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60 Jahre Kriegsende — Erinnerungskultur in Frankreich

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Auszug

Der 8. Mai 1945, der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg auf europäischem Boden endgültig vorbei war, hatte es in Deutschland wie in Frankreich schwer, zu einem nationalen Gedenktag zu werden. In Deutschland geriet der Tag der Kapitulation in die Mühlen des Kalten Kriegs, denn die BRD musste zu einem lange Zeit als ambivalent empfundenen, mehr die Niederlage als die Befreiung symbolisierenden Datum in dem Maße Distanz wahren, in dem die DDR es zur öffentlichen Feier des Sieges über den Faschismus nutzte. In Frankreich wiederum markierte der Tag, an dem die Kapitulation in Anwesenheit der Franzosen unterzeichnet wurde, zwar die Aufnahme in den Kreis der Siegermächte. Mit diesem diplomatischen Akt wurde aber im Grunde nur das bestätigt, was, so die von De Gaulle durchgesetzte Lesart, ein Jahr zuvor das französische Volk mit der Befreiung von Paris, am 25. August 1944, selbst errungen hatte: den Sieg über Hitlerdeutschland. Diese Mythenbildung lässt außer acht, dass der gegen De Gaulles Willen vom kommunistischen Widerstand ausgerufene Aufstand für die Befreiung der Stadt militärisch kaum von Belang war, wohl aber den westalliierten Oberbefehlshaber, General Eisenhower, dazu bewegte, den Befehl zum Marsch auf Paris zu erteilen. Der nahezu kampflose Einmarsch von General Leclerc an der Seite der Amerikaner am 25. August 1944 gipfelte in der berühmten Rede De Gaulles: „Paris! Das beleidigte Paris! Das zerbrochene Paris! Das Paris, das ein Martyrium erlitt! Aber, Paris ist frei! Es hat sich selbst befreit, befreit durch sein Volk, dem die Armeen Frankreichs zu Hilfe eilten, mit der Hilfe und der Unterstützung von ganz Frankreich, vom kämpfenden Frankreich, vom einzigen Frankreich, dem wahren Frankreich, dem ewigen Frankreich.“1 Es sind diese Worte der nationalen Versöhnung und die Bilder des Freudentaumels am 25. August, die für die Fünfte Republik denkwürdig blieben, weit mehr als der Tag des offiziellen Kriegsendes, dem von Frankreich aus betrachtet die Euphorie des Neuanfangs abging. Sicher, am 8. Mai 1945 wurde auch in Paris und in ganz Frankreich gefeiert, doch die Stimmung war keinesfalls unbeschwert, denn das Ausmaß der überstandenen Katastrophe war gerade in diesen Tagen ins öffentliche Bewusstsein getreten.

Ich danke der Frankreich-Bibliothek des Deutsch-Französischen Instituts (Ludwigsburg) für die Unterstützung bei der Literaturrecherche und der Zusammenstellung des Pressedossiers.

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Literatur

  1. „Discours de l’Hôtel de Ville de Paris, 25 août 1944“, in: http://www.charles-de-gaulle.org/article.php3?id_article=54 (14.08.2005).

  2. Siehe Marie-Anne Matard-Bonucci, „Le difficile témoignage par l’image“, und Edouard Lynch, „Les filtres successifs de l’information“, in: Marie-Anne Matard-Bonucci / Edouard Lynch (Hg.), La libération des camps et le retour des déportés, Paris, Editions Complexe 1995, S. 75-90 u. 163-175, sowie Christian Delporte, „Les médias et la découverte des camps“, in: François Bédarida / Laurent Gervereau (Hg.), La déportation-le système concentrationnaire nazi, Paris, Bibliothèque de documentation internationale contemporaine 1995, S. 205-213.

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  10. „Discours de M. Jacques Chirac, Président de la République, à l’occasion de l’inauguration du Mémorial de la Shoah“, in: http://www.elysee.fr/elysee/francais/interventions/discours_et_declarations/1995/janvier (14.08.2005).-Die Kluft zwischen der Theorie des öffentlichen Gedenkdiskurses und der Praxis gelebter Erinnerung zeigt sich in der von der Französischen Botschaft in Berlin am 26. Januar 2005 verbreiteten deutschen Übersetzung, die Elie Wiesel in eine „Zeitzeugin [!] des Schreckens, die zur Friedenskämpferin [!] wurde“ verwandelt.

  11. „Discours de M. Jacques Chirac, Président de la République, à l’occasion de l’inauguration de la nouvelle exposition du pavillon français du Musée-Mémorial d’Auschwitz-Birkenau“, in: http://www.elysee.fr/elysee/francais/interventions/discours_et_declarations/1995/janvier (14.08.2005).

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  13. Bertrand Poirot-Delpech, der als jugendlicher Freiwilliger im Mai 1945 bei der Betreuung der Rückkehrer mithalf, empört sich in Le Monde (20. Januar 2005, S. 1 u. 20) über den medialen Over-Kill vor dem 27. Januar 2005: „Das Gedenken wird ein Nationalsport, eingeklemmt zwischen zwei Fussballsonntagen, doch ohne Überraschung. Die Zeremonie nutzt sich ab, der allgemeine Konsens banalisiert die Erinnerung, die er würdigen sollte. Das Gedenken an die Shoah hat das alles nicht nötig.“

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  14. Annette Wieviorka, Auschwitz, 60 ans après, Paris, Robert Laffont 2005, S. 13-14 und 15-16.

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  15. Fondation pour la Mémoire de la Déportation (Hg.), Livre-mémorial des déportés de France arrêtés par mesure de répression et dans certains cas par mesure de persécution 1940-1945, 4 Bde., Paris, Éditions Tirésias, 2004.-Serge Klarsfeld hat in Le Monde (17. November 2004), S. 12 an dieser 86.827 Namen umfassenden Dokumentation kritisiert, dass sie neben Personen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugungen deportiert wurden, auch solche einschließe, die wegen dubioser Schwarzmarktgeschäfte oder diverser Gesetzesübertretungen festgenommen wurden. Diesem Einwand liegt eine nicht unproblematische Hierarchisierung zugrunde, die zwischen deportierten Widerstandskämpfern und deportierten Straffälligen scharf unterscheidet. Darüber wird vergessen, dass die Straftatbestände von der Gesetzgebung der Vichy-Regierung und des Dritten Reiches definiert wurden, dass die Strafe, nämlich Deportation und Konzentrations-bzw. Vernichtungslager, nicht dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprach und dass schließlich das Verhalten dieser (oder anderer Gruppen) im Lager nicht pauschal, sondern nur fallbezogen beurteilt werden darf.

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  16. Um den Umfang dieses Textmaterials ungefähr abschätzen zu können, muss man sich vor Augen halten, dass die Forschungsgruppe KZ-memoria scripta an der Universität Salzburg allein für das Konzentrationslager Mauthausen (und seine Außenlager) 120 italienische, 80 französische und 20 spanische Erinnerungstexte, d.h. insgesamt rund 20.000 Druckseiten, ermitteln konnte (siehe http://www.kz-memoria.net). Weder für Mauthausen noch für andere Konzentrationsoder Vernichtungslager liegen vollständige (auch den Bereich der slawischen Sprachen einbeziehende) Bibliographien vor.

  17. Von den mehreren hundert französischen Erinnerungstexten sind im August 2005 in deutscher Übersetzung allein die Werke dreier Autoren in größeren Verlagen lieferbar: Das Menschengeschlecht (Fischer) von Robert Antelme, Die große Reise, Was für ein schöner Sonntag!, Schreiben oder Leben, Der Tote mit meinem Namen (alle Suhrkamp) von Jorge Semprün und Geschichten aus Dachau (dtv) von Joseph Rovan; weitere sechs Texte liegen bei kleineren Verlagen auf: Trilogie. Auschwitz und danach (Stroemfeld) von Charlotte Delbo, Clamavi a te. Der Schrei nach Freiheit (Bussert und Stadeler) von Roger Leroyer, Ein junger Europäer in Mauthausen (Bundesministerium für Inneres/Wien) von Paul Le Caër, Treblinka-Die Revolte eines Vernichtungslagers (Harald Kater Verlag) von Jean F. Steiner, Die Hölle gestreift (Leipziger Uni-Verlag) von Jean P. Renouard und Hortensien in Farge (Donat) von Raymond Porte-faix / André Migdal / Klaas Touber.

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  18. Pierre Daix, Bréviaire pour Mauthausen, Paris, Gallimard 2005, S. 133-140.

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  19. Vgl. bereits die Forschungsarbeiten von Dan Diner, Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten, München (Beck) 2003 und Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt (Suhrkamp) 2001.

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Wolfgang Asholt Frank Baasner Hans Manfred Bock Vincent Hoffmann-Martinot Dietmar Hüser Ingo Kolboom Peter Kuon Robert Picht Henrik Uterwedde Wolfram Vogel

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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Kuon, P. (2006). 60 Jahre Kriegsende — Erinnerungskultur in Frankreich. In: Asholt, W., et al. Frankreich Jahrbuch 2005. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90170-1_14

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