Zusammenfassung
Initium ut esset, creatus est homo – damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen – hielt Augustinus (1985, Buch 12, Kap. 21) schon im 4. Jahrhundert fest. Doch im Abendland galt wohl eher das Gegenteil: Finis ut esset, creatus est homo. In diesem Sinne lässt sich über Jahrhunderte hinweg in vielen Stationen des abendländischen Denkens, und auch in der Pädagogik, von einer „Geburtsvergessenheit“ und einer „Todesversessenheit“ (Saner 1975) sprechen. Das Leben wird in vielen Erziehungskonzeptionen nur als cursus ad mortem, nicht auch als Geburt bedacht (Zirfas 2003). Der Tod, und nicht die Geburt, galt historisch als entscheidendes Phänomen der Erziehung, das in jedem Bildungsakt einen bestimmenden Ort zu erhalten hatte. Diese Todespräferenz hat einerseits mit einem aus antiken kosmologischen Überlegungen heraus resultierenden christlichen Weltbild zu tun, in dem die Einübung in den Tod deshalb als notwendig erschien, weil dieser als das immer schon zu antizipierende Ziel des Lebens begriffen wurde, das die Pädagogik darauf verpflichtete, im ganzen Leben das Sterben zu vollziehen. Der Tod galt lange Zeit als die Vervollständigung des Lebens und das ewige Leben bildete das Wesen einer Todesvorstellung, für die der Tod den Anfang der Unsterblichkeit bedeutet.
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Literatur
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Zirfas, J. (2014). Geburt und Tod. In: Wulf, C., Zirfas, J. (eds) Handbuch Pädagogische Anthropologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18970-3_29
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