Skip to main content

Cardenio vnd Celinde, Oder Unglücklich Verliebete

  • Chapter
Die Dramen des Andreas Gryphius

Zusammenfassung

In der Vorrede an den „Großgünstige(n) vnd Hochgeehrte(n) Leser“ rechtfertigt Gryphius den mittleren Stil seines Trauerspiels, das „manch scharffes Urtheil außstehen wird“ (S. 99)1, weil es in der Stoffwahl die Größe und den Heroismus preisgibt, die nach der zeitgenössischen Auffassung der Gattung des Trauerspiels allein angemessen sind.2 Gryphius urteilt aus den Grundsätzen der barocken Wirkungsästhetik, ihrer Stil- und Sozialtypik,3 wenn er einleitend gegen die „Unglücklich Verliebeten“ selbst einwendet: „Die Personen so eingeführet sind fast zu niedrig vor ein Traur=Spiel / doch hätte ich diesem Mangel leicht abhelffen können / wenn ich der Historien die ich sonderlich zu behalten gesonnen / etwas zu nahe treten wollen.“ (S. 99) Statt Welt- und Staatsaktionen auf die Bühne zu bringen, beschränkt er sich im Sujet auf einen Liebeshandel, dessen Intimität ihm später, aus dem Gesichtspunkt des bürgerlichen Dramas, zu einem strittigen Ruhm verhalf. Friedrich Gundolf folgt den formalen Konsequenzen der Stoffwahl, wenn er »Cardenio und Celinde« als Seelendrama interpretiert, das der Tendenz nach über die deutsche Barocktheatralik hinausweise. Seine aktualisierende Deutung führt jedoch zu dem Schluß, daß Gryphius den „reinen Seelenton“ der Innerlichkeit nicht erreiche.4 Unverhofft bestätigt die Sprache, was die Vorrede ohnehin schon zeigt: maßgebend für die Wahl des Stoffes ist nicht seine Intimität, sondern seine Eignung zum memento mori, die ihn als Stoff eines barocken Trauerspiels allein rechtfertigen kann: „Was nun in oberzehlten Stücken abgehet / wird wie ich verhoffe der schreckliche Traur=Spiegel welcher bey den Verliebeten vorgestellet / wie auch deß Cardenio verwirretes Leben / genungsam ersetzen.“

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Hardcover Book
USD 84.99
Price excludes VAT (USA)
  • Durable hardcover edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Zitiert wird mit Akt- (römisch) und Verszahl (arabisch) bzw. Seitenangabe nach der Ausgabe: Andreas Gryphius, Trauerspiele II, hg. v. H. Powell (Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, hg. v. M. Szyrocki und H. P., Bd 5). Tübingen 1965.

    Google Scholar 

  2. Zur Stoffgeschiehte vgl. K. Neubauer, Zur Quellenfrage von Andreas Gryphius’ »Cardenio und Celinde«, in: Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte II, 1902, S. 433–451; ferner Jean F.-A. Ricci (L’Histoire de Cardenio et de Célinde, Diss. Paris 1947, S. 29–51), der die Abweichungen von der Vorlage eingehend erörtert. Gryphius erklärt in seiner Vorrede, ihm sei „deß Cardenio Begebnüß … in Italien vor eine wahrhaffte Geschieht mitgetheilet“ worden (S. 99). Es wird angenommen, daß seine Dramatisierung auf Biasio Cialdinis 1628 erschienene Übersetzung der 1624 von Juan Pérez de Montalvan in dem Sammelwerk »Successos y prodigios de amor« herausgegebenen Novelle »La fuerça del desengan̅o« zurückgeht.

    Google Scholar 

  3. Vgl. z. B. Martini Opitii Buch von der Deutschen Poeterey, Breslau 1624, neu hg. v. R. Alewyn (Neudrucke deutscher Literaturwerke, NF 8), Tübingen 1963, S. 20. Zum Dispositionsschema der antiken Rhetorik und ihrem Einfluß auf die barocke Poetik vgl. neben H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2 Bde, München 1960, K. Dockhorn, Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus in der Literatur- und Geistesgeschichte, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil. hist. Kl. 1949, Nr. 5, S. 109–150, und J. Dyck, Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition (Ars poetica 1), Bad Homburg v. d. H. 1966. Vgl. ferner die aus dem Stoff und aus der Stoffauffassung des Barock entwickelte Theorie des Trauerspiels von W. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, revid. Ausgabe von R. Tiedemann, Frankfurt/M. 1963, S. 45 ff.

    Google Scholar 

  4. Gundolf (Andreas Gryphius, Heidelberg 1927), sieht in diesem „erste(n) deutsche(n) ‚Seelendrama‘ (so darf man ‚Cardenio und Celinde‘ beim Vergleich mit der andren deutschen Barocktheatralik nennen)“ (S. 38) erstmals „eine verbindende ‚Psychologie‘“ im Sinne der neueren Dramaturgie verwirklicht (S. 37). Daß sich die Sprache in ihrer Theatralik auch hier einer unhistorischen, an Shakespeare, Lessing und Goethe orientierten Deutung verweigert, zeigt ungewollt die Kritik, die Gundolf an ihr übt: „Ihre Grenze freilich findet diese Verinnerlichung genau da, wo die Lyrik auch der damals innerlichsten Geister halt macht: am Sprachausdruck des irrationellen Lebens. Auch die Leidenschaft wird bei Cardenio und Celinde nicht reiner Seelenton, wie bei Shakespeare oder Goethe, sondern rhetorische Gattung.“ (S. 37 f.)

    Google Scholar 

  5. „… die Art zu reden ist gleichfalls nicht viel über die gemeine / ohn daß hin vnd wieder etliche hitzige vnd stechende Wort mit vnter lauff en / welche aber den Personen / so hier entweder nicht klug / oder doch verliebet / zu gut zu halten.“ (S. 99 f.)

    Google Scholar 

  6. Zur Rhetorik in der barocken Dramensprache vgl. P. Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd 1, Hamburg 21965, Kap. 4: Das Elegantiaideal und das rhetorische Pathos des Barock (S. 318–470); und G. Fricke, Die Bildlichkeit in der Dichtung des Andreas Gryphius (Neue Forschung 17), Berlin 1933. Den Gesichtspunkt der Repräsentation betont W. Flemming, in: Das schlesische Kunstdrama, hg. v. W. F. (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Barockdrama 1), Leipzig 1930, S. 27.

    Google Scholar 

  7. Der Moralismus dieses Stücks könnte auch eine Deutung als bürgerliches Trauerspiel nahelegen, wie sie von B. Markwardt, Geschichte der deutschen Poetik, Bd 1, Berlin 21958, S. 172 ff., angedeutet wird. Dagegen vgl. Böckmann, Formgeschichte, S. 434: „Es ist nicht lehrhaft im reformatorisch-bekenntnisgebundenen oder im moralisch-aufklärerischen Sinn; aber es zieht alles irdische Treiben vor den göttlichen Richter und spricht ein christliches Urteil über die Welt.“ Eine Deutung als Bekehrungsdrama gibt M. E. Gilbert, Gryphius: Cardenio und Celinde, in: Interpretationen 2. Deutsche Dramen von Gryphius bis Brecht, hg. v. J. Schillemeit (Fischer 699), Frankfurt/M und Hamburg 1965 (S. 11–32), S. 16 f. Zur Rolle der Lebensklugheit im »Leo Armenius« vgl. G. Kaiser, S. 22 des vorliegenden Bandes. Zur Bedeutung des Moralischen im bürgerlichen Trauerspiel vgl. L. Pikulik, „Bürgerliches Trauerspiel“ und Empfindsamkeit, Diss. Bonn (Literatur und Leben, hg. v.R. Alewyn, NF 9), Köln 1966, S. 36 ff.

    Google Scholar 

  8. H. Schöffler, Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung, Frankfurt/M. 21956, S. 132–137. H. Powell, Andreas Gryphius and the ‚New Philosophy‘, in: German life and letters 5, 1951/52, S. 274–278; Andreas Gryphius, Cardenio und Celinde, hg. v. H. P., Leicester 1961, Introduction S. XI–LXXIX.

    Google Scholar 

  9. H.-J. Schings, Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den Dissertationes funèbres und Trauerspielen, Diss. Köln, Köln/Graz 1966, S. 54 ff.

    Google Scholar 

  10. Gestützt auf den Vermerk bei Stosch, daß Gryphius als Magister legens in Leyden „die peripatetische mit der neueren Philosophie“ verglichen habe, führte als erster Schöffler, Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung, S. 132 ff., aus, daß mit der neueren Philosophie nur die cartesianische gemeint sein könne, mit der Gryphius in Leyden, einem der „Haupteinfallstore des Cartesianismus in Philosophie, Theologie und Medizin“ (S. 134), während seiner Studienzeit leicht vertraut werden konnte. Verschiedene biographische Fakten scheinen diese Annahme zu stützen: die persönliche Bekanntschaft zwischen Gryphius und Elisabeth von der Pfalz, deren Briefwechsel mit Descartes wichtige Gedanken des moralphilosophischen Traktats „Les passions de l’âme“ vorwegnimmt, und die Berufung, die Gryphius kurz vor seiner Rückkehr nach Glogau von Heidelberg, Frankfurt a. d. Oder und Upsala angetragen wurde, letztere 1649 durch Königin Christine, die im gleichen Jahr Descartes für die Universität in Stockholm gewann.

    Google Scholar 

  11. Vgl. Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 294: „Wie sehr hier auch neuplatonische Vorstellungen dominieren mögen, wobei die Bezeichnung ‚neuplatonisch‘ nicht ausschließt, daß sie sich ebensogut aus dem platonisierenden Neo-Stoizismus herleiten ließen, der Reyhen legt das Verhältnis von ‚hohem Geist‘ und ‚höchster Weisheit‘ im biblischen Sinne aus.“

    Google Scholar 

  12. Schöffler, Deutsches Geistesleben zwischen Reformation und Aufklärung (S. 137), sieht die Besonderheit der moralischen Anlage hier und am Schluß des Dramas in einer betont unlutherischen Hervorhebung der Willensfreiheit: „Auffällig ist der Reyhen am Schluß der ersten Abhandlung: Er schildert den Sündenfall von der cartesianischen Philosophie aus. Cardenios Verse am Schluß der fünften Abhandelung (‚Celind ! Ich bin durch mich und nicht durch sie verführt…‘) lassen Lutherisches vermissen und weisen Cartesianisches auf: Die Idee der Gnade fehlt; nach Descartes und hier nach Gryphius kann der Mensch, wenn er will.“ Vgl. auch E. Lunding, Das schlesische Kunstdrama, Kopenhagen 1940, S. 70 f.

    Google Scholar 

  13. Auf die Bedeutung der Adler-Allegorese in diesem Zusammenhang hat zum ersten Mal Schings (Die patristische und stoische Tradition, S. 294) hingewiesen: „Das merkwürdige Bild verliert seinen änigmatischen Charakter, sobald man erkennt, daß hier offensichtlich auf die Allegorie des Adlers angespielt wird, auf dessen geheimnisvolle Kraft, ‚mit steiffem Aug‘ die Sonne selbst zu schauen: Sinnbild des Geistes, aber doch von diesem übertroffen, der, vorgestellt in der Reinheit seines Wesens, die Rückkehr zum göttlichen Ursprung sucht.“ Vgl. auch S. 22 ff. und S. 278 ff. — Vgl. D. W. Jöns, Das ‚Sinnen-Bild‘. Studien zur allegorischen Bildlichkeit bei Andreas Gryphius, Stuttgart 1966, S. 148 f.

    Google Scholar 

  14. Lipsius verwahrt sich wiederholt gegen die Einwände, die aus dem Gesichtspunkt des Sündenfalls gegen die Vernunft- und Willensfreiheit erhoben werden können. So z. B. in De const. I, 5, Bl. 13 bei der Unterscheidung von Vernunft und Wahn: „Dann ob wol die Seele anjhr selbst durch die flecken des Leibs vnnd erbsucht der Sinne (oder / damit man Theologisch dauon rede / durch den Fall vnser ersten Eltern) schwerlich verderbt und vergifftet ist: so behelt sie dennoch gar fest etliche zeichen jres Vrsprungs / vnd zwitzern gar scheinbar etliche Flammichen des ersten vnd reinen Fewers vor jr herfür.“ (J. L., Von der Bestendigkeit [De Constantia], Faksimiledruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der 2. Aufl. von 1601, mit den wichtigsten Lesarten der 1. Aufl. von 1599, hg. v. L. Forster [= Sammlung Metzler], Stuttgart 1965). Nach dieser Ausgabe wird zitiert. Schings vereinfacht hier den Sachverhalt, wenn er die Unterscheidung von Gryphius darauf gründet, daß Lipsius den Sündenfall „in seiner vor-theologischen Denkweise auszusparen pflegt“ (S. 258).

    Google Scholar 

  15. Unter Hinweis auf Bacon führt Powell in der Einleitung zu seiner Einzelausgabe des Dramas, S. XI f., aus: „For him, as for many of his European contemporaries, there were two kinds of truth — one of faith or religion, the other of reason or science.“ Olympias Lebensklugheit vergleicht er mit Äußerungen Descartes’ und kommt zu dem Schluß: „Olympia gives it as her belief that God has a plan for mankind which it is sometimes possible for the human intellect to discern. God is conceived here as a divine intelligence if not divine reason, and is closely associated with the working of human reason.“ (S. XLIV)

    Google Scholar 

  16. „missen“ statt „müssen“ bei Powell in seiner Einzelausgabe S. 35, H. Palm in: Andreas Gryphius. Trauerspiele, hg. v. H. Palm, Tübingen 1882, S. 303.

    Google Scholar 

  17. In der „weltüberwindende(n) ‚Freude‘ des Märtyrers“ findet die Unterscheidung zur stoischen Tugendlehre, die Schings an den Märtyrerdramen herausarbeitet, ihren bestimmtesten Ausdruck (ebd. S. 270).

    Google Scholar 

  18. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 74: „Die werdende Formensprache des Trauerspiels kann durchweg als Entfaltung der kontemplativen Notwendigkeiten gelten, die in der theologischen Situation der Epoche beschlossen liegen. Und deren eine, wie der Ausfall aller Eschatologie mit sich bringt, ist der Versuch, Trost im Verzicht auf einen Gnadenstand im Rückfall auf den bloßen Schöpfungsstand zu finden“. Vgl. auch Fricke, Die Bildlichkeit, S. 118.

    Google Scholar 

  19. Vgl. P. Stachel, Seneca und das deutsche Renaissancedrama. Studien zur Literatur- und Stilgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts (Palaestra 46), Berlin 1907, der zum barocken Pathos viele Einzelbeobachtungen bringt (zu Gryphius S. 251 ff.), die Theatralik der römisch-stoischen Tradition aber bereits in seinem Seneca-Kapitel als „undramatisch“ kritisiert: „Damit ist bereits die größte Schwäche dieser undramatischen Dramen angedeutet, der Mangel an aller Technik und Ökonomie.“ (S. 12)

    Google Scholar 

  20. In diesem Sinne wendet sich Dockhorn, Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus, S. 109 ff., nicht nur gegen die neuere Gehaltsästhetik, sondern auch gegen ein rationalistisches Mißverständnis der Rhetorik, die er im Rückgriff auf Aristoteles nachdrücklich unter den Aspekt der affektiven Beeinflussung stellt. Eine eingehende Darstellung der Affektenlehre, ihres Zusammenhangs mit der Poetik und ihres Einflusses auf die Gryphius’sche Dramenform gibt E. Geisenhof, Die Darstellung der Leidenschaften in den Trauerspielen des Andreas Gryphius, Diss. (Masch.) Heidelberg 1957.

    Google Scholar 

  21. Vgl. Dockhorn (S. 120), der diesen Gesichtspunkt für das Verständnis des barocken Pathos aber nicht fruchtbar macht: „Mit der Zuspitzung des Gegensatzes von Pathos und Ethos, ‚concitare‘ und ‚conciliare‘ auf die durch diese Beispiele belegte Formel ‚vis et contentio‘ gegenüber ‚vita et mores‘ wird dieser aber nun identisch mit dem Gegensatz ‚magnitudo animi — vita et mores‘ oder ‚magnitudo animi — res humanae‘. Denn er wird nun belastet mit dem stoischen moralischen Wertschematismus, der im Ent-setzend-Verwirrenden, dem Pathos, wie es die Rhetorik meint, den Anlaß zu hoher Bewährung der Seele durch die Kraft des Geistes, und im Anmutend-Gewinnenden, dem Ethos, das Sichhingeben, Hinschmelzen und Fallenlassen zum Nur-Menschlichen sieht.“ Zur Begriffsgeschichte vgl. E. Auerbach, Passio als Leidenschaft, in: E. A., Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern und München 1967, S. 161–175.

    Google Scholar 

  22. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 72.

    Google Scholar 

  23. D. Wintterlin, Pathetisch-monologischer Stil im barocken Trauerspiel des Andreas Gryphius, Diss. (Masch.) Köln 1957, übergeht diesen Zusammenhang. In Anknüpfung an E. Staiger sucht er das barocke Pathos als „reine Ausdrucksbewegung“ zu bestimmen (S. 14). Staiger selbst (Grundbegriffe der Poetik, Zürich 31956, S. 146 f.) geht in seiner Definition von dem Begriff der Beeinflussung aus, läßt den rhetorischen Ansatz dann aber fallen, um das Pathos im Sinn des 18. Jhs. erhaben, als Pathos der Idee, zu deuten (S. 150). Zum Verständnis des barocken Pathos muß man jedoch an dem rhetorischen Ansatz und seiner stoischen Wertung festhalten. Nicht „was sein soll“, sondern „was nicht sein soll“ bewegt den Träger des barocken Pathos.

    Google Scholar 

  24. Vgl. Lipsius, De constantia I, 5, Bl. 15, wenn er den „Wahn“ als „vrsach alles vbels“ beschreibt: „… so thut auch das Gemut / welchs durch die Wolcken des Wahns sihet. Dieser / so mans recht bedencket / ist den Menschen eine vrsach alles vbels: dieser ist der anfenger vnsers wüsten vnd verderblichen Lebens. Das vns die Sorgen plagen / kömpt von jhm her: das vns die Affecten hin vnd wider vmbher schleppen / kömpt von jhm her: das vns die Laster gebieten / kömpt von jhm her.“ Geisenhof, Darstellung der Leidenschaften, S. 104 ff., behandelt ausführlich die Selbstreflexion des Affektischen, doch ohne auf das Problem der wissentlichen Überwältigung einzugehen. Vgl. M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 21959.

    Google Scholar 

  25. „Was Anmut gaben vor / die Sorgen=freyen Nächte / Was schreck’ vnd grauen jetzt?“ (II, 53 f.)

    Google Scholar 

  26. „Denn fällt mich Morpheus an: Vnd reist mich hin vnd wieder Durch Hecken=volle Berg’ / in ein Cypressen Thal: Vnd vnbewohntes Feld / vnd mahlt die raue Qual Verliebter Seelen ab ! Medèen seh’ ich rasen: Ich seh auff Didus Brust von Blut geschwellte Blasen: Die bleiche Phyllis hangt von jhrem Mandelbaum / Alcione sucht Ruh auff toller Wellen Schaum.“ (62 ff.)

    Google Scholar 

  27. Zusammenstellung und Interpretation der einzelnen Bildfelder bei Fricke, Die Bildlichkeit, S. 33 ff., der unter dem Aspekt der Vergänglichkeitsklage die leidvolle Diesseitigkeit und Weltverfangenheit des barocken Pathos nachweist (S. 110 ff.).

    Google Scholar 

  28. Dockhorn, Die Rhetorik als Quelle vorromantischen Irrationalismus, S. 120. Das barocke Leidenschaftspathos bewahrt diese moralische Bedeutung gerade auch dann, wenn es aus christlicher Überzeugung kritisiert und auf eine ganz andere Versöhnung hinausgeführt wird. Als bloß moralische Bewährung geht die stoische Objektivität dieses Pathos in die heilsgeschichtliche Figuration ein. Benjamin vereinfacht diesen Zusammenhang. Er urteilt vom bürgerlichen Moralismus, der Immanenzphilosophie und ihrer individualistischen Psychologieaus, wenn er die naturgeschichtliche Analogisierung als „Kunstgriff“ deutet, „der auftauchenden ethischen Reflexion … die Spitze abzubrechen“ (S. 208). Vgl. dagegen A. Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München 1964. Schöne untersucht den emblematischen Charakter des barocken Sinnbildes, das „aus der materia physica die forma moralis entwickelt“ (S. 39). Er kommt zu dem Schluß: „In Wahrheit legt ja die analogisierende Methode der emblematischen Gleichnisse die Schranke zwischen geschichtlichem und naturhaftem Geschehen dadurch nieder, daß sie auch die res naturales zu Sinnbildern sittlichen oder unsittlichen Verhaltens erhebt.“ (125) Daß die welthafte Metaphorik zugleich auch eine „objektive Seinsverfassung des Lebens“ anzeigt, betont Jöns, Das ‚Sinnen-Bild‘, S. 194.

    Google Scholar 

  29. Als Identitäts- und Selbstverlust deutet J. Rütsch, Das dramatische Ich im deutschen Barock-Theater (Wege zur Dichtung 12), Zürich 1932, S. 57 ff., diese Wahnsinns-Szene. Geisenhof, Darstellung der Leidenschaften, S. 130 f., betont den Doppelsinn, der aus der „Zuordnung Pest des Leibes — Pest der Seele“ entspringt.

    Google Scholar 

  30. Vgl. S. 117 des vorliegenden Bandes. Schöne konzentriert sich hier auf den theologischen Aspekt, auf die flgurale Überformung des Faktischen, die auf die typologische Bibelexegese zurückgeht. Doch vgl. auch S., Emblematik und Drama. Vgl. ferner W. Kayser, Die Klangmalerei bei Harsdörffer. Ein Beitrag zur Geschichte der Literatur, Poetik u. Sprachtheorie der Barockzeit (Palaestra 179), Leipzig 1932, der in diesem Zusammenhang von einer „gattungsgebundenen“ Haltung spricht (S. 16 f.).

    Google Scholar 

  31. „Da ich die Leich erblickt: Erzittert ich vor Schrecken. Wo war der Stirnen Glantz / wohin der Augen Paar? Wohin Marcellus selbst? Was läst vns doch die Baar Als ein verstelltes Aaß / das blauer Schimmel decket Das eine braune Fäul ansteckt vnd gantz beflecket.“ (V, 310 ff.)

    Google Scholar 

  32. Insofern muß Geisenhofs These zur Verblendung und Verkennung eingeschränkt werden: „… und auch Cardenio und Celinde sind von der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen überzeugt.“ (Darstellung der Leidenschaften, S. 214). Vgl. auch S. 27–32. Dagegen Rütsch, Das dramatische Ich, S. 43 ff. zur wissentlichen Überwältigung.

    Google Scholar 

  33. Das Motiv der Verstockung, das als Verhaltensmodell des Tyrannen auch in den Märtyrerdramen eine Rolle spielt, ist bislang kaum beachtet worden. Doch vgl. Rütsch, Das dramatische Ich, S. 99 ff. zur Selbstgerechtigkeit und zur Verhärtung im Jesuitendrama. Die Verstockung bezeichnet einen Zwangszustand, den der Mensch aus sich heraus nicht behebenkann, der ihm aber gleichwohl zugerechnet wird, weil er seine Voraussetzung im Willen hat. Unter diesem Gesichtspunkt ließen sich auch die Beobachtungen fruchtbar machen, die Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 71 ff., gibt, obwohl Benjamin selbst die theologische Bedeutung des Motivs verkennt, die pathetische Selbstverfangenheit des Tyrannen als Immanenz deutet und auf die Gestalt des Märtyrers ausdehnt.

    Google Scholar 

  34. Vgl. Dockhorn, Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus, S. 112 f. und Geisenhof, Darstellung der Leidenschaften, S. 34 f.

    Google Scholar 

  35. Zu Fortuna, Fatum und Providentia im Märtyrerdrama des Gryphius vgl. Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 182 ff. Schings weist im einzelnen nach, daß Fatum und Fortuna ihre Selbständigkeit unter dem Gesichtspunkt der Erbsünde verlieren (S. 214 f.). Doch er nimmt die Unterscheidung zwischen Fatum-Gesetzlichkeit und christlicher Vorsehung dann dadurch wieder zurück, daß er die Erkennbarkeit des Gotteswillens in den Kausalzusammenhängen der Welt ausschlaggebend sein läßt für die „weltüberwindende Freude des Märtyrers“. Er kommt zu dem Schluß: „Denn ein providentielles Eingreifen führt, dem Selbstverständnis des Märtyrers zufolge, sein Leiden und Sterben und überführt derart die Katastrophe der Vergänglichkeit in den Triumph überdauernden Heils. Der providentiellen Handlungs-Kausalität entspricht die transzendente Heilsfmalität.“ (S. 278; vgl. auch S. 217 ff.) Demgegenüber zeigt sich gerade am Verstockungsmodell, daß Fortuna und Fatum, solange das Heil nicht als Wirkung der Gnade durchgesetzt ist, auch objektiv die Hinfälligkeit der Welt presentieren, statt „als Signal für eine ganz bestimmte Haltung zur Welt“ nur für die Uneinsichtigkeit des verblendeten Geistes zu sprechen (S. 188). Zur Objektivität des Sündenstandes, daß im Verhältnis von Geschehen und Deutung die Figuren und Ereignisse „in ihrem eigentlichen Wesen als historische Phänomene“ verbleiben, vgl. Schöne, S. 165 des vorliegenden Bandes. Cardenios Ausbildung zum „uomo universale“ und das Gegenspiel des Zufalls betont E. Feise, Cardenio und Celinde und Papinianus von Andreas Gryphius, in: Journal of English and Germanic Philology XLIV, No. 2, 1945 (S. 181–93), S. 183.

    Google Scholar 

  36. Vgl. Gilbert, Cardenio und Celinde, S. 18 f.

    Google Scholar 

  37. Eine Entsprechung dazu findet sich in dem unauflöslichen Gewissenskonflikt der Tyrannen. Vgl. Geisenhof, Die Darstellung der Leidenschaften, S. 221 ff. zum „erhitzten Gewissen“. Gryphius kommt in »Cardenio und Celinde« der Auffassung Luthers sehr nahe. Vgl. Martin

    Google Scholar 

  38. Die Schwierigkeiten der theologischen Frage, die sich daraus ergehen, daß Gott bei der Verstockung des Pharao offensichtlich Böses wirkt, löst Luther dadurch auf, daß er die göttliche Wirksamkeit in die dynamische, alles bewegende Kraft der Omnipotenz und in die richtunggebende Kraft der Gnade aufspaltet. „Weil ja also Gott alles in allen schafft und wirkt, schafft er notwendigerweise auch im Satan und im Gottlosen. Er wirkt in ihnen so, wie jene sind und wie er sie vorfindet, d. h. da sie von Gott abgewandt und böse sind und von jener Wirksamkeit der göttlichen Allmacht heftig ergriffen werden, tun sie nur das Gott-Feindliche und Böse …“ (S. 140) An anderer Stelle heißt es über den Zusammenhang von Omnipotenz

    Google Scholar 

  39. Vgl. G. Rühle, Die Träume und Geistererscheinungen in den Trauerspielen des Andreas Gryphius und ihre Bedeutung für das Problem der Freiheit, Diss. (Masch.) Frankfurt/M. 1952.

    Google Scholar 

  40. Zur Tradition der Schauspielmetapher vgl. E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 41963, S. 148–54. Vgl. ferner Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 76 ff. und G. Baumann, Ich-Spiel und Großes Welttheater, in: Freiburger Dies Universitatis, Bd 13, 1966, S. 35–50.

    Google Scholar 

  41. R. Alewyn, Das große Welttheater, in: R. A. und K. Sälzle, Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung (rde 92), Hamburg 1959 (S. 9–70), S. 48.

    Google Scholar 

  42. Als ästhetische Kategorie der dramatischen Illusionierung wurde die Theatralik eingehender nur am gegenreformatorischen Drama untersucht. Vgl. Rütsch, Das dramatische Ich, S. 158, der die Theatralik als „Erlebnisform“ des Barock bestimmt. Zur Bühnen- und Aufführungstechnik bei Gryphius vgl. W. Flemming, Andreas Gryphius und die Bühne, Halle 1921, S. 136–52 (zu »Cardenio und Celinde«). Ansätze zu einer theatralischen Deutung der Gryphius’schen Dramatik gibt W. Eggers, Wirklichkeit und Wahrheit im Trauerspiel von Andreas Gryphius (Probleme der Dichtung 9), Heidelberg 1967.

    Google Scholar 

  43. Zu »Cardenio und Celinde« vgl. Böckmann, Formgeschichte, S. 435. Vgl. auch D. Wintterlin, Pathetisch-monologischer Stil, S. 118 ff.

    Google Scholar 

  44. Vgl. Gilbert, Cardenio und Celinde, S. 15 f. und Feise, Cardenio und Celinde, S. 186 f.

    Google Scholar 

  45. Vgl. Geisenhof, Die Darstellung der Leidenschaften, S. 87–103 zur Handlungsführung.

    Google Scholar 

  46. Das aktive Element der fortitudo betont Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 242 ff. Die Kraft der Gnade äußert sich aber auch als Gewissensqual im Tyrannen, bzw. als Umkehr im Glauben, wie im »Leo Armenius«. Vgl. Kaiser, Leo Armenius, S. 24 f. im vorliegenden Band.

    Google Scholar 

  47. Ein „persönlich erfülltes Pathos“ konstatiert aus ähnlichen Beobachtungen Böckmann, Formgeschichte, S. 437.

    Google Scholar 

  48. „dem“ statt „dein“ muß ein Druckfehler sein. Vgl. Powell in seiner Einzelausgabe S. 49 und Palm, Andreas Gryphius. Trauerspiele, S. 322.

    Google Scholar 

  49. Gilbert, Cardenio und Celinde, S. 17, erklärt die Funktion des fünften Aufzuges aus der thematischen „Entwicklung“: „… aber im Hinblick auf das Thema ist er weit davon entfernt, Wiederholung, geschweige denn überflüssig zu sein. Denn im Mittelpunkt der inneren Handlung steht das entscheidende Erlebnis der inneren Umkehr und Wiedergeburt, ein Erlebnis, das ohne Zerknirschung, Sündenbekenntnis, Vergebung und Sühne nicht vollständig ist.“ Als „seelische Spiegelung“ und unter dem Gesichtspunkt der Beichte deutet ihn Feise (Cardenio und Celinde, S. 188), der auch in diesem Punkt der Interpretation als Seelendrama folgt (S. 182).

    Google Scholar 

  50. Zur Form der Seligpreisung vgl. Schöne, S. 161 f. des vorliegenden Bandes.

    Google Scholar 

  51. „CARDEN.“ statt „VIREN.“ muß Druckfehler sein. Vgl. Anm. 48.

    Google Scholar 

  52. Zum Verhältnis von Fortuna, Fatum und Vergänglichkeit vgl. Schings, Die patristische und stoische Tradition, S. 185 ff.

    Google Scholar 

  53. Auch das Jesuitendrama hat ein ähnlich gespanntes Verhältnis zur Stoa. Vgl. Rütsch, Das dramatische Ich, S. 99 ff.

    Google Scholar 

  54. H. Steinberg, Die Reyen in den Trauerspielen des Andreas Gryphius, Diss. Göttingen 1914, S. 43 ff., der den Zusammenhang dann in einer allgemeinen ethischen Absicht des Dichters gegeben sieht. Schöne (Emblematik, S. 156 ff.), der die „emblematische Struktur“ des barocken Dramas auch an den Reyen erörtert, weist auf die Tradition des „allegorischen Singspiels“ hin, das sich durch eine größere Selbständigkeit von den „Chorliedern“ unterscheidet (S. 167 ff.).

    Google Scholar 

  55. Hervorgehoben aber auch dadurch, daß alle anderen Reyen nur von der bononiensischen Jugend vorgetragen werden, hier aber die „Zeit“ der wichtigste Sprecher ist. Der Refrain, der im Sinne der Mahnung jedesmal auf die Worte des „Menschen“ folgt, wird zuerst von der „Zeit“ gesprochen, dann aber von der bononiensischen Jugend wiederholt, die somit auch in ihrer abschließenden, zusammenfassenden Ermahnung zum Echo der „Zeit“ wird.

    Google Scholar 

  56. Fricke, Die Bildlichkeit, S. 116: „Daß an die Stelle der Sünde die Zeit zum tiefsten Fluche des Daseins werden konnte, weist auf die Wandlung des allgemein menschlichen und also auch des religiösen Bewußtseins hin. Denn nur wo der Wert des Lebens und des Menschen in einer neuen, grenzenlos gesteigerten Weise erlebt wurde, konnte das intensive Bewußtsein der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit so elementar alle anderen Gefühle beherrschen und verdrängen.“

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Gerhard Kaiser

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1968 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Turk, H. (1968). Cardenio vnd Celinde, Oder Unglücklich Verliebete. In: Kaiser, G. (eds) Die Dramen des Andreas Gryphius. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99905-4_3

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-99905-4_3

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-99906-1

  • Online ISBN: 978-3-476-99905-4

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics