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Habermas’ Theorie der deliberativen Politik

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In guter Gesellschaft?

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird Habermas’ Theorie der deliberativen Politik in ihren wichtigsten Grundzügen vorgestellt und systematisch entfaltet. Zwei Ansprüche stehen dabei Pate. Zum einen soll Habermas’ Theorie in ihrer Eigenlogik rekonstruiert werden. Die Theorie wird so dargestellt, wie Habermas selbst sie sieht. Voraussetzungen, die Habermas macht, werden übernommen, gleiches gilt für theoriespezifische Schwerpunktsetzungen und Auslassungen. Abstrakt können solche Eigenschaften als Selektionen aufgefasst werden, die der Autor der Theorie unter mehreren Möglichkeiten getroffen hat. Wenn wir diese Selektionen im Folgenden als solche offenlegen werden, dann nicht, um sie zu kritisieren, sondern um sie dem Leser als charakteristische Merkmale der Theorie vor Augen zu führen. Zum anderen bemühen sich die folgenden Ausführungen, die Theorie als Ganzes in einzelne Teile zu untergliedern und die internen Verbindungen zwischen den einzelnen Bestandteilen aufzuzeigen.

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Notes

  1. 1.

    Ich verwende im Folgenden z. T. verschiedene Bezeichnungen für die von Habermas in Faktizität und Geltung entworfene Theorie: Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats; Theorie der deliberativen Politik bzw. der deliberativen Demokratie; Diskurstheorie der Politik – meine damit aber stets dasselbe.

  2. 2.

    S. z. B. Parsons und Shils (1951, S. 16).

  3. 3.

    Ich will hier nicht weiter auf Habermas’ Differenzierung der erhobenen Geltungsansprüche nach propositionaler Wahrheit, subjektiver Wahrhaftigkeit und normativer Richtigkeit eingehen (s. dazu Habermas (1981, S. 410 ff.)); es sei nur kurz erwähnt, dass im Rahmen von Habermas’ Diskurstheorie der Politik vor allem die normativen Geltungsansprüche interessieren.

  4. 4.

    Wie auch Habermas (1992, S. 23) einsieht.

  5. 5.

    S. Habermas (1992, S. 37). Hier wird nochmals Habermas’ Anschluss an die klassische Konzeption von sozialer Integration sichtbar: Das Problem sozialer Ordnung besteht demnach in der „Boykottierung des Boykottierens“ (Luhmann 1984, S. 165), also in der Unterdrückung abweichenden, den sozialen Commonsense negierenden Verhaltens.

  6. 6.

    Sie sind zwar kommunikativ bewusst verfügbar, aber dennoch der Problematisierung entzogen.

  7. 7.

    Habermas spricht auch von jetzt „ausdifferenzierte(n), in sich pluralisierte(n) und entzauberte(n) Lebenswelten“ (1992, S. 43).

  8. 8.

    Dieser Doppelcharakter, den Habermas auch als internes Spannungsverhältnis im Recht zwischen Faktizität und Geltung bezeichnet, wird von ihm teilweise mit verschiedenen Begriffspaaren belegt: Legalität – Legitimität; Soziale Geltung – Gültigkeit; Soziale Akzeptanz – rationale Akzeptabilität; Positivität des Rechts – Gerechtigkeit des Rechts. Im Kern geht es dabei aber stets um dieselbe Spannung.

  9. 9.

    Um den Unterschied zu markieren, könnte man auch sagen: Während die traditionellen Inhibitoren der Lebenswelt und der archaischen Institutionen die Spannung zwischen Faktizität und Geltung einebnen, artikuliert der moderne Inhibitor des Rechts gerade dieses Spannungsverhältnis.

  10. 10.

    „In der Positivität des Rechts gelangt nicht die Faktizität eines beliebigen, schlechthin kontingenten Willens zum Ausdruck, sondern der legitime Wille, der sich einer präsumptiv vernünftigen Selbstgesetzgebung politisch autonomer Staatsbürger verdankt.“ (Habermas 1992, S. 51).

  11. 11.

    Wie wir noch sehen werden, wird dieser Legitimationsprozess zur Entlastung der Rechtsgenossen rechtlich institutionalisiert. Allerdings bleibt der Grundsatz im Kern bestehen: „Die kommunikative Freiheit der Staatsbürger kann, wie wir sehen werden, in der organisierten Selbstbestimmungspraxis eine durch rechtliche Institutionen und Verfahren vielfach vermittelte Form annehmen, aber nicht vollständig durch zwingendes Recht substituiert werden.“ (Habermas 1992, S. 52).

  12. 12.

    Zumindest institutionell betrachtet und bezogen auf normative Geltungsansprüche. Habermas selber geht wohl davon aus, dass gesellschaftliche Integration vor allem alltäglich und dezentral über kommunikatives Handeln vollzogen wird. Wie ich oben aber gezeigt habe, ist dabei das Recht die wichtigste Bedingung der Möglichkeit einer derartigen – auf alltäglichen Verständigungsprozessen basierenden – Integration der modernen Gesellschaft.

  13. 13.

    Eine solche „defaitistische Preisgabe“ (1992, S. 13) sieht Habermas u. a. in solch „szientistischen Reduktionen“ (ibid., S. 11) wie Luhmanns Systemtheorie der Politik vorliegen.

  14. 14.

    Die diskurstheoretische Lesart des Rechtsstaates besagt also, dass es darum geht, „ein System von Rechten in Kraft zu setzen, das (…) die politische Autonomie der Staatsbürger durch die Institutionalisierung einer unparteilichen Meinungs- und Willensbildung gewährleisten“ (Habermas 1992, S. 412 f.; Herv. i . O.) soll. „Die Prinzipien des Rechtsstaates werden dabei als konsequente Antwort auf die Frage begriffen, wie die anspruchsvollen Kommunikationsformen einer demokratischen Meinungs- und Willensbildung institutionalisiert werden können.“ (ibid., S. 361).

  15. 15.

    „Die diskursethische Lesart von politischer Autonomie macht eine Differenzierung im Begriff der politischen Macht nötig. Der rechtsförmig konstituierten Macht der staatlichen Administration ( = administrative Macht; T.K.) muß, wenn die Gerechtigkeitsressource, aus der sich das Recht selbst legitimiert, nicht versiegen soll, eine rechtsetzende kommunikative Macht zugrundeliegen.“ (Habermas 1992, S. 183).

  16. 16.

    Habermas spricht von „den objektiv-rechtliche(n) Implikationen, die in den subjektiven Rechten in nuce enthalten sind.“ (Habermas 1992, S. 168; Herv. i. O.; s. für eine Erläuterung ibid., S. 167 f.).

  17. 17.

    Ich überspringe bei meiner Darstellung hier einen Punkt, den Habermas noch vor dieser Funktion des Systems der Rechte im Rahmen der Willensbildung geltend macht: die Tatsache, dass das System der Rechte die private und die öffentliche Autonomie (Menschenrechte und Volkssouveränität) miteinander versöhnt. Dieser Punkt ist für meine Argumentation nicht zentral.

  18. 18.

    Als abstrakte Rechtskategorien klingen diese Rechte bei Habermas so: 1) Das Grundrecht auf das größtmögliche Maß gleicher subjektiver Handlungsfreiheiten, mit den folgenden beiden Rechtskategorien als notwendigen Korrelaten: 2) das Grundrecht auf Mitgliedschaftsstatus (Bürgerschaftsstatus) in der Rechtsgemeinschaft sowie 3) das Grundrecht auf Einklagbarkeit seiner Rechte, also auf individuellen Rechtsschutz; 4) das Grundrecht auf Teilnahme am Prozess der autonomen Selbstregierung; schließlich 5) das Grundrecht auf die Gewährung derjenigen (materiellen, sozialen) Voraussetzungen, die für eine effektive Inanspruchnahme der bereits eingeführten Grundrechte gewährleistet sein müssen. (Vgl. Habermas 1992, S. 155 ff.).

  19. 19.

    Diese Insuffizienz umfasst zwei Ebenen: einmal kann das System der Rechte nicht garantieren, dass es überhaupt komplett realisiert wird, und zweitens kann es selbst in dem Fall, wo es eingerichtet wurde, nicht garantieren, dass die Bürger in seinem Rahmen auch an den Verständigungsprozessen über die normativen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens teilhaben werden – anstatt sich einfach zurückzuziehen und sich anderen Dingen zu widmen.

  20. 20.

    Habermas übernimmt hier ein Zitat von Hannah Arendt.

  21. 21.

    Als einzige Ausnahme erwähnenswert wäre Habermas’ Hinweis auf politische Entscheidungszwänge, aufgrund derer Diskurse häufig vorzeitig durch Mehrheitsbeschluss beendet werden müssen – wobei natürlich vorausgesetzt bleibt, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt stets wieder aufgenommen werden können (s. Habermas 1992, S. 371).

  22. 22.

    Diese Begriffe übernehme ich von Brunsson (1989).

  23. 23.

    „Die Idee des Rechtsstaates läßt sich dann allgemein als die Forderung interpretieren, das über den Machtkode gesteuerte administrative System an die rechtsetzende kommunikative Macht zu binden und von den Einwirkungen sozialer Macht, also der faktischen Durchsetzungskraft privilegierter Interessen, freizuhalten. Die administrative Macht soll sich nicht selbst reproduzieren dürfen.“ (Habermas 1992, S. 187).

  24. 24.

    Bzw. wird in den meisten Fällen die Peripherie nur hochgradig selektiv berücksichtigt, da andernfalls eine Entscheidung nicht mehr möglich wäre. Und die Kriterien der Selektion der zu berücksichtigenden Interessen decken sich in der Praxis dabei gerade nicht mit Habermas’ Ideal eines barrierefreien Zugangs aller von der Entscheidung betroffenen Bürger zum politischen Zentrum.

  25. 25.

    „Der Druck der öffentlichen Meinungen erzwingt dann einen außerordentlichen Problemverarbeitungsmodus, der die rechtsstaatliche Regulierung des Machtkreislaufes begünstigt, also Sensibilitäten für die verfassungsrechtlich geregelten politischen Verantwortlichkeiten aktualisiert.“ (Habermas 1992, S.  433).

  26. 26.

    Die auffällige Anhäufung von Anführungszeichen im obigen Zitat deutet allerdings darauf hin, dass Habermas wohl selber nicht ganz wohl bei dieser Aussage ist. Wer ist denn hier befugt, über die Qualität der öffentlichen Meinung zu entscheiden? Für einen Systemtheoretiker verweisen solche Kriterien nur auf die Willkür eines Beobachters. Da hilft es auch nichts, wenn man sich auf scheinbar neutrale prozedurale Kriterien des Zustandekommens einer qualifizierten öffentlichen Meinung zurückzieht.

  27. 27.

    Dies ist insofern unbefriedigend, als Habermas sich bereits in seinem frühen Werk Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) durchaus skeptisch gegenüber der Fähigkeit der Öffentlichkeit zur Rationalisierung der Politik in der modernen Gesellschaft geäußert hat. In Faktizität und Geltung weicht er einer realistischen Einschätzung der Macht der Peripherie aus und belässt es beim bloßen Hinweis auf die Möglichkeit.

  28. 28.

    „Generell wird man sagen können, daß sich das vom Fernsehen konstruierte Bild der Politik weitgehend aus Themen und Beiträgen zusammensetzt, die bereits für die Medienöffentlichkeit produziert und über Konferenzen, Verlautbarungen, Kampagnen usw. in sie eingeschleust werden. Die Informationsproduzenten setzen sich um so stärker durch, je mehr sich ihre Öffentlichkeitsarbeit durch personelle Besetzung, technische Ausstattung und Professionalität auszeichnet. Kollektive Aktoren, die außerhalb des politischen Systems oder außerhalb gesellschaftlicher Organisationen und Verbände operieren, haben normalerweise geringere Chancen, Inhalte und Stellungnahme der großen Medien zu beeinflussen. Das gilt besonders für Meinungen, die aus dem ‚ausgewogenen‘, d. h. zentristisch eingeschränkten und wenig flexiblen Meinungsspektrum der großen elektronischen Medien herausfallen.“ (Habermas 1992, S. 455).

  29. 29.

    Ich werde später (4.1.1) noch genauer auf die Methode der rekonstruktiven Soziologie zu sprechen kommen und dann auch auf die Frage antworten, warum Habermas sich weigert, angesichts der Diskrepanz zwischen seiner Theorie und der gesellschaftlichen Wirklichkeit Abstriche an seinen Idealvorstellungen zu machen.

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© 2012 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden

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König, T. (2012). Habermas’ Theorie der deliberativen Politik. In: In guter Gesellschaft?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19365-6_2

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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