Zusammenfassung
Einer der verlässlichsten Kritikpunkte an der Piratenpartei ist ihr tatsächlicher oder angeblicher Mangel an Inhalten. In Verbindung mit einem basisdemokratischen Verständnis, das Funktionärinnen und Funktionäre im wesentlichen auf Organisation, Verwaltung sowie inhaltlich auf die Kommunikation und Umsetzung der Beschlusslage reduziert, sind Medienauftritte von Piraten oft geprägt von der Weigerung, über die Beschlusslage hinaus Position zu beziehen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Für eine ausführliche vergleichende Analyse ausgewählter Wahlprogramme von 2009 und 2010 vgl. Neumann 2011a: 58–88.
- 2.
Eine Konfliktlinie in der Piratenpartei, die besonders in der ersten Boomphase um 2009 verhandelt wurde, ist der Konflikt zwischen „Kernis“ und „Vollis“, also Vertreter_innen eines auf die Kernkompetenzen beschränkten Programms und eines Vollprogramms. Spätestens mit dem Erfolg des Berliner Landesverbands, der innerparteilich als mehrheitlich Vollprogramm-orientiert gilt und dies auch in Wahlprogrammen deutlich macht, dürfte der Konflikt zugunsten der „Vollis“ entschieden sein, zumal eine parlamentarische Vertretung eine Beschränkung allein auf die Kernthemen immer schwieriger zu verwirklichen macht. In der Gegenbewegung dazu formiert sich um den ehemaligen Bundesvorsitzenden Jens Seipenbusch eine Gruppe, die eine programmatische Verdichtung um die Kernkompetenzen stärker anmahnt. (Vgl. Henzler 2012.)
- 3.
Diese Selbsteinschätzung ähnelt der Anfangsgeschichte der Grünen, als „nicht links, nicht rechts, sondern vorne“ ein oft verwendetes Schlagwort war. Vgl. dazu Abendroth 1983.
- 4.
Der politische Redaktionsprozess erinnert hier etwa an die schweizerische Praxis, mit der Bundesverfassung eigentlich unvereinbare Gesetzesvorhaben vermittels eines Volksentscheides in die Verfassung selbst aufzunehmen, wie etwa das Minarettverbot, das klar der in der Bundesverfassung niedergelegten Religionsfreiheit widerspricht und daher nur durch eine ergänzende Verfassungsbestimmung gesetztes Recht werden kann.
- 5.
Vgl. dazu etwa die Wahlprogramme in den Landesverbänden Nordrhein-Westfalen und Berlin. Die Bundessatzung kennt zwar Grundsätze der Partei, regelt aber die Befugnisse der Landesverbände bewusst kaum.
- 6.
Positiv formuliert: Die Parteitage der Piratenpartei erfüllen nicht nur eine bloß formale legimitatorische Funktion zur Inkraftsetzung vorher informell ausgehandelter Kompromisse, sondern sind tatsächlich um demokratische Entscheidungen ringende Gremien.
- 7.
Damit passt sich die Piratenpartei durchaus ins etablierte Parteiensystem ein, in dem – mit Ausnahme der Linkspartei – ein breiter Konsens über die grundsätzliche Anerkennung des marktwirtschaftlichen Systems bei gleichzeitiger Notwendigkeit sozialen Ausgleichs und steuernder und ordnender Staatstätigkeit herrscht, der nicht hinterfragt wird und bestenfalls in der jeweiligen programmatischen Rhetorik verschieden akzentuiert wird. Aus dieser Perspektive wirkt das Fehlen einer ausformulierten wirtschaftspolitischen Position pragmatisch und realistisch.
- 8.
Elsner 2012. Dirk Elsner erläutert in diesem Artikel ausführlich die Arbeitsweise der Piratenpartei anhand des festgestellten Mangels einer wirtschaftspolitischen Position.
- 9.
Dieser Anspruch zeigt aber auch einen populistischen Aspekt einer Parteienkritik, die verkennt, daß eine Funktion der Parteien gerade ist, Interessen zu aggregieren: „[Der] Ruf nach Gemeinwohl und Überparteilichkeit klingt verdächtig nach der Sehnsucht nach überparteilichen Parteien, die keine Interessen, sondern nur das Gemeinwohl kennen. Insofern erinnert viel von dieser Kritik fatal an die Position des Konservativismus zum Ende der Weimarer Republik mit seiner Abneigung gegen die Parteien des ‚Systems‘“. (von Alemann 1996: 4).
Literatur
Abendroth, Wolfgang (Hrsg.) (1983): Nicht links – nicht rechts? Über die Zukunft der Grünen. Hamburg: Vsa Verlag.
Alemann, Ulrich von (1996): Die Parteien in den Wechsel-Jahren? Zum Wandel des deutschen Parteiensystems, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B6, S. 3–8.
Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Elsner, Dirk, Auf der Suche nach dem wirtschaftspolitischen Kern der Piraten, http://carta.info/42844/auf-der-suche-nach-dem-wirtschaftspolitischen-kern-der-piraten/ (16. 4. 2012).
Heller, Christian (2011): Post Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre. München: Beck.
Henzler, Claudia, „Gruppe 42“ will Piratenpartei reformieren, in: Süddeutsche Zeitung on-line vom 19. Februar 2012, http://www.sueddeutsche.de/politik/kritik-von-ur-parteimitgliedern-gruppe-will-piratenpartei-reformieren-1.1288253 (16. 04. 2012).
Neumann, Felix (2011a): Die Piratenpartei. Entstehung und Perspektive. http://fxneumann.de/2011/10/08/die-piratenpartei-entstehung-und-perspektive/ (16. 04. 2012).
Neumann, Tobias (2011b): Die Piratenpartei Deutschland. Entwicklung und Selbstverständnis. Berlin: Contumax.
Piratenpartei, Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland, http://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm (16. 04. 2012).
Seemann, Michael, Das politische Denken der Piraten, in: ctrl+verlust vom 6. Oktober 2011, http://www.ctrl-verlust.net/das-politische-denken-der-piraten/ (16. 04. 2012).
Sturm, Roland (2001): Der Dritte Weg – Königsweg zwischen allen Ideologien oder selbst unter Ideologieverdacht?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B16-17, S. 16–17.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2013 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Neumann, F. (2013). Plattformneutralität. Zur Programmatik der Piratenpartei. In: Niedermayer, O. (eds) Die Piratenpartei. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19475-2_10
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-19475-2_10
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-19474-5
Online ISBN: 978-3-531-19475-2
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)