Zusammenfassung
Bourdieus Gesamtwerk ist durchzogen von einzelnen Auseinandersetzungen mit der bestehenden patriarchalen Geschlechterordnung. Doch erst in seinem Spätwerk Die männliche Herrschaft arbeitet Bourdieu seine Geschlechtertheorie aus. Nun erhält Geschlecht eine konstitutive Bedeutung für die Entstehung und Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung. Diese wird als eine immer schon vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Ordnung gefasst. Damit gibt Bourdieu seiner Gesellschaftstheorie am Ende insgesamt eine neue Wendung: Die Theorie männlicher Herrschaft wird unabdingbar für die Analyse bestehender bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften. In einer Rekonstruktion dieser Theorie zeigen die Autorinnen, wie Bourdieu hier zentrale Begriffe seiner Gesellschaftstheorie (symbolische Gewalt, Habitus, Körper) weiter ausarbeitet. Für die Analyse gegenwärtiger Transformationsprozesse in den Geschlechterverhältnissen bietet Bourdieus Spätwerk gerade deshalb produktive Ansatzpunkte, weil Gesellschafts- und Geschlechtertheorie systematisch miteinander verschränkt werden.
Abstract
Sporadic discussions about the current patriarchal gender order pervade Bourdieu’s oeuvre. However, only in his later work Masculine Domination does he elaborate his gender theory. There, gender is given a constitutive meaning for the development and reproduction of social order. The latter is taken as an always already gendered and gendering order. Thereby Bourdieu, in the end, gives his social theory a totally new twist: The theory of male dominance becomes indispensable for analysing existing bourgeois-capitalist societies. In a reconstruction of this theory, the authors show how Bourdieu further elaborates central concepts of his social theory (symbolic violence, habitus, body). Because social and gender theory are systematically interconnected, Bourdieu’s later work offers very productive starting points for the analysis of current transformation processes regarding gender and gender relations.
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Notes
- 1.
Vgl. Bourdieu und Wacquant (1996, S. 207–208, Fußnote).
- 2.
Dieses wiederholte Durcharbeiten eines Themas ist typisch für Bourdieus Theorie- und Forschungsarbeit; sie führt im Falle der männlichen Herrschaft wie in Bezug auf die symbolische Gewalt zu einer kumulativen Verdichtung der Gegenstände und Konzepte (vgl. Schultheis 2008).
- 3.
Für eine Ausnahme siehe Engler, die sich positiv auf Aufsatz und Buchversion bezieht (2004).
- 4.
Innerhalb seines Werkes steht die Theorie der männlichen Herrschaft in enger Verbindung mit seiner Theorie der symbolischen Gewalt, die als Schlüsselkonzept seiner Soziologie bezeichnet werden kann. Zur Genese dieses Konzepts vor einem biografisch-historisch-politischen Hintergrund siehe Schultheis (2008).
- 5.
Krais (2006) hebt mit Bezug auf die Buchversion hervor, Bourdieus entscheidender Beitrag bestehe darin, den Blick auf die körperliche Dimension des Handelns zu lenken und mittels des Konzepts des Habitus symbolische Ordnungen und Körperlichkeit zusammen zu denken.
- 6.
Mehr zur Differenzierung zwischen Körper und Leib und zum Habituskonzept als Grundlage einer Soziologie des Körpers siehe Jäger (2004).
- 7.
Engler betont, dass Bourdieus relationale Betrachtungsweise dazu führt, nicht Männer und Frauen zum Ausgangspunkt der Untersuchung zu machen, „sondern das soziale Gefüge, in dem Männer und Frauen agieren“ (Engler 2004, S. 230).
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Jäger, U., König, T., Maihofer, A. (2015). Pierre Bourdieu: Die Theorie männlicher Herrschaft als Schlussstein seiner Gesellschaftstheorie. In: Kahlert, H., Weinbach, C. (eds) Zeitgenössische Gesellschaftstheorien und Genderforschung. Gesellschaftstheorien und Gender. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19937-5_2
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