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Das Bildungsreformprojekt von Mbouo, Kamerun

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Bildung unter Bedingungen kultureller Pluralität
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Zusammenfassung

Das Bildungsreformprojekt von Mbouo, Bandjoun, Kamerun, über das ich hier berichte, umfasst den Aufbau zunächst einer Reformschule und dann eines Lehrerbildungsinstituts, das seit 2010 zur Gründung einer kleinen Universität mit mehreren Fakultäten geführt hat. Entstanden ist dieses langfristige Projekt aus dem Zusammentreffen zweier komplementärer Motive.

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Notes

  1. 1.

    Da es hier auf die Darstellung der strukturellen Bedingungen des Projekts ankommt, verzichte ich auf die Nennung von Namen so weit wie möglich.

  2. 2.

    Mauss hat den Begriff des totalen sozialen Phänomens in seiner Arbeit über die Gabe eingeführt, vgl. Mauss (1990, S. 17 ff.). Wenn Mauss von „totalen“ gesellschaftlichen Phänomenen spricht, markieren die Anführungszeichen, was heute in phänomenologischer Tradition Marion betont: Die Totalität des Verstehens ist begrenzt durch die eingelebten Kategorien, unter die wir Phänomene subsumieren, vgl. Marion (2011, S. 78–98). Vereinnahmende Subsumtion wird in riskanten Feldprojekten wie dem hier beschriebenen immer wieder herausgefordert – auch wenn ich in diesem kurzen Überblick nur wenige Punkte ansprechen kann und auf eine situationsspezifische Kritik sozio-ökonomischer, politischer, moralischer oder mythologischer Interpretationen weitgehend verzichten muss.

  3. 3.

    Hierher gehören u. a. unsere sehr gründlichen Lektüren von Schriften von Lyotard, Elias, Waldenfels, Ricœur, Sperber bzw. Sperber/Wilson u. a. Im Austausch der Kulturen habe ich u. a. die Inferenzanalyse entwickeln können. Als qualitative sozialwissenschaftliche Methode bewährt sie sich im Rahmen von Biographieforschung als Analyse lebensgeschichtlicher Erzählungen und eben so in der Analyse institutionell gerahmter und ungerahmter Interaktionsprozesse.

  4. 4.

    Die Zusammenarbeit hat im September 1998 zu einem Symposium an der Universität Hamburg geführt, an dem neben Kolleginnen und Kollegen aus Kamerun, Frankreich, der Schweiz und Deutschland auch eine Lehrerin und zwei Lehrer der Kameruner Reformschule mit einem eigenen Beitrag teilgenommen haben. Seine Fortsetzung hat das Hamburger Symposium in Kamerun im Februar 1999 in einem Kolloquium auf dem Col de Batié in der Nachbarschaft des Projektortes gefunden. Hier ist der Entschluss, ein Institut wissenschaftlicher Lehrerbildung aufzubauen, öffentlichkeitswirksam gefasst worden. Am Kameruner Kolloquium haben neben den in Hamburg beteiligten Kollegen auch die Mitglieder meines Oberseminars teilgenommen.

  5. 5.

    Der gegenwärtig weltweite Trend, Lernerfolge an transkulturell interpretierten Kompetenzen zu messen und durch didaktische und unterrichtsmethodische Umsetzung auch neurophysiologischer Lernforschung zu verbessern, führt zur Tendenz, lokale und situative Bedingungen unter allgemeine, vermeintlich kulturindifferente Lerngesetze zu subsumieren. Da aber kulturelle Bedingungen unter der Decke des Allgemeinen stumm fortwirken, können sie – wie meine unterrichtlichen Interaktionsanalysen in Taiwan zeigen – produktive Interaktionsformen des Lehrens und Lernens blockieren und eben das verhindern, was sie anzustreben behaupten. – Auch ein Vorgehen, wie es in westlichen Ländern üblich ist, Projekte in Dreijahres-Phasen, Zielvereinbarungen und Produktevaluierungen steuerbar zu machen, stößt an Grenzen, weil sich kulturelle Differenzen nach Abschluss der Aufbauphase wieder durchsetzen können.

  6. 6.

    Für dieses uns über zwei Jahrzehnte gewährte Vertrauen danken wir dem Evangelischen Entwicklungsdienst ( EED) in Bonn, vertreten vor allem durch Rudolf Heinrichs-Drinhaus, als entscheidender Vermittlungsinstanz zwischen dem Ministerium für Zusammenarbeit ( BMZ) und der Evangelischen Kirche Kameruns ( EEC), dem institutionellen Projektträger.

  7. 7.

    Der Bezug auf Ehrenberg (Ehrenberg 2008) mag überraschen. In seinem Buch wirkt das okzidentale Motiv sich letztlich natürlich durchsetzender Vernunft fort. Im Blick auf Zukunft formuliert dieses Motiv eine Hoffnung, die im Vergleich zu anderen Kulturen als Interpretationsfolie dienen kann. Angesichts mancher Reaktionen und Kehren lasse ich aber offen, ob oder wie „Vernunft“ sich „letztlich“ auch in unserem Projekt durchsetzt, auch wenn es als Pro-Jekt „natürlich“ von diesem Glauben zehrt.

  8. 8.

    Auch wenn sich diese Sicht auf das Ganze einer Gesellschaft erst in der Rückschau ergibt, dürfte in der Vorstellung der Freisetzung des Möglichen die normative Idee des Gesellschaftsvertrags nachwirken. Diese Idee ist in Kamerun und anderen Ländern südlich der Sahara nicht zuletzt deshalb schwach, weil die Staaten durch kolonialen Oktroy entstanden sind, als multiethnische Gesellschaften tatsächlich aber in hohem Masse Imperativen und Sonderinteressen ethnischer (Klein-)Gruppen folgen. Die orale Geschichte der sprachlich verschiedenen Gruppen dürfte ein anderer Grund sein, der die Ausbildung einer kulturellen Identität nicht leichter macht.

  9. 9.

    Vgl. dazu Pradelles de Latour, der in seinem Buch ‚Ethnopsychanalyse en pays bamiléké‘, E.P.E.L. (Paris) 1991; 2. Auflage unter dem Titel ‚Le crâne qui parle‘, E.P.E.L (Paris) 1991, umfangreich die Bamiléké-Kultur analysiert.

  10. 10.

    „Nous sommes une seule bouche“, „wir sind ein einziger Mund“, mit diesem geflügelten Wort hat die Lehrergruppe den Beitrag überschrieben, den sie auf dem Hamburger Symposium 1998 vorgetragen hat.

  11. 11.

    „Fous“ und „folles“, die als Verrückte gelten, mit denen ein normaler Umgang nicht möglich ist und die nicht selten auch als Bedrohung durch ihnen innewohnende Geister wahrgenommen werden, irren völlig verlassen, mittellos und manchmal nackt durchs Land. Sie zeugen von der Härte, mit der man jemand nur dann ist, wenn ein signifikanter Anderer hinter einem steht, und ausgeschlossen wird, wenn man den Beistand des Anderen verfehlt.

  12. 12.

    Die – aus anderen Gründen – zunächst plausibel erscheinende Plötzlichkeit, mit der die UEC wirklich wurde, hat eine genauere Problemerkundung stark behindert. Die daraus resultierenden Hypotheken bedrohen die UEC.

  13. 13.

    Foaleng (2005), verweist im Rahmen seiner kritischen, bis zum Jahre 2001 reichenden Würdigung des Projekts und seines historischen, entwicklungspolitischen und soziokulturellen Kontextes darauf, dass Mbouo, als Quartier des Großdorfes Bandjoun an die Provinzhauptstadt Bafoussam angrenzend, mit Kirche, Pfarrhaus, Schule und Hospital ausgerüstet und in der Nähe des Verwaltungspostens Bafoussam, ein strategisch günstig gelegener Ort Evangelischer Mission „im Wettrennen mit den Katholiken und vor allem mit dem Islam“ war (a. a. O., S. 51).

  14. 14.

    Zu nennen ist hier u. a. Sperber und Wilson (1986). Das Buch nimmt eine wichtige Stelle in der wichtigen, von H. Paul Grice angestoßenen Debatte um Bedeutung in der Spannung von Logik und Konversation ein.

  15. 15.

    Die Leitsätze sind im strengen Sinn keine Prinzipien. Wir nennen sie dennoch so, um an den Sprachgebrauch des Alltags anzuschließen.

  16. 16.

    Ein Beispiel ist die „tontine“, ein traditioneller Gruppenverband (oft von Frauen), der gruppenintern auf der Basis kleiner Beiträge Kleinstkredite an Gruppenmitglieder für existenzsichernde Aufbauprojekte vergibt. Eine umfangreiche Analyse anderer soziokultureller Tiefenstrukturen der Bamiléké-Gesellschaft gibt Pradelles de Latour (1991), Neuauflage unter dem Titel: Le crâne qui parle. E.P.E.L. (Paris) 1997.

  17. 17.

    Vgl. Anmerkung 5.

  18. 18.

    Ilse Grubrich-Simitis diskutiert in einer Rekonstruktion psychoanalytischer Erfahrungsberichte Phänomene transgenerativer Weitergabe von Traumata durch die schweigende Vermeidung gefährlicher Semantiken vor allem in der Form möglichkeitseröffnender Metaphern, vgl. Grubrich-Simitis (1984, S. 1–28).

  19. 19.

    Zur genaueren Darstellung siehe Verf., Kokemohr (2010, S. 201–223).

  20. 20.

    Auf die Vermeidung von Vorstellungswelten und Möglichkeitsspielräumen im Zusammenhang des toten Partisanen-Bruders bin ich erst spät durch die Entdeckung eines syntaktischen Regelverstoßes in den Erzählungen des Vaters gestoßen, der immer und nur dann auftrat, wenn ein Sprechen über den toten Bruder nahelag. Gerade wegen dieser verborgenen Struktur ist das Beispiel wichtig. Es repräsentiert fallspezifisch die Traumata des Befreiungskampfes und anschließenden Bürgerkriegs, der die Bamiléké-Gesellschaft Kameruns bis heute belastet.

  21. 21.

    Nicht zuletzt Konkurrenzdenken und Machtansprüche, die in einer Umbruchgesellschaft noch ohne ein selbstverständlich gewordenes positiviertes Rechtssystem abrupter, erratischer und damit gefährlicher auftreten können, haben den Weg schwierig gemacht. Doch ohne dass hier der Ort für eine genauere Darstellung ist, ist auch die Kehrseite der Umbruchgesellschaft zu nennen. Der Mangel an positivierten Rechtsfiguren hat manchmal auch positive Wendungen ermöglicht.

  22. 22.

    Dieses Verwaltungsdenken hat sich zeitweise in starrer, von vorgreifendem Gehorsam motivierter Durchsetzung der vom staatlichen Erziehungsministerium vorgegebenen Curricula und Stundentafeln geäußert. Und auch intern hat das administrative Milieu die Arbeit durch den Umstand belastet, dass der Aufbau eines überdimensionierten Verwaltungsapparates mit entsprechenden Machtinsignien das lebensgeschichtlich eingeübte Denken in hierarchischen Abhängigkeiten restituiert hat.

  23. 23.

    Ein Studienjahr dauert formal von Oktober bis Juni, umfasst also, wenn die Zeit tatsächlich genutzt wird, maximal 9 Monate. Der Themenkatalog, der in dieser Zeit bearbeitet werden soll, ist aber qualitativ und quantitativ so anspruchsvoll, dass er in der knappen Zeit kaum zu mehr als leeren Begriffen führen kann. Der Anspruch ist kaum anders zu erklären als durch eine unkritische Übernahme zeitlich breiter angelegter europäischer Studienpläne.

  24. 24.

    Mit welcher Unbedenklichkeit und Härte vorgegangen wurde, zeigt ein Detail: Den Lehrern der ER wurde ihre Versetzung durch die nachkommenden Lehrer bekannt gemacht. Diese klopften in der Abenddämmerung an die Türen der Lehrer-Hütten – den zur Schule gehörenden Lehrerwohnungen – und teilten den Lehrern mit, ihnen, den Ankommenden, seien ab sofort alle Lehrerstellen und Wohnungen zugeteilt.

  25. 25.

    Wie Rationalitätsfiguren „geliehen“ werden, lässt sich in subtilen Analysen lebensgeschichtlicher Erzählungen manchmal nachweisen, z. B. wenn das Subjekt des erzählten Handlungsträgers in metonymischer Verschiebung durch das des Erzählers substituiert wird – was einer traditionellen Denkfigur entspricht, der zufolge z. B. ein Chef in der Ichform die Handlungen seines Vorgängers als seine Handlungen darstellt. Solcher Substitution liegt die rituelle Transformation des Nachfolgers nicht eigentlich in das Subjekt des Vorgängers, sondern in das der lignée seiner spirituell-ethnischen Einheit zugrunde.

Literatur

  • Ehrenberg, Alain. 2008. Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

    Google Scholar 

  • Foaleng, Michel. 2005. Schulreform, Nord-Süd-Kooperation und postkoloniale Gesellschaft. Anspruch und Wirklichkeit eines Reformansatzes in Bandjoun, Kamerun. Frankfurt a. M.: IKO.

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  • Grubrich-Simitis, Ilse. 1984. Vom Konkretismus zur Metaphorik. Psyche 38:1–28.

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  • Kokemohr, Rainer. 2010. Interpretation - Lektüre - Interkulturalität. In Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse. Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns, Hrsg. Gabriele Cappai, Shingo Shimada, und Straub Jürgen, 201–223. Bielefeld: Transcript.

    Google Scholar 

  • Marcel, Mauss. 1990. Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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  • Marion, Jean-Luc. 2011. Die Banalität der Sättigung. In Phänomenologie der Sinnereignisse, Hrsg. Klass Tobias Nikolaus, Laszlo Tengelyi, und Hans-Dieter Gondek. München: Fink.

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  • Pradelles Latour de, Charles Henry. 1991. Ethnopsychanalyse en pays bamiléké. Paris: E.P.E.L.

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  • Sperber, Dan, und Deirdre Wilson. 1986. Relevane: Communication and cognition. Oxford: Blackwell.

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Kokemohr, R. (2014). Das Bildungsreformprojekt von Mbouo, Kamerun. In: von Rosenberg, F., Geimer, A. (eds) Bildung unter Bedingungen kultureller Pluralität. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19038-9_5

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