Zusammenfassung
Seit etwa Mitte der 1990er Jahre haben fast alle deutschen Bundesländer ihre Landeshochschulgesetze reformiert und den Hochschulrat als neues Gremium etabliert. Damit sollen auch Vorstellungen „Neuer Steuerungsmodelle“ bzw. des „New Public Management“ (Naschold/Bogumil 2000) umgesetzt werden. Die Einrichtung von Hochchulräten ist Teil einer Reform, bei der es generell um die Übernahme von Instrumenten geht, die für das Management von privatwirtschaftlichen Unternehmen angewandt werden. Das Ergebnis dieser Reform, die vor allem in den USA und in Australien weiter deutlich vorangetrieben worden ist, bezeichnen Kritiker oft als „academic capitalism“ (Slaughter/ Rhoades 2004; vgl. Münch 2011). Universitäten sollen, so interpretieren Kritiker die Vorstellungen der Reformer, auf Quasi-Märkten agieren, sich einer Art Kapitalverwertungslogik unterwerfen und entsprechende Organisationsverfassungen und -strukturen ähnlich denen von Profitunternehmen etablieren. Einher geht mit dieser Reform in Deutschland, dass die (direkte, inputorientierte) staatliche Kontrolle reduziert, durch outputorientierte Steuerung ersetzt wird und damit auch andere Kontrollorgane erforderlich sind. Hochschulräte sollen nun – u.a. neben Akkreditierungsagenturen – Funktionen übernehmen, die bisher die staatliche Aufsicht erfüllte. Hochschulräte dienen aber nicht nur der Kontrolle der Entscheidungen von Hochschulleitungen. Gleichzeitig wird Hochschulräten die Funktion zugewiesen, gesellschaftliche Interessen in die Hochschulen einzubringen. Der ehemalige Wissenschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Pinkwart, formuliert diesen Anspruch ausdrücklich: Der Hochschulrat „ … vermittelt der Hochschule Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft“ und stellt eine „engere Verbindung zwischen Hochschulen, Gesellschaft und Wirtschaft“ her (Pinkwart 2007: 10). Im „Handbuch Hochschulräte“ (Meyer-Guckel et al. 2010) weisen Behm und Müller (2010: 18) ebenfalls auf die Funktion der Verbindung zur Gesellschaft hin, fügen aber hinzu, dass durch Hochschulräte auch ‚Sachverstand‘ eingebracht werden soll: Der Hochschulrat hat die „… Aufgabe, mit seiner ganz oder teilweise externen Besetzung eine Brücke in die Gesellschaft zu bilden und die Hochschulen dabei zu unterstützen, ihre Verantwortung in der und für die Gesellschaft wahrzunehmen. Mit den Hochschulräten sollen der Sachverstand aus gesellschaftlichen Teilbereichen ebenso wie die Erwartungen und Belange der Anspruchsgruppen der Hochschule (Stakeholder, nicht nur, aber auch Wirtschaftsunternehmen) an leitender Stelle in die Hochschulen eingespeist werden. Hochschulen sollen ihrerseits durch die Inkorporierung externer Perspektiven und Nachfragen dazu bewegt werden, sich stärker als bisher der Frage nach der gesellschaftlichen Sinnhaftigkeit ihrer vielfältigen Tätigkeiten zu stellen“.
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Literatur
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Nienhüser, W. (2012). Academic Capitalism? - Wirtschaftsvertreter in Hochschulräten deutscher Universitäten. Eine organisationstheoretisch fundierte empirische Analyse. In: Wilkesmann, U., Schmid, C.J. (eds) Hochschule als Organisation. Organisationssoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18770-9_6
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