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Governance als Politische Theorie?

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Regieren
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Zusammenfassung

Die Karriere des Governance-Begriffs, wie er sich in den letzten zwei Jahrzehnten in das Zentrum der politikwissenschaftlichen Diskussion geschoben hat (vgl. Benz 2004; Schuppert 2006; Benz et al. 2007; Schuppert/Zürn 2008; Heinelt 2008; 2010 und Mayntz 2009), speist sich nach dem weitgehend übereinstimmenden Urteil vieler Beobachter aus im Wesentlichen drei Quellen: Als „Analysebegriff “ (so Benz et al. 2007a: 14 f.) scheint er die Möglichkeit zu bieten, die begrifflichen Fesseln oder zumindest Voreingenommenheiten, die einem im Kern normativ strukturierten Verständnis von „Government“ durch den konstitutiven Bezug auf Staat, Recht, Verfassung und Demokratie eingeschrieben bleiben, mit dem Effekt abzustreifen, dass in seinem Licht zunächst in deskriptiver Hinsicht die durch architektonische Umstellungen ausgelösten struktur-, prozess- und akteurbezogenen Verschiebungen im politischen Raum besser zu registrieren sind und in dann praktischer Hinsicht sensibler auf die Herausforderungen und Bedürfnisse einer neuen Regierungstechnik reagiert werden kann; insoweit kann man sich dann auch der Beobachtung Schupperts anschließen, dass dem „Governancekonzept als Begegnungsort der verschiedenen governancerelevanten Disziplinen“ (Schuppert 2008: 18) so etwas wie eine Brückenfunktion im Hinblick auf die Ermöglichung einer „problemorientierten Kommunikation zwischen unterschiedlichen Subdisziplinen der Politikwissenschaft sowie zwischen wissenschaftlichen Disziplinen“ (Benz et al. 2007a: 16) zuwächst; schließlich zehrt die Idee von Governance, obwohl ihr, anders als dem Konzept von „Government“ der Bezug auf die Legitimitätsbedingungen politischen Handelns nicht oder nur in der schwachen Form eines Gemeinwohlerfordernisses (so Schuppert 2008: 33, 28) schon begrifflich eingeschrieben ist, dennoch von einem normativen Charme, der ihr unter der Prämisse (vgl. Offe 2008: 69) zuwächst, dass im Medium von Governance die Idee der kollektiven Selbstbestimmung um das ihr inhärente Moment der gesellschaftlichen Selbstregierung und Selbstregulierung so erweitert werden kann, dass sie zum Ausgangs- wie Bezugspunkt einer „Demokratietheorie der Governance“ (so in ihrer im Kern gleichgerichteten Programmatik Haus 2008 und Heinelt 2008; 2010) wird.

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Notes

  1. 1.

    Schuppert (2008: 18) – vgl. auch Benz et al. (2007a: 16) sowie Risse (2008: 158 ff.), der von der „Reisefähigkeit“ des Begriffs spricht, die Pointe aber dahin verschiebt, in interkultureller Perspektive wie im vergleichenden Blick auf Räume begrenzter Staatlichkeit zu zeigen, wie tief das Governance-Verständnis trotz aller Betonung der Bedeutung nicht-hierarchischer Formen der Koordination von Politik von der Begrifflichkeit moderner und entwickelter Staatlichkeit geprägt bleibt (Risse 2008: 158).

  2. 2.

    Einer der wesentlichen Vorzüge einer solchen Konzeption legitimer Autorität besteht darin, dass er die zentrale Stellung in Erinnerung ruft, die dem demokratischen Gesetzgebungsverfahren mit seinen normativen wie organisationsrechtlichen Spezifika zukommt (vgl. Christiano 2008: 243 ff.) und auf diesem Wege in Verbindung mit dem Mehrheitsprinzip, dem Kriterium elektoralen Erfolgs (vgl. auch de Búrca 2008: 224) auch die Idee politischer Repräsentation wieder stärker in das Zentrum einer Artikulation des Prinzips demokratischer Legitimität rückt. Damit aber wird zugleich ein weiteres Mal eine Schwelle markiert, die für Governance-Ansätze, insofern sie sich unter den Anspruch einer allgemeinen politischen Theorie stellen, aus strukturellen Gründen nur schwer zu überwinden ist, weil damit ein Mechanismus ins Spiel gebracht wird, der an Governance-Strukturen kaum einen Halt finden kann und auf inter-, trans- oder supranationaler Ebene nur schwer zu institutionalisieren ist. Aus diesen Gründen läge es nahe, sich dem allgemeinen Anspruch von Governance-Konzepten noch einmal von einer anderen Seite zu nähern und zu prüfen, ob sich das Ergebnis der bisherigen Überlegungen ändern könnte, wenn man nunmehr auch nicht-elektorale Formen von Repräsentation in dem Versuch in den Blick rückt (vgl. dazu im Folgenden Saward 2009), damit andere Quellen demokratischer Legitimität für Governance- Prozesse zu erschließen: Das kann ich an dieser Stelle nicht leisten, aber die Vermutung wäre auch hier, dass sich eine Reihe von Repräsentationsansprüchen denken lassen (Saward 2009: 3 f. spricht von „representative claims“), die zunächst in die Lücken eines elektoral gestifteten Repräsentationsverhältnisse eindringen könnten, jedoch letztlich die Bedingungen ihrer öffentlichen Rechtfertigung und Beglaubigung nicht aus sich heraus entfalten können (vgl. Saward 2009: 15 ff.). Dieser Umstand müsste dann auch auf den hier diskutierten Anspruch des Governance-Konzepts zurückschlagen, das in vielfältiger Weise normativ mit Vorstellungen nicht-elektoraler Repräsentation verknüpft ist.

  3. 3.

    Zu der in den letzten Jahren breit geführten Debatte zu Normativität vgl. insb. Brandom (2000, 2008 und 2009), Gosepath (2009), Stemmer (2008), Thomson (2008), Wedgwood (2009), Korsgaard (1996, 2008 und 2009), Pink (2007), O’Neill (2007), Forst/Günther (2011), Raz 2011.

  4. 4.

    Obwohl dieses hobbesianische Element normativitätstheoretisch selbstverständlich nicht zu vernachlässigen ist – vgl. Stemmer 2008: 304 f. oder Gosepath, 2009: 252 ff. – ist es m. E. nicht konstitutiv für die Erläuterung der Wirkungsweise von Institutionen.

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Schmalz-Bruns, R. (2012). Governance als Politische Theorie?. In: Egner, B., Haus, M., Terizakis, G. (eds) Regieren. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19793-7_1

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