Zusammenfassung
Erfolg- und einflussreiche Positionen im soziologischen Diskurs der Moderne liefern immer auch eine historische Erzählung, die den spezifischen Moment und den spezifischen Ort, von dem aus sie erzählt werden, selbst zum Thema hat. „Die Soziologie versteht sich seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert als eine Wissenschaft der Moderne“ (2008: 226) bringt es Andreas Reckwitz jüngst auf den Punkt, nicht ohne gleich darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige Gesellschaft selbst wiederum nach einer ihr angemessenen Soziologie der Verabschiedung von den großen Erzählungen der Moderne verlangt. Es ist, so müsste man hier hinzufügen, der mittlerweile selbst wiederum zur evidenten Erzählung geronnene Anspruch an die Soziologie, die überkommenen Erzählungen der Moderne zu „redigieren“ (so bekanntlich Lyotard 1994; hier zit. n. Reckwitz 2008: 231); es ist eine Erzählung, die noch dazu mit der Diagnose einer „Destabilisierung“ der Moderne gerade in ihrer Verabschiedung von soziologischen Erzählungen der Moderne – Reckwitz nennt kanonfest die Marxsche geschichtsphilosophische Beschreibung der Moderne als Kapitalisierung, die Webersche Rekonstruktion der Moderne als Rationalisierungsprozess und die mit Durkheim und Simmel beginnende Fassung der Modernisierungstheorie als Differenzierungstheorie – deren Leitmotiv der modernen Destabilisierung vormoderner Sicherheiten fast originalgetreu kopiert. „Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft“ – so lautet der zeitgemäße Anspruch der Soziologie an sich selbst. Sie verortet sich damit aber auch in eben jener Tradition des soziologischen Diskurses der Moderne. Für eine soziologische Rekonstruktion der Modernität der Liebe, wie sie in diesem Kapitel referiert wird, gilt in gleichem Maße, was auch für die historischen Erzählungen der Soziologie sonst gilt: Sie bekommt es an einem bestimmten Punkt unweigerlich mit sich selbst und den Bedingungen der Möglichkeit ihrer eigenen Perspektive zu tun. Für eine soziologische Theorie der Gesellschaft ist dies auf den ersten Blick plausibel: Nimmt sie ihren eigenen Anspruch als Theorie der Gesellschaft ernst, so muss sie auch den Umstand berücksichtigen, dass sie selbst als eine Wissenschaft der und in der Gesellschaft auf ihrem eigenen Bildschirm auftauchen wird. Aber auch in der folgenden Erzählung moderner Intimität und der sie begleitenden Reflexionsdiskurse wird schon sichtbar werden, dass der soziologische Blick auf die Liebe diese ihrer Unschuld beraubt – und dabei selbst unweigerlich seine Unschuld verliert. Die Geschichte der Liebe lässt sich so gesehen soziologisch nicht erzählen, ohne auch eine Geschichte der soziologischen Reflexionsbemühungen und des soziologischen Ringens um die Erzählbarkeit der Liebe zu erzählen.
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© 2012 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden
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Stempfhuber, M. (2012). Liebesgeschichten: „Liebe“ und der intimitätssoziologische Diskurs der Moderne. In: Paargeschichten. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18780-8_2
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-18779-2
Online ISBN: 978-3-531-18780-8
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