Zusammenfassung
Wenn ein Musikstück in eine andere Tonart übertragen wird, nennt man das Transposition. Darin liegt ein besonderer Reiz – eine Sinneswahrnehmung wird variiert, verfremdet, vorsichtig erweitert. Dieser Vorgang ist nicht nur für ästhetische Wahrnehmungen von Bedeutung, sondern kann auch als Metapher dienen, um das näher zu kennzeichnen, was „die Kunst“ mit unseren sozialen und politischen Vorstellungen macht, wenn sie diese, programmatisch oder nebenbei, gewollt oder ungewollt, betont oder unbetont, in das ästhetische Handeln einbezieht oder mit ihrem Produkt konfrontiert. Gleichviel also, ob man politisch und gesellschaftlich aktivistischen Kunstlehren anhängt, die bestimmte Normen und Werte proklamieren, oder ob allein dem künstlerischen Schaffen und der ästhetischen Rezeption ihrer Ergebnisse Priorität eingeräumt wird, ob man die Kunst als repräsentativ für etwas anderes oder als selbstbezogen ansieht, in jedem Fall spielt sich beides, Kunstproduktion und Kunstrezeption, in einem sozialen und politischen Kontext ab. Selbst wenn man versuchte, ihn nachdrücklich auszuklammern, bliebe er über die dadurch entstandene Leerstelle wirksam. Zuweilen ertrinkt die Kunst auch in solchen Kontexten. Dann verlieren sich die Differenzen zur Predigt, zur Propaganda und zum Design.
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Notes
- 1.
In dieses Kapitel sind viele Gedanken eingegangen, die in Gesprächen mit meinem mehrjährigen Mitarbeiter David Bosold erörtert wurden; vgl. u. a. Bosold u. von Bredow 2006.
- 2.
Dieser Begriff darf nicht nur quantitativ verstanden werden; er umfasst Gruppen und Kollektive mit minderen Rechten, unabhängig davon, wie groß diese Gruppen sind.
- 3.
Mir erscheint dieser Begriff als politischer Euphemismus, wovor man sich bei der Analyse von Politik besser in Acht nimmt. Deshalb vermeide ich seinen Gebrauch lieber.
- 4.
Ein „klassisches“ Beispiel für derartige Wirkungen des Theaters in Situationen von Krieg und Unterdrückung ist der Film „Sein oder Nichtsein“, den Ernst Lubitsch 1942 gedreht hat.
- 5.
Viele Anregungen in diesem Kapitel gegen auf Pia Kleber und Mike Lawrence zurück und auf unsere Arbeit in dem Workshop „Human Security and Culture – Redefining Security Through the Arts“, den wir im Wintersemester 2011 an der University of Toronto zusammen durchgeführt haben.
- 6.
Hierfür gibt es eine deprimierend lange Liste mit Beispielen. Genannt seien nur die Reaktion auf HIV/AIDS in den von dieser Pandemie betroffenen Gesellschaften und die Schwierigkeiten der „Weltgemeinschaft“ im Umgang mit dem planetarischen Klimawandel.
- 7.
In einer handlungsorientierten Betrachtungsweise entfällt der Unterschied zwischen beiden so gut wie vollständig.
- 8.
Obgleich diese Formulierungen auch der Theaterspiel-Theorie Bertolt Brechts nicht ganz gerecht werden, soll doch nicht unerwähnt bleiben, dass Mnouchkine Brechts Vorstellungen nie als entscheidende Anregung für das Théâtre du Soleil angesehen hat. Stattdessen verweist sie auf Namen wie Artaud, Grotowski, Stanislawskij und Vilar (vgl. auch Miller 2007, 16 ff.). In den Notizen von Stanislawskij (1958) zu Theater, Regie und Schauspieler taucht häufig dieselbe handwerkliche und künstlerische Gestimmtheit auf, die auch für das Théâtre du Soleil charakteristisch ist.
- 9.
Die Cartoucherie, eine ehemalige Munitionsfabrik in Vincennes am Stadtrand von Paris, ist seit 1970 der permanente Spielort für das Théâtre du Soleil.
- 10.
Aber vergessen wir nicht das halb melancholische, halb sardonische Diktum von Hans Magnus Enzensberger: Wir sind alle Kleinbürger.
- 11.
Es gab und gibt bis heute (obwohl inzwischen ihr Auslaufen absehbar ist) zwei verschiedene multinationale Militärmissionen in Afghanistan: die vor allem gegen internationale Terrorgruppen zielende Operation Enduring Freedom (OEF), die nicht nur, aber auch in Afghanistan abläuft, und die International Security Assistance Force (ISAF), deren Aufgabe darin besteht, die afghanische Regierung in ihren Bemühungen um die Befriedung des Landes zu unterstützen. Beide Missionen sind – auf unterschiedliche Weise – von der UNO legitimiert. Durchschlagender Erfolg ist ihnen jedoch versagt geblieben.
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von Bredow, W. (2012). Ariane Mnouchkine und Human Security. Transpositionen des Politischen im Théâtre du Soleil. In: Asbach, O., Schäfer, R., Selk, V., Weiß, A. (eds) Zur kritischen Theorie der politischen Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19669-5_17
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