik Großbritanniens, Belgiens, Deutschlands und Frankreichs zeigt (vgl. Presscott 1987: 9).

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  10. Auch diese Idee ist unmittelbar der Vorstellung des Staates als eines lebendigen Organismus entlehnt (vgl. Presscott 1987: 9).

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  11. Stichweh weist darauf hin, dass es mit der Entstehung des Nationalstaats und der Definition der Nation auch aus internen Gründen der Einheit des Staates mehr als fragwürdig werde, fremde Ethnien anzugliedern; vielmehr erhöhe sich nun der Druck auf die politisch konstituierte Nation, „ihre bereits vorhandenen fremdethnischen Gebiete der Kernnation zu assimilieren“, und das provoziere „umgekehrt, gerade wenn die politische Nation diesen Versuch“ unternähme, „den Widerstand und die Sezessionsbestrebungen in dem betroffenen fremdethnischen Gebiet.“ (Stichweh 2000: 53)

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  12. Die Systemtheorie verwendet hier auch den Begriff der Inklusion beziehungsweise Exklusion, die unter Berücksichtigung der heutigen Diskussion jedoch in diesem theorietechnischen Sinn wenig brauchbar erscheinen, beinhalten sie doch bereits immer die Konnotation von sozialen Teilhabechancen beziehungsweise sozialer Ausgrenzung (vgl. beispielsweise Luhmann 1995; Miles/ Thranhardt 1995; kritisch: Bommes 1999).

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  13. Hierin liegt eine auffällige Überschneidung mit dem essentialistischen Grenzverständnis Friedrich Ratzels, der Grenze ebenfalls als durchlässige „Haut des Staates“ begriff; allerdings wird die Grenze bei Luhmann überhaupt erst durch die Grenzüberschreitungen gebildet, wohingegen sie bei Ratzel als quasi statisch und gegeben interpretiert wird, die Grenzüberschreitungen wirken nicht so sehr auf die Grenze, als auf das durch sie umschlossene Gebiet.

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  14. Zum Gesellschaftsbegriff bei Luhmann vgl. Krause 1999: 42; am besten lässt sich Luhmanns Gesellschaftsbegriff darüber fassen, was alles nicht damit gemeint ist: Gesellschaft besteht nicht aus Menschen beziehungsweise deren Beziehungen; sie ist keine räumlich begrenzte Einheit; sie existiert nicht aufgrund gemeinsamer Werte und Normen; und sie ist vor allem nicht von außen beobachtbar.

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  15. Die Unterscheidung zwischen sozialem und soziologischem Raum wird bei Simmel nicht exiplizit unternommen; es ist jedoch anzunehmen, dass sozialer Raum „als manifestes Verhalten“ definiert wird, das im „physikalischen Raum“ stattfindet, wohingegen soziologischer Raum eine bloße „Metapher“ darstelle (vgl. Strassoldo 1992: 334; er bezieht sich hier auf die Arbeiten von Leopold von Wiese, insbesondere: 1955, Systeme der allgemeinen Soziologie. Berlin: Duncker & Humblot).

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  16. Strassoldo macht darauf aufmerksam, dass die deutlichen Präzisierungen des Raumbegriffs bei Simmel aus der Absicht einer entschiedenen Abgrenzung gegenüber der Humangeographie, die sich zu dieser Zeit gerade in einem „ungestümen,Status nascendi’“ befand und in Deutschland von Ratzel geradezu in Opposition zur Soziologie entworfen worden war, zu erklären ist (vgl. Strassoldo 1992: 328).

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  17. Strassoldo kritisiert hier den mangelnden empirischen Bezug der Simmelschen Analyse; zudem sei die Unterscheidung zwischen „Qualitäten des Raums“ und „Konfigurationen des Raums“ unklar (vgl. Strassoldo 1992: 333f.).

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  18. Bös und Preyer weisen in diesem Zusammenhang auf Simraels Konzept der Mitgliedschaften hin: „For Simmel the concept of border is important because it relates individuals and groups to each other (…). These relations are expressed in memberships. Membership controls how an individual takes part in a social group. Hence membership controls which kinds of communications or actions are expected from the individual, with this control function membership regulates the relation between groups as well.“ (Bös/Preyer 2002: X)

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Monika Eigmüller Georg Vobruba

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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Eigmüller, M. (2006). Der duale Charakter der Grenze Bedingungen einer aktuellen Grenztheorie. In: Eigmüller, M., Vobruba, G. (eds) Grenzsoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90245-6_5

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