Zusammenfassung
Für die Entwicklung einer straffreien Lebensperspektive nach einer Entlassung sind aus der kriminologischen Forschung wichtige Schlüsselthemen bekannt. So gilt es etwa, sich wieder in den Leistungsbereich zu integrieren, sozial tragfähige Kontakte aufzubauen oder auch innere Haltungen, wie das eigene Selbstbild, Kosten-Nutzen-Überlegungen und das moralische Bewusstsein positiv zu entwickeln (Stelly/Thomas 2007: 440 u. 443 sowie 2004: 115 f.; Mischkowitz 1993: 300 f. u. 377 f.). Da die meisten Strafgefangenen darüber hinaus Schulden haben, sind die Entfaltung eines an den eigenen finanziellen Möglichkeiten orientierten Gebarens und die Bewältigung der Schuldensituation höchst relevant, um die neue Freiheit nicht zu gefährden (Seebode 1983: 176; Stelly/Thomas 2004:248ff.; Kleinöder 2007: 69).
Der Aufsatz ist eine erweiterte Schriftfassung des gemeinsam mit Professor Dr. Dr. Michael Bock zum Symposium „Gesellschaftliche Teilhabe trotz Schulden? Perspektiven interdisziplinären Wissenstransfers“ gehaltenen Vortrags vom 10. Juni 2011. Der Verfasser bedankt sich bei Professor Bock für wertvolle inhaltliche Anmerkungen zum Manuskript.
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Notes
- 1.
Stellvertretend für alle sei genannt § 74 S. 1 Strafvollzugsgesetz.
- 2.
Die Angewandte Kriminologie bietet mit ihrer Methode der idealtypisch vergleichenden Einzelfallanalyse (MIVEA) eine erfahrungswissenschaftlich abgesicherte und in der Praxis erprobte Möglichkeit, die kriminologisch relevanten Stärken und Schwächen eines Menschen zu erkennen und ermöglicht es so, passende Angebote zur Unterstützung auszuwählen.
- 3.
Nicht wenige Teilnehmer fragen das Forschungsteam darüber hinaus, ob nicht die Fortführung des Projekts und die Finanzierung eines Zeitpunkts t5 in Aussicht stünde. Dies hätte auch einen kriminalpolitischen sowie kriminologischen Erkenntniswert und wäre mit überschaubaren finanziellen Mitteln zu leisten. Gleichwohl sind die benötigten Gelder derzeit nicht vorhanden.
- 4.
Zu t3 waren lediglich 6 Teilnehmer erneut in Haft, mehrheitlich solche mit massiven Drogenkarrieren.
- 5.
Zu den Gründen vgl. die Ausführungen in Abschnitt 1: Schulden bei (ehemaligen) Strafgefangenen. Hinzu kommen Auskunftsverweigerungen.
- 6.
Der Zeitpunkt t4 wurde der Vollständigkeit halber mit aufgenommen. Er gewinnt an Aussagekraft, sobald die ausstehenden Erhebungen abgeschlossen werden konnten.
- 7.
Begrifflich wird in den Sozialwissenschaften zwischen der Ver- und Überschuldung unterschieden. Von Überschuldung wird gesprochen, wenn das vorhandene Einkommen und der eigene Besitz (längerfristig) nicht mehr ausreichen, um die notwendigen Kosten zur Lebensführung und die vorhandenen Zahlungsverpflichtungen zu decken. Dagegen ist die Verschuldung ein gängiger Bestandteil des Wirtschaftslebens, die rollenkonformes Verhalten erwarten lässt (vgl. zu den Definitionen Korczak 2001: 7, 23 und 40).
- 8.
Im Gegenzug gibt es entsprechende D-Kriterien zu Beschreibung der Stärken eines Menschen (Bock 2007: 168ff).
- 9.
Weitere Beispiele sind Schadensersatzforderungen, Bußgelder, Zwangsgelder, Ordnungsgelder und die Nebenfolgen einer Straftat oder auch Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldzahlung verbunden sind.
- 10.
Ausführlich zum kriminologischen Zusammenhang von finanziellen Verhältnissen und finanziellem Gebaren vgl. Bock/Rau 2010.
- 11.
Präzise zu bezeichnen als Idealtypen der Stellung der Tat im Lebenslängsschnitt. „Bei der Tübinger Jungtäter–Vergleichsuntersuchung … wurde versucht, die Unterschiede im Sozialverhalten und im Lebenszuschnitt, die zwischen den H ( = Häftlings)- und den V ( = Vergleichs)-Probanden festgestellt worden waren, zu systematisieren und in einer Synopse extremer, zugespitzter Verhaltensweisen dazustellen“ (Bock 2007: 35). Aus diesen Verhaltensweisen wurden schließlich die Idealtypen extrahiert.
- 12.
Bei der Verlaufsform der „kontinuierlichen Hinentwicklung zur Kriminalität“ wird innerhalb der Angewandten Kriminologie nochmal zwischen den Ausprägungen mit frühem und spätem Beginn differenziert.
- 13.
Diese grundsätzliche Prognose wird, wie bereits erwähnt, in weiteren Schritten für den Einzelfall konkretisiert und kann sich abschließend dementsprechend günstiger oder ungünstiger darstellen (vgl. Bock 2007: 203–211).
- 14.
Es sind auch auf der Ebene der Verhältnisprävention Verbesserungen zu fordern – exemplarisch kann hier nochmals der Bereich der prekären Beschäftigung genannt werden – gleichwohl werden sich diese Dinge bestenfalls langsam ändern.
Literatur
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Rau, M. (2012). Schuldenbewältigung trotz Knast? Exemplarische Zeitreihendaten aus dem Wiesbadener Verlaufsprojekt zur Schuldensituation von ehemaligen Strafgefangenen. In: Gesellschaftliche Teilhabe trotz Schulden?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19449-3_8
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