Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in der Öffentlichkeit und in den Medien das Internet thematisiert wird: Meist sind es missbräuchliche Nutzungen und Verwendungen persönlicher Daten, der Urheberrechte oder Machenschaften der mächtigen Internet-Konzerne wie Facebook, Google, Amazon und andere; mal sind es Initiativen und Vorhaben von Staaten, inter- und supranationalen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Gruppierungen oder auch Unternehmen, um das eine oder andere Problem, das sich bei Netzkapazitäten, Verteilungsgerechtigkeit, Interessenkollisionen etc. auftut, auf gesetzlichem oder vertraglichem Weg zu lösen. Mal sind es Konzepte und Visionen, wie sich diese grandiose, vielseitig nutzbare und nützliche Infrastruktur weiter entwickeln soll, welche Potentiale und Chancen sie für die wirtschaftliche, kulturelle, soziale Entwicklung birgt, welche neuen Technologien und Anwendungen sich für sie abzeichnen, aber auch welche Gefährdungen und Risiken mit ihnen verbunden sind, etwa wie abhängig, beeinflusst und auch vereinsamt die Menschen durch sie geworden sind oder werden und wie sie sich neben dieser mächtigen und riesigen virtuellen Welt noch die reale, heimische und authentische bewahren sollen. Über die zuletzt genannten Fragen wird besonders gern im deutschsprachigen Raum räsoniert, natürlich mit Texten, die am PC oder Laptop geschrieben und per Internet an die Verlage geschickt werden.

Denn offensichtlich und unumkehrbar ist auch, dass nahezu fast alle Menschen in den hochentwickelten Staaten und auch zunehmend in den Schwellen- und Entwicklungsländern das Internet, seine Anwendungen (und seine künftigen Versionen) immer häufiger und in größerer Breite nutzen und dabei immer versiertere Nutzungskompetenzen entwickeln. Dies ist auch das implizite, quasi einprogrammierte Ziel der modernen, immer eleganter, variantenreicher und flexibler werdenden Geräte: Dass sich kein User darum kümmert und kümmern muss, was sich hinter dem schicken Display und den handlichen Tastaturen verbringt, mit welchen Strukturen und Mechanismen ihm/ihr Informationen und Daten darauf gezaubert werden, welche Interessen, Geschäftsmodelle und Profite mit ihnen verknüpft sind, wer welche virtuellen Terrains mit ihnen behauptet oder behaupten will. Allenfalls in Science Fiction-Szenarien (meist im ehrwürdigen Medium Kino) tauchen – dort faszinierend und packend gestaltet – Vergehen, Konflikte und auch Kriege in und um Cyberräume auf, die sich mit dem schmucken, vertrauten Handy kaum in Verbindung bringen lassen.

Über solche Zusammenhänge reflektieren hingegen noch sehr wenige. In den Qualitätsmedien sind es meist die Feuilletons, die auch dabei ihren traditionellen Aufgaben der Kultur- und Medienkritik frönen, nicht aber die approbierten Ressorts von Politik und Wirtschaft. Forschungen und Studien werden vergleichsweise noch wenige betrieben, gemessen etwa am sonstigen Output der Kommunikations- und Medienwissenschaften und der Politikwissenschaft (im Teilbereich Internationale Beziehungen). Daher wissen auch Studierende – allesamt habituelle und versierte Internet-User – relativ wenig darüber; ein Begriff wie Internet Governance können nur wenige erklären und einordnen. Deshalb soll mit dieser Einführung, die auch Lehrbuchcharakter hat, der Versuch unternommen werden, möglichst übergreifendes, systematisches Strukturwissen über die wichtigsten Dimensionen und Aspekte zur Regulierung des Internets, deren Problematik und Grenzen zu vermitteln. Dies kann bei einem globalen und zugleich unendlich vielschichtigen Phänomen wie dem Internet selbstverständlich nicht vollständig gelingen; und da ständig ‚alles im Fluss’ ist, liegt es auch nahe, dass alle Informationen dem zeitlichen Wandel unterworfen sind, auch wenn man sich um möglichst strukturell angelegte Analysen bemüht, die längere Halbwertzeiten aufweisen sollten. Diese Intention lässt sich noch etwas vertiefen, wenn man die einschlägigen Entwicklungen in breitere und länger anhaltende historische Zusammenhänge einbettet. Man kann dadurch zeigen, dass erstens nicht alles, was mit dem Internet verbunden ist, wirklich so neu ist, wie oft behauptet wird, viele der angeblich internetspezifischen Probleme auch mit älteren, traditionellen Medien verbunden waren und sind. Viele überkommene Themen werden (nur) neu disponiert und strukturiert. Außerdem muss man sich vergegenwärtigen, dass die so genannten realen und analogen Welten durchaus noch neben (oder auch über) dem Internet existieren und sich durchaus noch wechselseitig beeinflussen. Aber auch die umgekehrte Erkenntnis wird noch zu wenig beherzigt: Dass es kaum mehr Untersuchungsfelder und Themen gibt, die nicht eine Internet-Dimension besitzen, zumal wenn man aus wissenssoziologischer Sicht die jeweilige Erkenntnisgewinnung und Forschungsplanung bedenkt; allerdings ist diese nicht die einzige, sondern mit anderen wechselseitig verbunden. Da das Manuskript im ersten Quartal von 2013 abgeschlossen wurde, sind die Zeitachsen und Entwicklungen im Wesentlichen bis Ende 2012 gezogen.

Universalität und vielfältige Funktionalität des Internets verlangen ohne Frage einen inter- oder sogar transdisziplinären analytischen Zugang (womöglich ist dies ein wichtiger Grund, weshalb mehr disziplinäre Fallstudien denn solide Übersichten vorliegen). Neben Informations- und Kommunikationswissenschaften, aber nicht nur mit ingenieurwissenschaftlicher, technischer oder gar Informatikperspektive, sind vor allem die Rechtswissenschaft, die Politikwissenschaft, die Soziologie, die Psychologie und die Volks- und Betriebswirtschaft berührt, wenn die wichtigsten Themen und Aufgaben des Internets analytisch bearbeitet werden sollen. Damit wären zahlreiche Fachvertreter an einer solchen Übersicht zu beteiligen; und sicherlich ist sie von zwei, einem Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen und einem Kommunikations- und Medienwissenschaftler, nicht gänzlich und bis ins letzte Detail zu bestreiten.Footnote 1 Diese Einschränkung, die besonders für die mitunter recht komplexe Materie des nationalen, europäischen und internationalen Internet-Rechts und seiner Verträge gilt, sei vorab gemacht.

Da sich diese Einführung auch an Leserinnen und Leser richtet, die sich noch kaum oder nur wenig mit den strukturellen Fragen des Internets befasst haben, werden die genannten strukturellen Grundlagen im Duktus eines seriösen Sachbuchs vermittel. Methodisch bieten sich dafür mindestens drei Wege an: ein systematischer, ein akteurs- und ein themenbezogener Ansatz. Wir glauben bei der Präsentation und inhaltlichen Füllung aller drei Ansätze der besagten Universalität und vielschichtigen Funktionalität des Internets am genauesten und gründlichsten gerecht zu werden. Dem ersten Ansatz folgen die nächsten drei Kapitel, die sich mit der Erklärung von Begrifflichkeiten und besonders mit den von ihnen bezeichneten Sachverhalten befassen, wobei eine Fluchtlinie von eher abstrakten zu konkreten Begriffen und Themen gezogen wurde. Im folgenden 2. Kapitel werden daher der zentrale Begriff Governance und die ihn nutzenden bzw. explizierenden Forschungen vorgestellt: Ohne Frage bleibt die Kategorie der Governance oder auch der Global Governance breit, schwankend zwischen analytischem und normativem Verständnis und damit auch etwas willkürlich; dies könnte aber auch eine Chance darstellen, um neue Phänomene wie die erodierende Regulierungsfähigkeit der klassischen Nationalstaaten, das Aufkommen und die wachsenden Einflusspotentiale der so genannten Zivilgesellschaft und transnationaler Akteure (darunter auch internationaler Organisationen, transnationaler Konzerne), die vielfach diskutierte Medialisierung der Lebenswelten und endlich die Ausbreitung des Internets als neue virtuelle Infrastruktur zu ermessen. Im dritten Kapitel werden überkommene Gestaltungs- und Regulierungskonzepte für die Medien wie Medienpolitik und Medienregulierung dargestellt und ihre Unterschiede zum neuen Konzept der Media Governance herausgearbeitet.

Schließlich fokussiert das vierte. Kapitel Strukturen und Mechanismen der Regelung für das Internet unter der Prämisse von Internet Governance. Dabei wird erstmalig die Entwicklung von Internet Governance seit den Anfängen des Netzes seit dem Ende der 1950er Jahre bis 2012 rekonstruiert; sie wird in den üblichen historischen Darlegungen der Internetentwicklung, die vornehmlich technisch orientiert sind, meist unterschlagen oder nur am Rande behandelt. Es lassen sich folgende Phasen typisieren: Anfangs, unter Forschungsgesichtspunkten, dominiert – grob gesprochen – die Maxime der freien, wenn nicht anarchischen Nutzung und Entwicklung des Netzes, später – mit der Expansion des Netzes und damit seiner wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung – meldeten die Nationalstaaten, auch die in ihnen ansässigen Unternehmen, ihre spezifischen Interessen an der Regulierung spezifischer Internetprobleme und der Organisation des gesamten Netzes an und drängten zivilgesellschaftliche Kräfte zurück.

Die Analysen und Rekonstruktionen illustrieren, dass sich inzwischen sehr viele Akteure für das Netz interessieren und an seiner Verwendung wie Regelung beteiligt sein wollen. Der Begriff Akteur firmiert auch nur als vager Sammelbegriff für Staaten, supra- und internationale Institutionen und Organisationen, Unternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppierungen etc. Wie bei Governance erweist es sich, dass man mit solch offenen Kategorien arbeiten muss, um die Vielzahl und Vielfalt von Beteiligten bzw. Beteiligt-Sein-Wollenden einzubeziehen. Im Kap. 5 werden daher die wichtigsten Akteure und ihre einschlägigen Aktivitäten hinsichtlich des Internets proträtiert, um damit vor allem noch wenig informierten Leserinnen und Leser einen grundlegenden Überblick zu vermitteln. Auch dabei musste natürlich eine Auswahl getroffen werden, die sich allerdings an den Sondierungen davor und an den nachfolgenden Aufgaben orientiert.

Das wohl wichtigste Kap. 6 stellt die zentralen Aufgabenfelder und Themen von Internet Governance vor. Ihre Auswahl, Gewichtung und Anordnung orientieren sich an den historischen Entwicklungssträngen des Netzes und der Regulierungsbemühungen sowie an der Bedeutung der aktuellen Regulierungserfordernisse. Ähnliche Schwerpunkte wie in diesem Band finden sich auch bei der zufällig zur gleichen Zeit arbeitenden Enquetekommission des Deutschen Bundestags zum Thema Internet und digitale Gesellschaft (ohne dass wir uns mit dem dort geballten Sachverstand und den ungleich mächtigeren Arbeitsressourcen dieses Vorhabens messen könnten). Sicherlich weisen die einzelnen Themen einen inneren Zusammenhang – nämlich die gesellschaftliche Nutzung, Entwicklung und Steuerung des Internets – auf; wie man sie allerdings in einem Text anordnet, ist gleichwohl eine letztlich nicht ganz systematische Angelegenheit. In der hier gewählten Reihenfolge lassen sich zum einen die in Kap. 4 dargelegten historischen Akzentuierungen erkennen: nämlich von den eher technischen Fragen über die wirtschaftliche Ausbeutung zu gesellschaftlichen, allgemeingültigen Verwendungen zu gelangen oder auch von internetspezifischen über speziell rechtliche und internetökonomische zu allgemein kommunikations- und medienpolitischen Dimensionen vorzudringen, um damit die Komplexität, aber auch Kontingenz der Regelungen bzw. von Internet Governance zu erfassen.

Das letzte Kap. 7 nimmt dann ein strukturelles Resümee vor und versucht – unter der Maßgabe eines vorsichtigen prognostischen Blickes – einige künftige Aufgaben und Entwicklungen zu skizzieren, wobei man sich angesichts der erfolgten Entwicklung und ihrer anhaltenden Dynamik der Unsicherheit und Veränderlichkeit der Zukunft des Internets bewusst bleiben muss. Denn je universeller das Internet wird und immer mehr Bereiche des gesamten gesellschaftlichen Lebens durchdringt, je mehr wird es zugleich Faktor und Produkt der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung in der Welt, in den Kontinenten und in den Staaten, je nachdrücklicher wollen alle gesellschaftliche Kräfte auf es Einfluss nehmen und von ihm profitieren. Eine spezielle Internet-Entwicklung ist dann immer weniger identifizierbar.

Mit begrenzten Kapazitäten, ohne zusätzliche Forschungsunterstützung, lassen sich kaum eigenständige, originäre empirische Untersuchungen anstellen, die für wissenschaftliche Verifikationen des einen oder anderen Themas sicherlich erforderlich, zumindest wünschenswert wären. Die Ausführungen hier rekurrieren daher auf publiziertem Material und bereits erstellten Studien, wie sie in der Literaturliste verzeichnet sind. Sie können daher auch nur deren Erkenntnisniveau und Validitätsgrad reproduzieren. Dennoch hoffen wir eine solide und faktenreiche Übersicht über besagte strukturelle Fragen des Internets vorgelegt zu haben, die in der Lage ist, die für die behandelten Sachverhalte so viel beschworene Internet-Kompetenz zu begründen und zu vertiefen.