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Politische Gesellschaft und demokratische Reformierbarkeit der EU

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Zur kritischen Theorie der politischen Gesellschaft
  • 2030 Accesses

Zusammenfassung

Mit dem Begriff der ‚politischen Gesellschaft‘ hat Michael Th. Greven die neuartige Qualität der sich aus dieser Tendenz ausbildenden Gesellschaft auf den Begriff gebracht (Greven 2009a). Nicht nur in seinem diesem Thema gewidmeten Buch, sondern in zahlreichen weiteren Veröffentlichungen hat er die politische Gesellschaft als Problem des Regierens und der Demokratie behandelt. Gerade weil er die immer weiterreichende Aufgabenübertragung an die Politik als einen unumkehrbaren gesellschaftlichen Entwicklungstrend betrachtet, der zu überbordender Komplexität und zur elitär bestimmten Effizienzorientierung des Regierens führt, sind seine Schriften von einer pessimistischen Sicht auf die Zukunft der Demokratie durchzogen. Seine Diagnose trifft die nationalstaatlich etablierten Demokratien ebenso wie das politische System der EU, denn nicht nur die Anforderungen des Regierens, sondern auch die Bewältigungsstrategien sind vergleichbar. Die Steigerung der Problemlösungskapazität gilt als oberstes Ziel, und zu diesem Zweck wird eine funktionale Ausdifferenzierung der Politikbearbeitung betrieben, die immer weitreichender transnational vernetzt ist. Dabei verwandeln sich die öffentlichen Organe von regierenden Autoritäten zu Kooperationspartnern, die den Regelungsadressaten Mitspracherechte verleihen, Experten umfassend in den Prozess der Politikformulierung einbinden, die Partizipationsmöglichkeiten von Interessengruppen ausdehnen und all dies in einem dichten Geflecht von informellen Parallelinstitutionen organisieren, in denen der politische Entscheidungs- und Implementationsprozess vorbereitet, begleitet und teilweise weitgehend autonom abgewickelt wird. Auf die demokratieschädlichen Folgen hat Michael Th. Greven immer wieder hingewiesen: Eine derart komplexe und ausufernde Organisation des Regierens überfordert den Bürger kognitiv und motivational und entzieht damit der Demokratie, die ja dem Willen der Bürger zur kollektiven Selbstbestimmung Ausdruck geben sollte, den Boden (Greven 2003, S. 86, 91).

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Notes

  1. 1.

    Siehe vor allem Greven 2003 und Greven 2009b.

  2. 2.

    Das Forschungsprojekt „Demokratisierung der EU durch Einbindung der Zivilgesellschaft“ wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und hat wesentliche Impulse aus dem gleichzeitig laufenden Exzellenznetzwerk CONNEX Efficient and Democratic Governance in a Multi-level Europe erhalten.

  3. 3.

    Wer als zivilgesellschaftliche Organisation (ZGO) zu betrachten ist, ist auf dem europäischen Parkett höchst umstritten, weil mit dem Qualitätsmerkmal ZGO höherrangige Legitimitätsansprüche verbunden sind, die auf eine bevorzugte Behandlung durch die EU-Institutionen hoffen lassen. Eine Umfrage unter einschlägig arbeitenden Forschern bestätigte die Wahrnehmung, dass auch in der Wissenschaft fundamentale Auffassungsunterschiede bestehen, die lediglich in dem Punkt konvergieren, dass gemeinwohlorientierte NGOs am ehesten als Vertreter der Zivilgesellschaft zu betrachten sind (Kohler-Koch u. Quittkat 2011).

  4. 4.

    Voraussetzung für diese Analyse war selbstverständlich eine Klärung, was unter „Zivilgesellschaft“ zu verstehen ist und welche Akteure als „zivilgesellschaftliche Organisationen“ zu klassifizieren sind (siehe dazu Kohler-Koch 2011c und Kohler-Koch 2011d). Da eine differenzierte begriffliche Auseinandersetzung hier zu weit führen würde, wird im Folgenden der engere Begriff „NGO“ benutzt, der auf die freiwillig organisierten, nicht-staatlichen und nicht gewinnorientierten Verbände zutrifft, die sich gemeinwohlorientierten Interessen verschrieben haben.

  5. 5.

    Zur weiteren Ausführung dieses Arguments im Rahmen unseres Projektes vgl. Hüller u. Kohler-Koch 2008.

  6. 6.

    Die empirische Überprüfung ergab, dass selbst bei den leicht zu beantwortenden Multiple-Choice-Fragebögen die Beteiligung weit unter 0,0001 Prozent der EU-Bevölkerung liegt und die Repräsentativität, gemessen an den üblichen sozialen Statuskriterien, massiv verzerrt ist (Kohler-Koch 2011, S. 252).

  7. 7.

    Die aktive und breite Unterstützung der Kampagne quer durch alle EP-Fraktionen wirft die Frage auf, ob die Bürgerinitiative nicht vom EP als Instrument genutzt wird, sich auf diesem Umweg ein legislatives Initiativrecht zu verschaffen. Zur Unterstützung durch das EP siehe http://www.8hours.eu/supporters (20.03.2012).

  8. 8.

    Aufschlussreich ist bereits der Auswertungsbericht zu den von der Kommission lancierten Europe Citizen Consultation Projects; vgl. DG Comm 2009.

  9. 9.

    So das Urteil der Social Platform, eines der wichtigsten NGO-Netzwerke auf EU-Ebene, in ihrer Reaktion auf die Ankündigung der damaligen Kommunikationspolitik der Kommission; vgl. Social Platform 2006.

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Kohler-Koch, B. (2012). Politische Gesellschaft und demokratische Reformierbarkeit der EU. In: Asbach, O., Schäfer, R., Selk, V., Weiß, A. (eds) Zur kritischen Theorie der politischen Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19669-5_15

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-19669-5_15

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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