Zusammenfassung
Als Tragiker ging Gryphius wesentlich bei den Jesuiten in die Lehre; selbst die offensichtlichen senecäischen Anregungen können ihm ebensogut über die tragoediae sacrae der Patres vermittelt worden sein wie direkt von Seneca herrühren, den er selbstverständlich auf den schlesischen Lateinschulen und dem Danziger gymnasium illustre genau kennengelernt hatte. Daß Gryphius vom Ordensdrama und von Vondel ausging, während er der Wanderbühne nichts verdankt und seinen französischen Zeitgenossen Corneille ausdrücklich ablehnte, soll nicht bedeuten, daß er bei ihnen stehengeblieben wäre. Obwohl das Schema des Märtyrerstückes bis zum späten »Papinianus« erhalten bleibt, wurde es von Gryphius frei interpretiert, sowohl in Hinsicht auf die Struktur des Dramas wie auf die Charakterzeichnung, die spürbar über die lehrhafte Schwarz — Weiß — Malerei der Jesuiten hinausgeht. Schon in seiner ersten Originaltragödie, dem »Leo Armenius«, faßt er den Stoff des Jesuitendramas »Leo Armenus« ganz anders auf als der englische Jesuit Simon.1 Vor allem war er gezwungen, sich eine eigene Theatersprache zu schaffen, die sich freilich an die von den Jesuiten übernommene senecäische anlehnte, da die antike Rhetorik auch für Gryphius maßgebend blieb — allerdings unter weitgehender „Barockisierung“. Dieser Übergang von der senecäischen zur typisch Gryphschen Theatersprache läßt sich im einzelnen anhand eines Vergleiches zwischen der »Felicitas« des Jesuitenpaters Nicolas Caussin und dem „übersetzten Trauer=Spiel“ von Gryphius darlegen.
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Notizen
s. meinen Aufsatz im Sammelband »Le pouvoir et le sacré«, Brüssel: »La sainteté du pouvoir royal dans le ›Leo Armenius‹ d’Andreas Gryphius«, S. 159 ff., und Marian Szyrockis Kritik in: Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk, Tübingen 1964, S. 79–86.
Dieser Fehler geht auf Gryphius zurück, der den Namen des Jesuiten als „Causinus“ verschrieb; siehe »Trauerspiele« (Werke, Bd 2), hg. v. H. Palm, Tübingen 1882, S. 637. — Der Text der »Felicitas« wird mit Akt- (römisch) und Vers- (arabisch) sowie Seitenzahl nach der Gesamtausgabe, Bd 6 (Trauerspiele III, hg. v. H. Powell, Tübingen 1966) zitiert.
Nicht 1570, wie Palm (S. 640) angibt.
In La Flèche studierte Descartes bis 1612, in Rouen Corneille 1615–1622. Gewisse Analogien zwischen Corneilles und Gryphs Bühnenrhetorik ließen sich vielleicht auf das Muster des Jesuitendramas zurückführen.
Dictionnaire de Théologie catholique, Bd II, Paris 1923, Sp. 2043 f.
Erst unter seinem Nachfolger wurde Paris zum Sitz eines Erzbischofs.
„die Aussicht auf das Erzbistum Paris, das in seinem Geschlecht erblich war“.
Nouvelle Biographie Générale, Paris 1863, Bd XLII, Sp. 36.
Die Bibliothek der Universität Breslau überließ mir freundlichst einen Mikrofilm dieses seltenen Buches, und zwar des Handexemplars des Gryphius. Prof. Dr. Marian Szyrocki möchte ich ganz besonders für seine tätige Hilfe danken.
s. meinen Aufsatz »Sénèque et la tragédie d’Andreas Gryphius« in: Les tragědies de Sénèque et le théâtre de la Renaissance, hg. v. Jean Jacquot, Paris 1964, S. 238–60, und namentlich S. 244.
M. Szyrocki, Der junge Gryphius, Berlin 1959, S. 39.
S. 93.
Eine Eintragung in die »Tragoediae sacrae«, S. 165: „Passionem S. Felicitatis et filiorum exhibet ex Codice MS. veteri Ughellus. JCL. Sacr. Tom. VIII. col. 56.57.58.59. sqq.“ ist, wie mir scheint, von späterer Hand. Dagegen möchte ich gerne Gryphs Handschrift wiedererkennen in der Eintragung der S. 91: „Tragoediam De Solymorum excidio et captivitate Sedeciae Scripsit Caroms Malapertius S. I. mihi (?) Edita Antverpiae cum Bauhusio. A° 1634. „Gewisse Eigentümlichkeiten der Schreibung (das y, das Zeichen für -ae, nml. a.) und vor allem der Duktus sind, wie mir scheint, für Gryphius charakteristisch; ein Graphologe sollte sich der Sache annehmen. Sie ist nicht ohne Interesse, da wir über sehr wenige Handschriftproben von Gryphius verfügen.
Palm, Trauerspiele, S. 642.
S. 641.
S. 719–22.
Sonnette. Das Ander Buch. XLII. (bei Szyrocki—Powell: Bd 1, S. 87).
Palm, Trauerspiele, S. 721.
Andreas Gryphius. Eine Monographie (Sprache u. Literatur 26), Stuttgart 1965, S. 191.
öfters am Ende einer Rede. Unter diesen Sprüchen werden einige durch umgekehrte Kommata hervorgehoben; wahrscheinlich, weil sie sich besonders zu Lektionen oder Themen von lateinischen orationes eigneten.
Tragoediae Sacrae, S. A 2 (unpaginiert).
Gesamtausgabe, Bd 6 (S. 3).
Im laufenden Text mit Seitenzahl zitiert.
Der Satz: „FEL. Exequere, quid me territas iterum minis?“, S. 212, war sinnlos: man muß ihn so lesen: „PVB. Exequere. FEL. Quid me territas …“ usw. Gryphius III,83: „PUBLIUS. Thu, was ich heiß’ FELICITAS. Ach nein / mich wird kein trotzen zwingen.“ — Die lange Rede des Pontifex Iovis, Caussinus S. 228, wird auf zwei Sprechende verteilt, den „Prister“ und Publius: IV, 69–92; hier gaben bühnentechnische Gründe den Ausschlag. Daß die Wechselrede des Felix und des Philippus (Gaussinus, S. 246/247) in der Übersetzung nur von Felix gesprochen wird, ist wohl ein Flüchtigkeitsfehler (IV, 150–67).
Indessen dürfen wir nicht vergessen, daß der Begriff der, Übersetzung’ damals weitherziger aufgefaßt wurde als zu unserer Zeit.
Trauerspiele, S. 641 f.
Der zweite Halbvers in III,9: „So tobet diese Rott: dafern man rathen wil“ ist nur zu deutlich ein Lückenbüßer.
An diesem winzigen Beispiel wird der ungeheure Abstand zwischen der barocken und der aufklärerischen Betrachtung des Kosmos recht meßbar.
Hervorhebungen von mir. Man beachte, daß das Wort „victor“ nicht wiedergegeben wird: Gryphius legt überhaupt weit mehr Nachdruck auf den leidenden als auf den siegenden Christus, mehr auf Karfreitag denn auf Ostern.
Der Ackermann aus Böhmen, hg. v. L. L. Hammerich und G. Jungbluth, Heidelberg 1951, S. 70, Z. 21 f.
Lustspiele, hg. v. H. Palm, Neudruck Hildesheim 1961, S. 118 f.
Flemming, Andreas Gryphius, S. 192.
Das Trikolon bot auch einen rhythmischen Vorteil: Ein Halbvers ließ sich leicht mit einem solchen dreigliedrigen Ausdruck ausfüllen, wenn er aus Einsilbern bestand („ein“ oder „kein x und x und x“).
Mit sicherem Gefühl ließ Gryphius die abgeschmackte Metapher „nurum“ (= deine Schwiegertochter) aus.
Bemerkenswert ist auch der Übergang vom lateinischen „lugeat“ zur derbkräftigen, fast volkstümlichen Wendung: „Threnen schwitzen“.
Nach dem Kontext kann „Kind“ hier nur Plural sein, wie im Mittelalter üblich. Hermann Paul erwähnt noch „drei arme Kind“ bei Goethe.
Dies soll nicht als Einwand gegen seinen Glauben, und noch weniger als Herabsetzung verstanden werden. „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, sagt Christus (Joh. 14, 2). Caussin war, wie wir sahen, Pädagoge, Prediger und Asketiker; Gryphius verband feurige mystische Triebe mit einem dogmatisch fest verankerten Glauben — als echter Lutheraner; das Intellektuelle, Vernunftmäßige des reformierten Glaubens stieß ihn ab.
Gesamtausgabe, Bd 1, S. 66 u. S. 91.
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Plard, H. (1968). Beständige Mutter / Oder Die Heilige Felicitas. In: Kaiser, G. (eds) Die Dramen des Andreas Gryphius. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99905-4_11
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