Zusammenfassung
Kein Trauerspiel des Andreas Gryphius hat dem schaubegierigen Auge des barocken Zuschauers mehr geboten als der »Papinianus«: nicht weniger als dreimal wird auf offener Bühne — und nicht etwa durch Botenbericht oder Teichoskopie vermittelt — das Urereignis des Trauerspiels präsentiert, der Tod in Form von Mord, Marterung und Hinrichtung.1 In der zweiten Abhandlung schon ersticht der römische Kaiser Bassianus Caracalla seinen Bruder und Mitregenten Geta; gleich die nächste Abhandlung macht den Betrachter zum Zeugen, wie die im Rachdurst rasende Kaiserinmutter Julia dem Intriganten und Verräter Laetus das Herz „auß dem zuschlitzten Leib“ „rücken“ läßt (III,619);2 dem Papinian endlich hält man zuerst das „abgeschmissen Haubt“ des eigenen Sohnes vor (V,277), ehe auch er „sein wolverdintes Haubt … dem verfluchten Richt=beil zu unterwerffen gezwungen“ wird (S. 167). Jammer und Trauer, Totenklagen und Racheschreie, reine Kristallisationen der barocken Anschauung von der Tragödie, ersetzen auf weite Strecken jedes dramatische Geschehen. Über ganze Szenen hinweg beherrschen Leichen den „Schaw=Platz“ (II,277 ff.; III,623 ff.; V,411 ff.). „Für das Trauerspiel des siebzehnten Jahrhunderts wird die Leiche oberstes emblematisches Requisit schlechthin“ — nirgends trifft dieser Satz Walter Benjamins3 genauer zu als auf den »Papinian«. „Ach überhäufftes Trauer=Spil!“ (V,437) — wie ein ständiger Refrain dringt die Katastrophen-Metapher vom „Trauer-“ und „Jammer-Spiel“ in den Text des Trauerspiels ein, sind doch jene Ereignisse schon für sich, auch ohne die Bühne, „Trauer-Spiele“ und damit drastische, aber präzise Abbilder des großen Trauerspiels, das nach der Überzeugung des Gryphius alles menschliche Dasein darstellt.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Notizen
Mag sein, daß diese stärkere Betonung des Theatralischen auf den Einfluß der Wanderbühne zurückzuführen ist, die 1658 in Schlesien auftrat (M. Szyrocki, Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk, Tübingen 1964, S. 93). Tatsächlich ging dann ja der »Papinian« in das Repertoire der Wanderbühnen ein. Vgl. W. Flemming (Hrsg.), Das Schauspiel der Wanderbühne (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama 3), Leipzig 1931, Einführung, S. 57. In diesem Band findet man auch die grotesk zugerichtete Wanderbühnen-Fassung des Stücks (S. 138 ff.).
Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Andreas Gryphius, Trauerspiele I, hg. v. H. Powell, Tübingen 1966 (Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, hg. v. M. Szyrocki und H. Powell, Bd 4) mit Angabe der Abhandlung (römisch) und Verszahl (arabisch) bzw. Seitenzahl dieses Bandes.
W. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, revidierte Ausgabe, besorgt v. R. Tiedemann, Frankfurt a. M. 1963, S. 247.
Diese Erschütterung dringt, wie A. Schöne zeigen konnte, bis in die emblematische Bildlichkeit des Stückes ein. So erscheint nach dem Mord an Geta das Bild vom Blitz, der das „belorbert Haupt getroffen“ hat (II,287; vgl. auch nach dem Tod Papinians V,476 f.), ein nach den Gesetzen der Emblematik widersinniges Bild — denn gerade der Lorbeer gewährt Sicherheit vor Blitzen-, damit aber ein genauer Ausdruck für die „Ungeheuerlichkeit, das ganz und gar Unfaßliche dessen, was hier geschehen ist“ (A. Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München 1964, S. 88 ff., das Zitat auf S. 94).
Eine ausführliche Analyse des „Intriganten“ Laetus bei H. Heckmann, Elemente des barocken Trauerspiels. Am Beispiel des »Papinian« von Andreas Gryphius, München 1959, S. 96 ff. Heckmann betont ebenfalls den Kontrast Papinian — Laetus und die „chaotische Neigung seines Handelns“ (S. 111), isoliert freilich die Figur zu sehr, so daß er den Zusammenhang zwischen Laetus und Themis ganz aus dem Blick verliert. Im übrigen modifiziert Heckmann W. Benjamins Typologie des Intriganten (Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 92 ff.).
So Heckmann, Elemente des barocken Trauerspiels, S. 114.
Vgl. Catharina, Anm. 5, S. 37 des vorliegenden Bandes. — Wie einen Kommentar zu Laetus kann man die folgenden Sätze Augustins lesen: „scilicet ut victores non tolerantia faciat, sed justitia: quoniam martyres discernit causa, non poena. Multi enim dolores toleraverunt pertinacia, non constantia; vitio, non virtute; pravo errore, non recta ratione; diabolo possidente, non persequente“ (sermo 275,1; PL 38,1254). Vgl. auch sermo 283,5; 285,2; 306, 2; 325, 2; 327,1; 331, 2 u. ö.
Vgl. Catharina von Georgien IV,320ff.; Carolus Stuardus (II) III,312; Papinianus I,350f.; V,260ff.
G. Pfligersdorffer, Fatum und Fortuna. Ein Versuch zu einem Thema frühkaiserzeitlicher Weltanschauung, in: Literaturwiss. Jahrb. d. Görres-Gesellschaft, N. F. 2, 1961, S. 1–30; das Zitat auf S. 6. Stärker noch als in den moralischen Traktaten wird „la confrontation de l’âme humaine avec la Fortune“ zum Gesetz von Senecas Tragödien. Dazu P. Grimal, Les tragédies de Sénèque, in: Les tragédies de Sénèque et le théâtre de la Renaissance, Paris 1964, S. 9. Vgl. auch O. Regenbogen, Schmerz und Tod in den Tragödien Sénecas, in: O. R., Kleine Schriften, hg. v. F. Dirlmeier, München 1961, bes. S. 442 ff.
Wenn die Stoiker in ihrer Lehre vom Fatum „etwan gestrauchelt vnd gefallen“, erklärt Lipsius, „so ist es doch aus einem löblichen und gutem fürsatz geschehen / damit sie die blinden Menschen von der blinden Göttin abführeten. Vom Glück meine ich / welches gewalt sie nicht allein mit gantzer macht vernichtet vnnd verworffen / sondern auch seinen namen nicht haben dulden wollen.“ Justus Lipsius, Von der Bestendigkeit [De Constantia], Faksimiledruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der zweiten Auflage von c. 1601, hg. v. L. Forster, Stuttgart 1965, I,18, Bl. 56r. — Zum Problem Fatum/Fortuna vgl. auch R. Bauer, „Das gemißhandelte Schicksal“. Zur Theorie des Tragischen im deutschen Idealismus, in: Euph. 58, 1964, S. 246 f.
Justus Lipsius, De constantia, Dem Leser, Bl. 149 ff. So erscheint neben dem oben (Anm. 10) mitgeteilten Verdikt über die Fortuna eine Marginalie, die auf Augustins Verwerfung des Begriffs verweist (vgl. Retractationes I,1; PL 32,585). Hier wie sonst bei Lipsius ist der unmittelbare Kontakt mit der patristischen Philosophie und Theologie offenkundig.
Zur Wanderung des Fortuna-Motivs: H. R. Patch, The Tradition of the Goddess Fortuna in Roman Literature and in the Transitional Period, The Tradition of the Goddess Fortuna in Medieval Philosophy and Literature, in: Smith College Studies in Modern Languages 3, 1922, S. 131–177 und 179–235. — Eine radikale Ablehnung der Fortuna findet man bei G. J. Vossius, De Theologia Gentili, et Physiologia Christiana; sive De Origine ac Progressu Idololatriae; deque Naturae Mirandis, quibus Homo adducitur ad Deum II,1, in: Vossius, Opera, Bd 5, Amstelodami 1700, S. 200–202. Gryphius dürfte dieses Werk (es erschien zuerst 1641), dessen Autor er schätzte, gekannt haben.
Vgl. H.-J. Schings, Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den Dissertationes funebres und Trauerspielen (Kölner Germanistische Studien 2), Köln/Graz 1966, S. 185 ff. — Ich möchte in dieser Frage noch weiter gehen als W. Vosskamp, der die Fortuna-Auffassung bei Gryphius noch einer „vermittelnd-christlichen“ Haltung nach dem Muster des Boethius zuordnet, obwohl er anderseits die Fortuna nurmehr „Kennzeichen“ und „Aspekt“ der Vergänglichkeit nennt (Untersuchungen zur Zeit- und Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert bei Gryphius und Lohenstein [Literatur und Wirklichkeit, Bd 1], Bonn 1967, S. 135 ff.).
Es bleibt mir unverständlich, wenn H. Heckmann zu dieser Stelle (II,525 ff.) bemerkt: „Es ist das ins Auge fallende Bild menschlicher Daseinsart, in dem schnöde Machtgier das Rad des Geschehens vorantreibt“ (Elemente des barocken Trauerspiels, S. 105). Uberhaupt liegt eine der entscheidenden Schwächen der Interpretation Heckmanns in der Verkennung der Themis. So behauptet er unter dem unglücklichen Zwang der Immanenz-These, aber gegen die Auskunft des Textes: „Hier scheint das Verhängnis nicht so sehr von Gott ‚geschickt’, als vielmehr in der Geschichte selbst gegründet zu sein“, oder er spricht von der „abstrakten Form“, in der „wenig von einer Providentia dei zu verspüren“ sei (S. 125 f.). Ist die Themis ‚abstrakt‘?
Vgl. dazu Gryphius’ Anmerkung zu II,471, S. 259.
Vgl. III, 687f.; 694f.; IV, 447, 463ff., 470.
Zum Phänomen des „erhitzten Gewissens“ und seinem theologischen Hintergrund vgl. die erhellende Analyse von E. Geisenhof, Die Darstellung der Leidenschaften in den Trauerspielen des Andreas Gryphius, Diss. (Masch.) Heidelberg 1957, S. 221 ff.
Lipsius, De constantia II,14, Bl. 111r.
Lipsius, De constantia II,13, Bl. 110r.
Dazu unten S. 200.
Die positivistisch-gründliche Arbeit von W. Harring nennt nur spätere Bearbeitungen (Andreas Gryphius und das Drama der Jesuiten [Hermaea V], Halle 1907, S. 15). Ebenso fehlt ein Papinian in den Registern bei J. Müller, Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665), 2 Bde, Augsburg 1930.
G. Dulckeit, Römische Rechtsgeschichte, München/Berlin 21957, S. 218 f.
Artikel „Papinianus“ in: Zedier, Grosses vollständiges Universal-Lexikon, Bd 26, Leipzig/Halle 1740, Sp. 672.
Boethius, Trost der Philosophie. Lateinisch und deutsch, übertragen v. E. Gothein, Zürich 1949, III, prosa V, S. 147 ff.
Lipsius, De constantia II,8, Bl. 95r. — Eine Rede »De Papiniano« des Magister Mathaeus Wesenbecius, Wittenberg 1570, erwähnt Harring, Andreas Gryphius und das Drama der Jesuiten, S. 16, Anm. 4. Als Sinnbild der Constantia erscheint der Papinian auch bei J. Cogeler, Imagines elegantissimae qvae mvltvm lvcis ad intelligendos doctrinae Christianae locos adferre possunt, Teil 2, Wittenberg 1564, G. worauf D. W. Jons hinweist (Das ‚Sinnen-Bild‘. Studien zur allegorischen Bildlichkeit bei Andreas Gryphius, Stuttgart 1966, S. 41, Anm. 2).
Nachwort zu »De constantia«, S. 21*.
Lipsius, De constantia II,8, Bl. 93r.
Lipsius, De constantia II,8, Bl. 94v.
Seneca, De prov. VI,2 f.: „Quare quaedam dura patiuntur [se. boni viri]? Ut alios pati doceant; nati sunt in exemplar.“ — Vgl. Boethius, Trost der Philosophie IV, prosa VI, S. 251.
J. Liebe, Die Deutung des Gotteswillens in der Religion und im Drama des Andreas Gryphius, Diss. (Masch.) Leipzig 1921/22, S. 193.
Der Johannes-Text liegt auch dem Sonett »Auff den Sontag der von der Welt gehasseten Warheit/oder Exaudi« zugrunde (Sonette III,35, Gesamtausgabe, Bd 1, S. 206). Zum Motiv der Verfolgung des Gerechten vgl. auch: Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 162 ff.
Gryphius bezieht sich hier auf Augustinus, De disciplina christiana (im Text steht fälschlich „Lib. de doctrin. Christian.“), c. 7; PL 40,673. Vgl. als biblische Quelle Sap. 2,24f.: „Invidia diaboli mors introivit in orbem terrarum, imitantur autem ilium qui sunt ex parte illius.“ — Eine Fülle von patristischen Belegen zu diesem Motiv bei J. Meckelius, Gnomologia Patrum, sev Selecta verae, conditae et purioris Antiquitatis testimonia …, Ulmae Suevorum 1651, II,83 (De Invidia), S. 181–185.
Cardenio und Celinde I,552 (Gesamtausgabe, Bd 5).
Auch Sénecas Helden kennen ihr Geschick von Anfang an, und sie pflegen diese „anticipation du futur“ gleichfalls schon in den Eingangsmonologen zu bekunden. P. Grimal hat auf dieses Gestaltungsprinzip besonders hingewiesen (Les tragédies de Sénèque, S. 7 f.).
Dazu bes. Seneca, De prov. XI,12, sowie Lipsius, Manuductio ad Stoicam Philosophiam III,9 (in: Lipsius, Opera omnia, Bd 4, Vesaliae 1675, S. 776–778): „Sapienti nihil praeter opinionem evenire.“
So erklärt Martin Opitz in der Vorrede zur Übersetzung der »Trojanerinnen«: „Dann eine Tragödie / wie Epictetus soll gesagt haben / ist nichts anders als ein Spiegel derer / die in allem jhrem thun vnd lassen auff das blosse Glück fussen. Welches wir Menschen ins gemeine zum Gebrauche haben; wenig außgenommen / die eine vnd andere vnverhoffte Zufälle voran sehen / vn sich also wider dieselbigē verwahren / dz sie jnen weiter nit schaden mögē als an eusserlichē Wesen / vnd an denen Sachen / die den Menschen eygentlich nicht angehen“ (Weltliche Poemata 1644, Erster Teil, unter Mitwirkung v. Chr. Eisner hg. v. E. Trunz, Tübingen 1967 [Deutsche Neudrucke, Reihe Barock, Bd 2], S. 314 f.). Solche Ausnahmen sind die Märtyrer des Gryphius — im Gegensatz zu ihren Gegenspielern, die sich deshalb blind der Fortuna ausliefern. Insofern pflanzt das Gryphsche Trauerspiel „Beständigkeit“ nicht nur, wie Opitz es am Beispiel der »Trojanerinnen« will, „durch Beschawung der Mißligkeit deß Menschlichen Lebens“ ein, sondern zugleich durch die vorbildliche Haltung des Märtyrers.
Seneca, De cons, ad Marciam X,5: „Si mortuum tibi filium doles, eius temporis quo natus est crimen est; mors illi denuntiata nascenti est; in hanc legem erat satus, hoc ilium fatum ab utero statim prosequebatur.“ Vgl. auch XI,1; XXI,6 u. ö.
Seneca, ep. 77,12: „Rata et fixa sunt fata et magna atque aeterna necessitate ducuntur: eo ibis, quo omnia eunt. Quid tibi novi est? Ad hanc legem natus es … Series invicta et nulla mutabilis ope inligavit ac trahit cuneta.“
Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 196 ff.
Vgl. D 55: „Auff diesem unsern Schauplatz eiteler Nichtigkeit findet / was iemals entstanden / seinen Untergang (Stat. 2. silv. carm. 1.) und die lieblichsten Brunnen verseigen endlich wie der Bach Krith. (1. Regum c. 15) Eben diese Noth [von mir hervorgehoben] reisset uns eigendlich genante Sterblichen / daß wir dahin fahren als ein Strom / (Psal. 90. v. 5.) außge-schüttet werden wie Wasser / (Psal. 22. vers. 15.) …“
Lipsius, De constantia I, 19, Bl. 58v. Eine Marginalie nennt Augustinus, Isidor von Sevilla und Thomas von Aquin. Dazu: Die patristische und stoische Tradition, S. 208 ff.
Lipsius, De constantia I, 18, Bl. 55v–56r.
In den »Politica«, dem Gegenstück zur »Constantia« (war diese für die einfachen „ciues“ gedacht, so jene für die Herrschenden), verbindet Lipsius deshalb Fatum und Conscientia als die „Zweige“ der einen Pietas. Dabei betont er noch einmal: „Fati vocem hic et alibi veterum more pono, sed non mente. Nil nisi prouidentiam divinam, idque pio et Christiano sensu intelligere me, semel testor“ (J. L., Politicorvm sive Civilis Doctrinae Libri Sex …, Antverpiae 1594, I, 4, S. 25–28).
So Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 71 ff., und in seinem Gefolge Heckmann, Elemente des barocken Trauerspiels, S. 118 ff.
W. Welzig, Constantia und barocke Beständigkeit, in: DVjs. 35, 1961, S. 430. — Bedenken gegen das „innerweltliche Märtyrertum“ des Papinian hat namentlich A. Schöne angemeldet (S. 134 des vorliegenden Bandes).
An dieser Stelle aber sieht H. Plard auch den grundlegenden Unterschied, der Gryphius — bei aller Affinität — von Seneca trennt: „ce ne sont pas des fata impersonnels qui règnent sur le monde, mais un Dieu qui a voulu être homme parmi les hommes …“ (H. Plard, Sénèque et la tragédie d’Andreas Gryphius, in: Les tragédies de Sénèque et le théâtre de la Renaissance, S. 259).
Seneca, De prov. I, 6; II, 6; IV, 7 f.
De prov. II, 4.
De prov. IV, 2.
De prov. III, 1.
De prov. III, 4.
Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 228 ff.
Man denke an die ep. 102 über die Unsterblichkeit der Seele. Sonst ist das Wort „aeternitas“ keineswegs typisch für Seneca. Freilich hat der barocke Seneca-Enthusiasmus Seneca nicht als einen „Menschen des Diesseits“ verstanden (so M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Bd 1, 2Göttingen 1959, S. 323), sondern die Momente betont, die seine christliche Deutung ermöglichten. Anderseits scheute man sich nicht, Seneca aufs schärfste anzugreifen, sobald er christlichen Lehren widersprach; so Martin Opitz bei Gelegenheit des Trojanerinnen-Chors, der die Unsterblichkeit der Seele in Frage stellt (Troades v. 371 ff., in Opitzens Übersetzung v. 445 ff.). Vgl. M. Opitz, Weltliche Poemata I, S. 405–408.
Vgl. Seneca, De vita beata XXVII, 2; De const, sap. III, 5. Belege aus den Dramen bei P. Stachel, Seneca und das deutsche Renaissancedrama (Palaestra 46), Berlin 1907, S. 23. — Beispiele aus der zeitgenössischen Emblematik gibt A. Schöne, Emblematik, S. 100 f., 112 f., 133 f., 210 f., 215.
Eine Begriffsgeschichte bis einschließlich Thomas von Aquin liefert R.-A. Gauthier, Magnanimité. L’idéal de la grandeur dans la philosophie païenne et dans la théologie chrétienne, Paris 1951 (Bibliothèque thomiste, Bd 28).
Es handelt sich um ein altes martyrologisches Motiv. Vgl. Augustinus, sermo 284, 2; PL 38, 1288 f.: „Quam multos enim martyres sanctos putamus propinquante passione, blanditiis suorum fuisse tentatos, conantium eos ad hujus vitae temporalium et vanam et fugitivam dulcedinem revocare?“ — Im übrigen erweist sich bei dieser Gelegenheit, daß Papinian als Politiker durchaus ‚realistisch‘ denkt und — bis zu einem gewissen Grade — auch zu Zugeständnissen gegenüber dem Fürsten bereit ist: „Man muß je Fürsten was zuweilen übersehen! Nicht stets entgegen gehn / bemänteln was geschehen …“ (V, 119 ff.). Das stimmt überraschend genau mit den Thesen überein, die Lipsius in seinem Fürstenspiegel zum Problem „Quomodo, et quatenus, Fraudes admittendae“ vorträgt. Vgl. Lipsius, Politica IV, 14, S. 133–142.
Bekanntlich bildet die Ablehnung jedes Widerstandsrechts eines der Kernstücke der religiös fundierten absolutistischen Staatsauffassung, die Gryphius auch sonst vertritt. Dazu vor allem: H. Hildebrandt, Die Staatsauffassung der schlesischen Barockdramatiker im Rahmen ihrer Zeit, Diss. Rostock 1939, bes. S. 71 ff. — Daß hier der lutherische Gehorsam gegenüber der Obrigkeit im Spiel ist, liegt auf der Hand. Aber auch der Jesuit Carolus Scribanius läßt in seinem »Politico-Christianvs«, den Gryphius in einer Anmerkung zum »Papinian« zitiert (S. 263), an Radikalität in dieser Frage nichts zu wünschen übrig. „Mors à Principe illata ferenda“ — „Quocunque modo saeuiat Princeps, ferendum“ — „Ferendus Princeps licet in Rempub. saeuiat“ — „Generosus ante mortē deliget, quam in impium insurgat Principē“: so lauten einige seiner biblisch begründeten Maximen. Sie lassen dem Untertanen gegenüber dem ungerechten Fürsten keine andern Mittel als Gebet, Geduld oder, wenn es sein muß, das Martyrium. C. Scribanius, Politico-Christianvs, Antverpiae 1624, I, 7, S. 94 ff. — So sehr eine solche Haltung heutzutage auch befremden mag, so geht es doch nicht an, daraus eine Kritik an den ästhetischen Qualitäten des Dramas abzuleiten, wie das Elida Maria Szarota glaubt tun zu müssen: „Indem Gryphius zwei so widerspruchsvolle Ideen miteinander verbinden wollte — das Widerstandsrecht gegen einen verbrecherischen Fürsten mit der absoluten Treue gegen ihn — erhielt sein Stück einen inneren Riß, der nicht mehr ganz heilbar war“ (Künstler, Grübler und Rebellen. Studien zum europäischen Märtyrerdrama des 17. Jahrhunderts, Bern/München 1967, S. 293). Abgesehen davon, daß die Antithese nicht präzis formuliert ist — Papinian leistet eben keinen aktiven Widerstand —, krankt diese Behauptung daran, daß sie die Erwartungen der Interpretin zum Maßstab des Urteils macht. Diese Erwartungen aber zielen — und das ist ganz gegen Gryphius gedacht — auf einen „Rebellen“.
Daß der Stoiker auch den Tod des eigenen Kindes unbewegt hinnimmt, ist eine schroffe, aber logische Konsequenz seiner Constantia, wie Seneca in seinen bekannten Konsolations-Schriften (vgl. auch ep. 99) immer wieder dargetan hat; sie bietet deshalb auch keinen Anlaß zu einem ‚tragischen‘ Konflikt, zumal sich hier die Constantia mit der Rechtsidee verbindet: „Wer nur das Recht ansiht schlägt Kinder in den Wind“ (IV, 310).
Wenn Papinian kurz vor der Hinrichtung noch einmal bekräftigt, „Daß ein durchlauchter Tag uns reiss’ auß langer Nacht“ (V, 334), so hat das wiederum Zitat-Charakter: die gleiche Licht-Metaphorik bestimmt Senecas ep. 102 (bes. 27 ff.).
Die Anspielung auf Paulus hat, so weit ich sehe, nur Geisenhof bemerkt (Die Darstellung der Leidenschaften, S. 225 f.). Daß die paulinische Lehre ihrerseits von der stoischen Naturrechtstheorie beeinflußt ist, erhöht nur, wenn auch wohl unbeabsichtigt, die Schlüssigkeit der Analogie. (Vgl. J. Stelzenberger, Die Beziehungen der frühchristlichen Sittenlehre zur Ethik der Stoa, München 1933, S. 95 ff.)
Daß Gryphius im martyrologischen Zusammenhang an diesen biblischen „Schatz“ denkt, beweist das Sonett »Auff den Tag Stephani«, das ausdrücklich auf »VI. Matth. 23« zurückgreift. Da heißt es (Sonette IV, 4, Gesamtausgabe, Bd 1, S. 227): Zubrecht was irrdisch ist / diß Fleisch / die Arm vnd Bein! Ich kan den Schatz doch nicht / der darinn ist / verlieren.
Vgl. vor allem Heckmann, Elemente des barocken Trauerspiels, S. 51 ff.; Szarota, Künstler, Grübler und Rebellen, S. 270 f.
E. Lunding, Das schlesische Kunstdrama, Kopenhagen 1940, S. 42.
Seneca, ep. 66, 12.
Lipsius, De constantia I, 5. Ich zitiere hier den lateinischen Text aus den Opera omnia, Bd 4, Vesaliae 1675, S. 532. Vgl. zum folgenden auch: Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 280 ff.
Die neuplatonische Metapher erscheint noch bei Daniel Heinsius, De Contemptv Mortis, Lvgdvni Batavorvm 1621, Summa Doctrinae, S. 112: „Hoc praestare non posse [sc. animumj …, nisi se ab omni perturbatione vindicatum includat sibi, nisi mente penitus fruatur, quae est flos quasi animi, et in suprema parte, tanquam arce quadam, collocata.“
E. von Ivánka, Apex mentis. Wanderung und Wandlung eines stoischen Terminus, in: Zs. f. kath. Theologie 72, 1950, S. 149 ff.; H. Hof, Scintilla Animae. Eine Studie zu einem Grundbegriff in Meister Eckharts Philosophie, Lund/Bonn 1952, bes. S. 196 ff.
Justus Lipsius, Physiologia Stoicorum III, 8 (in: Lipsius, Opera omnia, Bd 4, Vesaliae 1675, S. 986).
Ps. 81, 6.
Seneca, De prov. I, 5.
Vgl. damit Papiniarms I, 224 ff.: Deß strengen Himmels Gabe Ist diß was in uns wacht / das jhr Gewissen heist; Das uns von innen warnt / und nagt / und reitzt / und beist.
Lipsius, De constantia, S. 532. Vgl. auch Lipsius, Politica I, 5, S. 28: „Est autem Conscientia, Reliqva in homine rectae rationis scintilla? Bonorvm malorvmqve facinorvm ivdex et index.“
Hieronymus, ep. 130, ad Demetriadem de servanda virginitate, PL 22, 1107 ff.
Augustinus, De civ. Dei XXII, 24; PL 41, 789.
Lipsius, Manuductio ad Stoicam Philosophiam II, 18, S. 725.
So betont M. Wehrli: „Es hat ja etwas zutiefst Erschreckendes, wie sich die gryphische Dramendichtung in der stoischen Starre des ›Papinian‹ vollendet. Da ist ja der Held nicht mehr der Märtyrer eines Glaubens und im Grunde auch nicht mehr des Rechts und der Sitte, sondern gleichsam ein Märtyrer seiner selbst; sein Untergang demonstriert und vollzieht nichts anderes als die Freiheit des großen Geistes, eine höchste tödliche Form der Selbstbewahrung“ (Andreas Gryphius und die Dichtung der Jesuiten, in: Stimmen der Zeit 90, 1964/65, S. 37). Das Urteil beruht aber, wie der zweite Satz zeigt, auf falschen Prämissen: „Selbstbewahrung“ und Martyrium für das „Heilge Recht“ schließen sich nicht aus, sie sind vermittelt durch die Idee des Gewissens. — Daß im übrigen der Autor Gryphius nicht einfach-hin mit seiner Figur identifiziert werden kann, die überdies noch durch den Stoff und die Gattung determiniert ist, versteht sich von selbst.
Heckmann, Elemente des barocken Trauerspiels, S. 76 ff. Auch W. Keller bezeichnet den »Papinian« zwar als „säkularisiertes Heiligendrama“, rückt aber sonst durchaus von Heckmann ab und betont die „Analogie zur christlichen Märtyrertypik“ (Nachwort zur Reclam-Ausgabe des »Papinianus«, RUB 8935/36, 21966, S. 153).
Szarota, Künstler, Grübler und Rebellen, S. 267 ff. Szarota stellt jedoch sogleich fest, daß Gryphius, zumal im Hinblick auf das Todesproblem, eine „Ausnahme“ im Kreis der säkularisierten Märtyrerdramen bilde (S. 272). Dennoch rückt sie dann den »Papinian« unter dieser Rubrik an Lohensteins Stücke heran.
Szarota, ebd., S. 305.
So H. Blumenberg in einer grundsätzlichen Kritik des Säkularisationsbegriffes: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1966, S. 34. Um Mißverständnissen vorzubeugen: meine Kritik richtet sich gegen den ideologisch getönten Säkularisationsbegriff von Heckmann und Szarota, der eben die Momente ins Spiel bringt, die A. Schöne in seiner phänomenologischen Anwendung des Begriffs ausdrücklich — und das gilt namentlich für seine Gryphius-Interpretation — abgewiesen hat (vgl. bes. Säkularisation als sprachbildende Kraft [Palaestra 226], Göttingen 21968, S. 24 ff.). In der Tat zeigt das Säkularisationsprinzip der „figuralen Gestaltung“, das Schöne am »Carolus Stuardus« demonstriert, alles andere als einen Verlust an Glaubenssubstanz, den hingegen die oben genannten Interpreten zumindest suggerieren.
Seneca Christianvs. Id est Flores Christiani. Ex L. Annaei Senecae Epistolis Collecti, et in XXXVIII. Capita digesti, Avgvstae Vindelicorum 1637. Schon der Titel spricht für sich. In der Praefatio, Bl. 3v, heißt es dann: „Cum Senecam eloquentiâ laudatissimum ac Virtutis studio penè Christianum fuisse priscorum ac Sanctorum Patrum consensus suadeat …“.
Als Devise gilt das Wort des Hieronymus: „Stoici nostro dogmati in plerisque concordant“ (in Isaiam IV, 11; PL 24, 147). — Vgl. L. Zanta, La renaissance du stoicisme au XVIe siècle, Paris 1914 (Bibl. littéraire de la Renaissance, N. S., Bd 5); Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 201 ff.
Vgl. auch D 503 f. und 602 f. — Daß Gryphius sonst sehr genau die christlichen Blutzeugen von den stoisch-heidnischen abhebt, geht aus mehreren Äußerungen der Leichabdankungen deutlich hervor. Vgl. D 434 f. und 399 f., dazu Schöne, S. 134 des vorliegenden Bandes; Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 170 ff.
Tertullian, Apologeticus, c. 17, PL 1, 376 f. Vgl. W. Keller, Reclam-Nachwort, S. 154.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1968 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Schings, HJ. (1968). Großmüttiger Rechts=Gelehrter / Oder Sterbender Æmilius Paulus Papinianus. In: Kaiser, G. (eds) Die Dramen des Andreas Gryphius. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99905-4_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-99905-4_5
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-99906-1
Online ISBN: 978-3-476-99905-4
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)