Zusammenfassung
Parallel zu den verschiedenen weltanschaulich-philosophisch oder lebenspraktisch motivierten Strömungen optimistischen Denkens gibt es etwa seit der Mitte des Jahrhunderts gegenläufige Tendenzen. Vor allem die Schopenhauerrezeption der 50er und 60er Jahre ist hier Ausdruck kultur- und geschichtspessimistischer Strömungen[1], die an das Scheitern idealistisch-liberaler Zukunftserwartungen nach 1848, an den zunehmenden Verlust des gesellschaftlichen Einflusses des Bildungsbürgertums in der ersten und zweiten Gründerzeit, schließlich an den politischen und ideologischen Aufstieg der das Bürgertum in seinem kulturellen und politischen Alleinvertretungsanspruch bedrohenden Arbeiterbewegung gebunden sind. Besonders im akademischen Bildungsbürgertum entsteht eine immer stärkere Skepsis gegenüber der Idee »des Fortschritts, d. h. des unbedingten Geldverdienens und Comforts «[2] — und diese Pervertierung des ursprünglichen Fortschrittsdenkens in eine nur noch ökonomisch ausgerichtete Fortschrittsgläubigkeit ist es auch, die geschichtspessimistischem Denken einer sich als aristokratisch verstehenden Bildungselite Nahrung gibt. Zweifellos ist es richtig, als generellen Trend in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens festzuhalten, daß auf die gewandelte soziale Lage »die meisten Bürger neoaristokratisch [reagierten], statt die versäumte Verwirklichung einer sozialen Republik energischer nachzuholen.«[3] Angesichts dieser offiziellen Strömungen der neuen Besitzaristokratie der Gründerzeit ist der Schrecken von in der humanistischen Tradition des Bürgertums stehenden Zeitgenossen wie Burckhardt oder Nietzsche begreiflich.
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Anmerkungen
Vgl. dazu Karl Löwith: Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts, o. O. [Frankfurt am Main] 1969, S. 135: » ›Pessimismus‹ und ›Op-timismus‹ wurden zu Stichworten der Zeit«.
Jahrhundert dokumentiert der Aufsatz von Walter Bußmann: Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift Bd. 168 (1958), S. 527–557, bes. S. 544 und 547.
Eduard von Hartmann: Ist der pessimistische Monismus trostlos? In: Philosophische Monatshefte 5 (1870), S. 24–41.
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom, Leipzig 18693, letzter Band, S. 193–209; Zitat S. 196.
Robert Giseke: Moderne Titanen, kleine Leute in großer Zeit, Dritter Theil, Leipzig 1850, S. 348.
Vgl. dazu Felix Dahn: Georg Jenatsch, eine alte Bündnergeschichte von Conrad Ferdinand Meyer. In: Grenzboten 36/I/I (1877), S. 278–279
Julian Schmidt: Historische Romane. In: Preußische Jahrbücher 44 (1879), S. 608–613.
Julius Bahnsen: Felix Dahn, ein literarisches Charakterbild. In: Deutsche Revue, Bd. 4 (1880), Jg. 4, S. 116–126
Felix Dahn: Ein Kampf um Rom. Historischer Roman, Leipzig o. J. [um 1913], Dritter Band, S. 435.
Felix Dahn: Ueber das Tragische in der germanischen Mythologie. In: Im neuen Reich, Jg. I/2 (1871), S. 241–259.
Eduard von Hartmann: Aesthetik. Zweiter systematischer Theil: Philosophie des Schönen. Leipzig 1887 (= Ausgewählte Werke Band IV, zweite wohlfeile Ausgabe).
Vgl. zu diesem Begriff Otto Ernst Schmidt: Moderner Pöbel. Der ästhetische Pöbel. In: Freie Bühne, I. Jg. (1890), S. 691–694.
Eduard von Hartmann: Ueber ältere und moderne Tragödienstoffe. [E: 1871]. In: Ders.: Gesammelte Studien, S. 308–319; Zitat S. 317.
Eduard von Hartmann: Das Problem des Tragischen. [E: 1868] In: Ders.: Gesammelte Studien, S. 276–307. Alle Zitate ebd. mit den Seitenzahlen in Klammern.
Ludwig Pietsch: Iwan Turgénjew. Persönliche Erinnerungen. In: Nord und Süd, Bd. 7 (1878), S. 242–259; Zitat S. 255.
Eine umfangreiche Bibliographie der Rezeption Turgenjews von 1844 bis 1883 bringt J. Eichholz: Turgenev in der deutschen Kritik bis zum Jahre 1883. In: Germanoslavica Heft 1, Jg. I, (1931–32), S. 43–54 und Heft 4, S. 557–593.
Christa Schultze: Theodor Storm und Turgenev Materialien über eine deutsch-russiche Dichterfreundschaft (1863–1883). In: Gerhard Ziegengeist (Hrsg.): I. S. Turgenev und Deutschland, Materialien und Untersuchungen, Band 1, Berlin [Ost] 1965, S. 14.
Robert Prutz: Turgénjew’s Erzählungen in deutscher Übertragung von Friedrich Bodenstedt. In: Deutsches Museum 14/2 (1864), S. 699–705.
Otto Glagau: Die Russische Literatur und Iwan Turgenjew, Berlin 1872, S. 102.
Julian Schmidt: Die neuen Schriften Iwan Turgenjew’s. In: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 248 (5. Sept. 1871), S. 4365–4367; Zitat S. 4367.
Paul Lindau: Neu-Land. Ein Roman von Iwan Turgénjew. In: Die Gegenwart Nr. 40, Jg. 1877, S. 214–217; Zitat S. 217.
Julian Schmidt: Neuland. In: Im neuen Reich 7/1 (1877), S. 652–659. Zitat S. 654.
Vgl. dazu auch den umfangreichen Essay von Julian Schmidt: Iwan Turgenjew. In: Westermann’s Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte, 43. Bd. (October 1877 bis März 1878), S. 78–92 und S. 195–213.
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Rhöse, F. (1978). Pessimismus — zur heroisch-tragischen Ästhetik der Gründerzeit. In: Konflikte und ihre Lösungen Untersuchungen zur Diskussion von Roman und Romanschluß im neunzehnten Jahrhundert. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99931-3_5
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