Marieluise Fleissers Mehlreisende Frieda Geyer Kritik der sozialistischen Rettungstheorien [62]

Zusammenfassung

Die Geschichte von der Mehlreisenden Frieda Geyer erscheint als ein Prozessieren mit den angeführten sozialistischen Rettungstheorien. Die Schilderung der Genese der »entfesselten Barbaren« einer Kleinstadt erscheint als ein Überprüfen der »Hoffnung«, die sich an Ideologien des Mittelstandes hefteten, auf ihre materielle Substanz. Benjamin schätzte an den Echt Ingolstädter Originalnovellenvon 1929 (Ein Pfund Orangen)die Überzeugung der Autorin, »daß man in der Provinz Erfahrungen macht, die es mit dem großen Leben der Metropolen aufnehmen können.« [63] Die theoretische Verarbeitung der Erfahrungen von den elementaren Schwierigkeiten der Aufklärung, die in diesem Roman gestaltet sind, war während der Wirtschaftskrise für die sozialistische Agitation in der Provinz und den Metropolen wichtiger denn je. Ideologiekritisch war leicht gesagt, daß sich in der »Natur« des Mittelstandes, die der Aufklärung Widerstand leistete, vor allem die »kapitalistischen Begierden« verkörpern. Theoretisch wurde ebenso radikal widersprochen, daß diese irrationale »Natur« »einfach auflösbare Dummheit« sei. Aber was schlummerte an »Potenzen« in ihr? Wie war ihr »utopischer Kern« praktisch auszumachen und agitatorisch zu verwerten? Hatte die »Hoffnung« auf eine Allianz mit dem im Mittelstand verborgenen »Natursubjekt« einen materiellen Grund?