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Selbstverständnis und Geschichte

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Narrenfreiheit und Selbstbehauptung
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Zusammenfassung

Eines der zentralen systematischen Probleme der Theorie des Humors ist die Frage nach der integrativen oder systemsprengenden Funktion des Lachens, das auf die komische Abweichung von der »vernünftigen« Welt antwortet. Es ist die Frage nach der Autonomie der humoristischen Gegenwelt, die als eine Welt der Umkehrungen und Maskeraden geradezu Paradigma einer inauthentischen Existenzweise zu sein scheint, und die zugleich ihrerseits auf die »vernünftige« und »realistische« Ansicht, die Abweichung vom Realitätsprinzip zum Uneigentlichen zu rechnen, mit dem Verdacht antwortet, gerade diese vernünftige Welt des sozialen Regelsystems, der gesellschaftlichen Konventionalität, sei ihrerseits eine Fiktion, eine Realität zweiten Grades, der Gesellschaftszustand zwinge die Individuen zur eigentlichen Maskerade. Als Alternative ist diese Fragestellung modernen Ursprungs, genauer, sie ist Produkt von Gesellschaften, die soziale Mobilität und eine permanente Infragestellung ihrer Basislegitimationen nicht ausschließen können: sie reflektiert eine Situation, in der sich für beide Welten die Frage nach ihrer Verbindlichkeit, nach der entscheidbaren Dominanz der Sinnsysteme erst stellt, und eine solche Perspektive ist weit vom antiken als auch mittelalterlichen Selbstverständnis entfernt, für das die Opposition beider Welten keiner subjektiven Vermittlung bedurfte: die Frage nach einer Synthese stellte sich erst gar nicht. Hans Robert Jauss hat daher Hegels Versuch, den aristophanischen Helden das Bewußtsein, »für sich selbst komisch« zu sein, zuzuschreiben, als moderne Projektion kritisiert [1], und als eine ebensolche Projektion kann man sogar den umgekehrten Versuch Michail Bachtins interpretieren, der Welt des »grotesken Lachens« des Mittelalters und der Renaissance, dessen spezifisches Verständnis Bachtin erst erschlossen hat, einen utopischen Charakter zuzuschreiben. [2]

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Anmerkungen

  1. Hans Robert Jauss, Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden, in: Preisendanz/Warning (Hrsg.) Das Komische, Poetik und Hermeneutik VII, München 1976, S. 108.

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Müller, V.U. (1978). Selbstverständnis und Geschichte. In: Narrenfreiheit und Selbstbehauptung. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99859-0_1

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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