Zusammenfassung
Scheitern im Sport ist eines jener Themen, die verhältnismäßig häufig in medial-öffentlichen Diskursen zirkulieren und wenig im Spezialdiskurs der Sportwissenschaft kommuniziert werden. Der öffentliche Interdiskurs kreist um Gescheiterte im Sport, weil diese gleichsam die Sieger aufwerten. Für die Massenmedien erzeugen diese Kontraste gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Wettkampfsituationen und Spannungselemente wecken beim Publikum Emotionen, wenn „unser Held“ oder „unser Team“ kläglich gescheitert ist. Dahingegen ist im sportwissenschaftlichen Diskurs das Phänomen des Scheiterns zugunsten einer Erfolgsorientierung unterbelichtet. So betrachten die Naturwissenschaften im Sport vor allem die Genese sportlicher Leistungen. Die entsprechende medizinische sowie bewegungs- und trainingswissenschaftliche Diagnostik ist darauf ausgerichtet, „optimiert zu trainieren“ und etwaige Fehler zu vermeiden. Die Sportökonomie begutachtet häufig innerhalb von Auftragsanalysen Sportmärkte, Konsummuster und wirtschaftliche Bedeutungen von Großevents im Hinblick auf ihre Effizienz und Effektivität . Die Sportpädagogen widmen sich vornehmlich Lern- und Transfereffekten des Sports.
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Notes
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Mit Giddens (1996) wird damit bewusst keine Modernitätsdebatte entfacht. So werden gesellschaftsanalytische Beschreibungen, wie ‚Postmoderne‘, ‚Postmodernismus‘, ‚Postkapitalismus‘ etc. zugunsten eines Blicks auf das Wesen und die Konsequenzen der Moderne – hier des institutionalisierten und ausdifferenzierten modernen Sports – vernachlässigt.
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Zur dezidierten Einarbeitung in Hochleistungssportler-Karrieren empfiehlt sich die umfassende, empirische Studie von Bette, Schimank, Wahlig und Weber (2002) „Biographische Dynamiken im Leistungssport“.
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Bette und Schimank (2004) beobachten hier eine komplizierte Verschränkung von „erster“ und „zweiter Moderne“: Die „erste Moderne“ sei die sich durchsetzende, die „zweite Moderne“ reagiere auf die Resultate der „ersten“ und bearbeite deren Folgeprobleme. Im Spitzensport zeige sich dieses Nebeneinander darin, dass die „zweite Moderne“ die universellen emotionalen und ästhetischen Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder befriedige, welche durch die Kommerzialisierung, Rationalisierung, Verwissenschaftlichung, Affektregulierung, Durchorganisation, Mobilität und Anonymität als Prozesse der „ersten Moderne“ zu kurz kämen.
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Dabei ist nicht mehr nur das diskursauslösende Ereignis als Sachverhalt relevant. Mediale Debatten lösen sich häufig vom vorhandenen Informationstableau und werden ihrerseits zu einer wahrnehmungsleitenden Realität. Strategien der medialen Inszenierung von Dopingrealität werden zum Beispiel bei Dresen (2010) ausführlich thematisiert.
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Diese Prozesse der Heldenverehrung bei gleichzeitiger Skandalaufdeckung sind vor allem auf die Abhängigkeiten der Journalisten zurückzuführen. Aufgrund der Konkurrenzverhältnisse können diese es sich nicht leisten, in einer „sich schnell abnutzenden unkritischen Heldenverehrung zu schwelgen, sondern genau umgekehrt die Helden zu demontieren. […] Insofern sind Skandale die Parasiten der Heldenverehrung“ (Bette und Schimank 2006, S. 286).
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Eine Ausnahme ist Arne Göring (2006), der im Rahmen seiner Dissertation Risikosport-Phänomene und Erklärungszusammenhänge interdisziplinär exploriert. Teile der Studie sind im Jahr 2008 unter dem Titel „Risikosport – zwischen Trend und Tradition: Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung“ (Göring 2008) erschienen.
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Dabei ist die Zukunft immer ein Horizont der Unsicherheit. Umso mehr müssen Entscheidungen (wahrscheinlich) sicher im Sinne von „für Anschlüsse ausreichend“ sein. Sie sind damit permanent riskant (vgl. Luhmann 1990, S. 136).
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Filmproduktion in Deutschland, Österreich und USA; Regisseur und Drehbuch: Pepe Danquart.
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Gewiss birgt die Moderne auch Gefahren. Dazu gehören zum Beispiel Naturkatastrophen, Armut und menschliche Gewalt als Konsequenzen der Industrialisierung. Giddens (1996, S. 51) spricht so von „Risikoumwelten“ als Kollektiven von Individuen, die zum Beispiel ökologischen Katastrophen ausgesetzt sind. Auch die Vielzahl an befristeten Arbeitsverträgen, die unsicheren beruflichen Perspektiven und die stets geforderte Mobilität und Flexibilität sprechen weniger für eine allenthalben sicherheitsfanatische Gesellschaft. Gemeint ist hingegen hier, dass im Rahmen funktional differenzierter westlicher Industriegesellschaften die relativ stabilen systemischen Eigenlogiken alltägliche Handlungsroutinen erleichtern, was als vergleichsweise unspektakulär erlebt werden kann.
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Vielfach kann es auch um Schmerzerleben gehen. Zum „sportiven Schmerznormalisieren“, das gar rauschhafte Züge tragen kann, äußert sich aus körpersoziologischer Perspektive in Bezug auf verschiedene Sportgruppen Nina Degele (2006).
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Dresen, A. (2014). Der Zweite ist der erste Verlierer – Scheitern und seine Äquivalente im Sport. In: John, R., Langhof, A. (eds) Scheitern - Ein Desiderat der Moderne?. Innovation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19181-2_8
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