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Die zerbrechliche Welt und Hingabe zur Stabilität

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Zur Aktualität von Erving Goffman
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Zusammenfassung

In dem Maße, in dem wir nicht Herrscher über die Interpretationen sind, durch die andere unsere Handlungen deuten, sind wir deren Deutungen ausgeliefert und müssen darauf vertrauen, dass sie die vielen Möglichkeiten, unsere Realitäten zu zerbrechen, nicht nutzen. Wir brauchen uns daher gegenseitig, damit soziale Situationen funktionieren; andere müssen unsere Realitäten mittragen. Die Statusbeispiele zeigten bereits an, dass diese gegenseitigen Unterstellungen prekäre Angelegenheiten sind: Wo Realitäten in gemeinsamer Aktivität im Licht all dieser Bedeutungen und unterstellten (und unterstellbaren) Eindrücke aufrechterhalten werden müssen, da können sie auch gebrochen werden, wenn andere nicht mitspielen.

We’re at the mercy of each other and ourselves.

– Abed Nadir (Danny Pudi), Community S02E07, „Aerody­namics of Gender“ (Dan Harmon, Adam Countee, Autoren).

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Notes

  1. 1.

    Übrigens eine Erklärung, die psychiatrisch gerne behandelte „Agoraphobie“, Angst davor, das Haus zu verlassen, viel besser erklärt als die biochemischen Geister, die Psychiater hierzu rufen (s. Kap. 7): Die Personen reagieren auf eine tatsächliche Gefahr, die umso größer wird, je stärker sie stigmatisiert werden und je unzufriedener sie mit den Darstellungen sind, die sie in den Interpretationen anderer präsentieren. Das Problem ist keine paranoide Illusion; das Problem ist das Fehlen der Coolness, sich der Gefahr dennoch auszusetzen und vor allem die Unfähigkeit, in diesen Unterstellungen ein Eindrucksmanagement zu spielen, mit dem sie sich aus diesen Stigmatisierungen herausspielen könnten. Ob sie dazu in der Lage sind, entscheidet sich aber nicht nur an ihnen, sondern eben auch an den Interpretationen des Publikums. Viele, die sich diesem Publikum nicht aussetzen – vor allem Schüler, deren Publikum aus Mitschülern besteht – haben in ihrer Einschätzung oft recht, dass dieses Publikum durch kaum ein Eindrucksmanagement auf ihre Seite gebracht werden kann, vor allem, wenn vorherige Spiele Außenseiterrollen verfestigt haben. Diese Personen brauchen vielleicht viel seltener Medikamente, als sie gegenwärtig erhalten, um ihre Angst zu überwinden; sie brauchen neues Publikum, dem sie vom ersten Tag an mit einem anderen Eindrucksmanagement begegnen müssen.

  2. 2.

    Wenn der „Aggressor“ das unterstellt, kann diese Situation ausgenutzt werden: „knowing that his victim is likely to seek almost any means to avoid a show-down, can force him to face up to a display of the weakness before witnesses, while the aggressor displays his own bravery“ (IR: 248-9).

  3. 3.

    Goffman schiebt den etwas traurigen Satz nach, „Some men have much experience with second looks; other men, practically none“ (ibid.).

  4. 4.

    S. Fußnote 22: Yiddish für „Maschen“.

  5. 5.

    Die Formulierung ist übrigens bemerkenswert: Man gibt Darstellungen, in denen man sich als gebunden von jenen Regeln präsentiert, von denen man annimmt, dass andere sie auf einen anwenden werden. Das gibt Goffmans Position zur „Regelgeleitetheit“ der Welt konzise wieder. Regeln tun gar nichts und sagen nichts Bestimmtes. Es geht vielmehr um die unterstellten Interpretationen anderer, was einen da bindet und wie es einen bindet, und den eigenen expressiven Umgang damit.

  6. 6.

    Vgl. oben „Bindungszeichen“: Ein Bindungszeichen, so wurde dargestellt, kann als Nebeninvolvierung eingeführt werden, während die Hauptinvolvierung aufrecht erhalten wird. Und dann vgl. „Absicht und Verantwortung“: Während die Hauptinvolvierung die verantwortliche ist, kann diese Nebeninvolvierung unter dem Radar der gegenseitigen offiziellen Anerkennung fliegen, was es möglich macht, sich „inoffiziell“ wieder aus ihr zurückzuziehen, wenn die erwünschte Reaktion ausbleibt.

  7. 7.

    Geschichten, die er von Onkel Mickey Book hat? Siehe Kap. 2.

  8. 8.

    Dagegen gibt es natürlich auch „heater“, solche Interaktionspartner, die Personen dazu aufstacheln, eine Angelegenheit zum schärferen Bruch zu führen.

  9. 9.

    Das findet sich ebenso früh in Presentation of Self, wo Goffman über Therapeuten sagt, sie „participate so widely in the domestic warfare of our times“ (POS: 153).

  10. 10.

    Aber das eröffnet auch das Spiel, „Bitten“ strategisch zu verwenden, um mit ihnen Anweisungen zu verdecken: „All compelling are clothed, howsoever lightly, as requests“ (RIP: 115), was zum Beispiel im Arbeitsalltag sehr deutlich sichtbar wird.

  11. 11.

    Dazu zählen Motivreden (Mills 1940; Albas/Albas 2003), Disclaimer, Proclaimer; Stokes und Hewitt erkennen im psychoanalytischen Reden vom „Unterbewusstsein“ ein häufig verwendetes Vokabular zur Wiederherstellung ritueller Harmonie (1976, ausgearbeitet von Krug 2012).

  12. 12.

    Ich verdanke dieses Beispiel Marc-André Vreca.

  13. 13.

    Das Problem der „Unwahrheit“ ergibt sich für die hier eingenommene Perspektive ebenso wieder nur dramaturgisch, nicht moralisch. Wenn eine Darstellung präsentiert wird, die entweder von anderen und ihren Darstellungen zerschlagen werden kann (die Versionen der Geschichte haben, die zum dargestellten Rettungsritual nicht passt), dann haben wir eine instabile Rettung, da die Realitätskonstruktion noch nicht beendet ist. Viel Nervosität wird von der looking-glass-Unterstellung verursacht, dass erstens andere Versionen der Geschichte präsentieren werden und dass zweitens diejenigen, mit denen man sich rituell ins richtige Licht gerückt hat, diese anderen Versionen zum Anlass nehmen werden, die rituelle Balance wieder aufzukündigen. Ein „schlechtes Gewissen“ ist ein Spiel gegen sich selbst: Man gibt selbst Darstellungen ab, die mit den Darstellungen zur Glättung der rituellen Unbalanciertheit nicht vereinbar sind, und man erwartet auch hier einen Bruch. Mit anderen Worten: Die rituelle Balance mit den anderen Verletzten hat einen selbst zum Verletzten gemacht; man ist rituell mit sich selbst nicht in Balance.

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© 2014 Springer Fachmedien Wiesbaden

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Dellwing, M. (2014). Die zerbrechliche Welt und Hingabe zur Stabilität. In: Zur Aktualität von Erving Goffman. Aktuelle und klassische Sozial- und Kulturwissenschaftler|innen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19261-1_6

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-19260-4

  • Online ISBN: 978-3-531-19261-1

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