Zusammenfassung
»Aber es ist ein ganz philiströses Vorurteil, daß alle Konflikte und Probleme dazu da sind, gelöst zu werden.«[1] Dieser Satz Georg Simmeis, geschrieben während des europäischen Zusammenbruchs von 1917/18, markiert für uns die bewußtseinsgeschichtliche Wende zum 20. Jahrhundert, den Abschied von Denkformen, die in ihren literaturtheoretischen Ausprägungen zu untersuchen wir uns zum Ziel gesetzt haben. Selbst den pessimistischen Strömungen im 19. Jahrhundert liegt ja noch ein Denken zugrunde, das auf allen Gebieten an Versöhnung, Harmonie und Erlösung glaubt. Alles wurde unternommen, um die als quälend erfahrenen gesellschaftlichen und bewußtseinsgeschichtlichen Konflikte und Dissonanzen im öffentlichen Diskurs zur Versöhnung und Lösung zu bringen. Von der Versöhnung der besitzenden und besitzlosen Klassen bis zur Versöhnung der Konfessionen, von der Lösung der Frauenfrage bis zur Lösung der grundlegenden Fragen eines mit den Naturwissenschaften konfrontierten traditionalen Weltbildes ist in zahllosen Werken und Broschüren — und in der Literatur die Rede. Der von Auguste Comte ausgehende Positivismus war nicht weniger harmoniegläubig als der »neue Glaube« des David Friedrich Strauß, die pantheistischen Philosophen nicht weniger von der Harmonie des Kosmos (und der Gesellschaft) überzeugt als die Naturwissenschaftler. Gleichwohl zieht sich von den Revolutionen von 1830 und 1848 über die sich immer mehr verschärfende soziale Frage bis hin zum Kulturkampf eine Kette von grundlegenden sozialen, politischen und bewußtseinsgeschichtlichen Konflikten, die Europa binnen dreier Generationen von Grund auf veränderten.
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Anmerkungen
Georg Simmel: Der Konflikt der modernen Kultur, München, Leipzig 1918, S. 47.
Peter L. Berger und Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Mit einer Einleitung zur deutschen Ausgabe von Helmuth Plessner, Frankfurt am Main 19744, S. 3.
Werner Hahl: Reflexion und Erzählung. Ein Problem der Romantheorie von der Spätaufklärung bis zum programmatischen Realismus, Stuttgart Berlin Köln Mainz 1971.
Hermann Kinder: Poesie als Synthese. Ausbreitung eines deutschen Realismus-Verständnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1973.
Helmuth Widhammer: Realismus und Klassizistische Tradition. Zur Theorie der Literatur in Deutschland 1848–1860, Tübingen 1972.
Vgl. dazu etwa die Arbeit von Günter Rebing: Der Halbbruder des Dichters Friedrich Spielhagens. Theorie des Romans, Frankfurt am Main 1972, Literaturverzeichnis S. 221.
Richard Stang: The Theory Of The Novel In England 1850–1870, London 1959, p. XI.
Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848, Band II. Die Formenwelt, Stuttgart 1972, S. 820.
Hartmut Steinecke (Hrsg).: Theorie und Technik des Romans im 19. Jahrhundert, Tübingen 1970, S. 137.
Eberhard Lämmert u.a. (Hrsg.): Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland 1620–1880, Köln Berlin 1971, S. XVII.
Wolfgang Iser: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Bekkett, München 1972, S. 7.
Petra Sybille Hauke: Literaturkritik in den Blättern für literarische Unterhaltung 1818–1835, Stuttgart 1972, S. 171.
Friedrich Sengle: Der Romanbegriff in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Ders.: Arbeiten zur deutschen Literatur 1750–1850, Stuttgart 1965, S. 176. Gesperrt ebd.
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Rhöse, F. (1978). Einleitung. In: Konflikte und ihre Lösungen Untersuchungen zur Diskussion von Roman und Romanschluß im neunzehnten Jahrhundert. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99931-3_1
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