Zusammenfassung
Die Soziologie des Todes – fachlich korrekt Thanatosoziologie genannt – ist eine in Deutschland wenig beachtete spezielle Soziologie. Zu Unrecht, denn der Tod ist nach der Geburt das zentrale Ereignis für die menschliche Existenz. Beide Ereignisse betreffen das Individuum und geben zugleich Beispiel für dessen gesellschaftliche Einbindung und Bewältigung. Denn der Tod ist – wie wir wissen – nicht nur ein Naturereignis, das menschlichem Einfluss und Handeln entzogen wäre.
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten
im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
(Rainer Maria Rilke)
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Notes
- 1.
Abgeleitet von Thanatos, dem Todesgott aus der griechischen Mythologie (Der grosse Brockhaus 1984, S. 7).
- 2.
Auch die „Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)“ als renommierte Fachgemeinschaft der Soziologie weist unter ihren 36 Sektionen keine aus, die der Thanatosoziologie gewidmet ist.
- 3.
In diesem Buch wird darauf verzichtet, eine sog. geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden. Der Gebrauch der männlichen bzw. weiblichen Form ist selbstredend nicht diskriminierend gemeint.
- 4.
Der Begriff „zivilisatorische Errungenschaften“ soll „wertfrei“ im Sinne Max Webers Forderung nach „Werturteilsenthaltsamkeit“ von Wissenschaft (1988) verstanden werden. D. h. es geht nicht um Beurteilungen im Sinne von gut und schlecht, sondern um durch die Gesellschaft hervorgebrachte Instrumente, die ein bestimmtes Ziel – Zivilisierung – verfolgen (Elias 1991a, b).
- 5.
Diese simple Erkenntnis trifft bekanntlich für alle Lebewesen zu und sie lässt sich auch auf Pflanzen übertragen.
- 6.
Vgl. die Darlegung der Freud’schen Kritik bei Brandes (ebd.).
- 7.
Das „Dasein“ ist für Heidegger (2006) die lebendige Existenz.
- 8.
Zur Allegorie Sensenmann vgl. https://www.vorsorgeweitblick.de/2016/09/15/woher-kommt-der-sensenmann-und-wieso-wird-er-so-dargestellt/.
- 9.
Der „(lange) Schlaf“ ist in der Mythologie der Griechen und Römer eine Art Synonym für den Tod und wird als dessen „Bruder“ bezeichnet (Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur 2005, S. 327).
- 10.
Die „Kunst des Sterbens“ lehren „Totenbücher“ (Vogel 2015).
- 11.
- 12.
Empfehlenswert zur Gewinnung eines Überblicks zu den philosophischen Positionen ist Condrau (1991).
- 13.
- 14.
Die Physiokraten waren eine Gruppe von Ökonomen im Frankreich des 18. Jahrhunderts.
- 15.
Hegel sieht in seiner Dialektik im „Allgemeinen“ den Aufstieg gegenüber dem Besonderen.
- 16.
Ähnlich bereits Auguste Comte, der erste Soziologe. Die Kürze der Lebensdauer erfordere eine rasche Wiederbesetzung frei gewordener Positionen. Damit erneuere sich auch der soziale Organismus zu Gunsten von Innovationen (Kiss 1977, S. 251).
- 17.
Eklektizismus ist eigentlich ein kritisch konnotierter Begriff, der mit einer unschöpferischen, bloß zusammentragenden Arbeitsweise verbunden wird (Duden Fremdwörterbuch 1974). Der Verfasser dieses Buches wertet den Begriff für seine Zwecke um und versteht das „Zusammentragen“ positiv als ein prüfendes und auswählendes Verfahren.
Literatur
Ariès, Philippe (2005) (zuerst 1980): Geschichte des Todes. München: dtv Verlagsgesellschaft.
Brandes, Marina (2011): Wie wir sterben. Chancen und Grenzen einer Versöhnung mit dem Tod. Wiesbaden. VS Springer Verlag für Sozialwissenschaften.
Condrau, Gion (1991): Der Mensch und sein Tod. Certa Moriendi condicio. Zürich: Kreuzverlag.
Der große Brockhaus (1984): Thailändische Kunst bis Vegio. Kompaktausgabe. 22. Bd. 18. Aufl. Wiesbaden: F. A. Brockhaus.
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Duden. Fremdwörterbuch (1974): Bd. 5. Mannheim/Wien/Zürich: Dudenverlag.
Elias, Norbert (2002) (zuerst 1982): Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen. Humana conditio. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Elias, Norbert (1991a) (zuerst 1976): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 16. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Elias, Norbert (1991b) (zuerst 1976): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band.: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 16. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Gerhardt, Andrea (2007): Ex-klusive Orte und normale Räume. Versuch einer soziotopologischen Studie am Beispiel des öffentlichen Friedhofs. Norderstedt: Books on Demand.
Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur (2010): Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel. Bd. 3. Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag.
Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur (2005): Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel. Bd. 2. Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag.
Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur (2002): Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel. Bd. 1. Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag.
Heidegger, Martin (2006) (zuerst 1927): Sein und Zeit. 19. Aufl. Berlin: De Gruyter.
Imhof, Arthur E. (1988): Die Lebenszeit – vom aufgeschobenen Tod und von der Kunst des Lebens. München: Beck.
Joachim-Meyer, Sandra (2004): Sinnbilder von Leben und Tod. Die Verdrängung des Todes in der modernen Gesellschaft. Marburg: Tectum.
Kiss, Gabor (1977): Einführung in die soziologischen Theorien I. 3. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Simmel, Georg (Hrsg.) (1957): Brücke und Tür. Essays des Philosophen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft. Im Verein mit Margarete Susman herausgegeben von Michael Landmann. Stuttgart: K. F. Koehler Verlag.
Thieme, Frank (2016): Bestattung zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Eine soziologische Studie zum Wandel des Bestattungsverhaltens in Deutschland. Düsseldorf: Fachverlag des deutschen Bestattungsgewerbes.
Vogel, Ralf T. (2015): Der Tod ist groß, wir sind die Seinen. Mit dem Sterben leben lernen. Ostfildern: Patmos Verlag.
Weber, Max (1988) (zuerst 1922): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Stuttgart: UTB.
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Thieme, F. (2019). Einleitung. In: Sterben und Tod in Deutschland. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18873-7_1
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