Zusammenfassung
Den Bezug, den die Romane und Erzählungen Jean Pauls zur politisch-gesellschaftlichen Realität ihrer Entstehungszeit besitzen, hat die Wissenschaft fast durchweg vernachlässigt oder gar geleugnet [1]. Vertretern einer solchen Haltung, die freilich ihrerseits geistes- wie literaturgeschichtlichen Zusammenhängen immer nachgehen, auch wo es unnötig ist und in die Irre führt, wäre mit Walter Benjamin zu erwidern: »Daß jedem Kunstwerk jeder Epoche politische Tendenzen einwohnen, ist - da sie ja historische Gebilde des Bewußtseins sind - eine Binsenwahrheit« [2]. Freilich ist es nicht Aufgabe der Literaturwissenschaft, das literarische Werk zum Ausgangspunkt einer Darstellung soziologischer wie sozialgeschichtlicher Daten und Fakten zu machen. Wohl aber ist es ihre Aufgabe, »in der Zeit, da sie [die Werke] entstanden, die Zeit, die sie erkennt — das ist die unsere — zur Darstellung zu bringen« und »die Literatur [zu] ein [em] Organon der Geschichte […] zu machen« [3]. Das gesellschaftlich Wesentliche an Kunst beschränkt sich dabei aber keineswegs, ja nicht einmal primär auf die inhaltlichen Strukturen. »Der primitive Mensch« — heißt es einmal bei Walter Benjamin in der Einbahnstraße — »verschanzt sich hinter Stoffen« [4]. Für den Künstler gilt das Gegenteil. Gesellschaftlich Wesentliches — das meint: wesentlich für die Gesellschaft — und künstlerisch Richtiges sind ihm identisch. Oder, um eine Definition Theodor W. Adornos anzuführen: »Gesellschaftlich richtig kann in der Kunst allein das sein, was an sich selbst wahr ist« [5]. Die Vermittlung zwischen beidem findet statt im Gehalt wie in der Form des Kunstwerkes.
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Anmerkungen
Walter Benjamin, Diskussion über russische Filmkunst und kollektivistische Kunst überhaupt (1927).
Walter Benjamin, Einbahnstraße. Aphorismen. Bibliothek Suhrkamp 27. Frankfurt 1962, s. 51.
Theodor W. Adorno, Anmerkungen zum deutschen Musikleben. In: Th. W. A., Impromptus. Zweite Folge neu gedruckter musikalischer Aufsätze. Edition Suhrkamp 267. Frankfurt 1968, S. 20 f.
Hg. v. Norbert Fügen. Soziologische Texte 46. Neuwied 1968, S. 197).
Lucien Goldmann, Dialektischer Materialismus und Literaturgeschichte. In: Neue Rundschau 75, 1964, S. 228.
Georg Lukács, Skizze einer Geschichte der neueren deutschen Literatur. Neuwied 1964, S. 59.
(Zitiert nach: Karl Marx, Texte zu Methode und Praxis. Band III. Rowohlts Klassiker Bd. 218/19. Reinbek 1967. S. 34).
Vgl. dazu Erich Köhler, Über die Möglichkeit historisch-soziologischer Interpretation (aufgezeigt an französischen Werken verschiedener Epochen). In: E. K., Esprit und arkadische Freiheit. Aufsätze aus der Welt der Romania. Frankfurt/Bonn 1960, S. 88 ff.
René Wellek/Austin Warren, Theorie der Literatur. Ullstein-Taschenbücher Nr. 420/21. Frankfurt/Berlin 1963, S. 93.
Helmut Arntzen, Nachrichten von der Satire. In: Neue Rundschau 74, 1963, S. 576.
(Beda Allemann, Ironie und Dichtung. Pfullingen 1956. S. 24).
Zu den engen, die beiderseitigen Grenzen verwischenden Beziehungen zwischen Ironie und Parodie vgl. Beda Allemann, Artikel »Ironie« in: Fischer Lexikon der Literatur Band II/1, hg. von Wolf-Hartmut Friedrich und Walter Killy. Frankfurt 1965, S. 309;
Ders., Artikel »Ironie« in: Reallexikon d. dt. Lit. Gesch. 2. Auflage, Band 1, Berlin 1958, S. 756 ff.
(Joachim Kaiser, Was ist Parodie? In: Süddeutsche Zeitung vom 24./25. 9. 1966, Feuilletonbeilage).
Alfred Liede, Artikel »Parodie« in: Reallexikon, Band III, I. Lieferung, Berlin 1966, S. 53.
Zum Don Quijote vgl.: Hans-Jörg Neusckäfer, Der Sinn der Parodie im Don Quijote. Studia Romanica 5. Heft, Heidelberg 1963, passim.
Vgl. weiterhin Hans Reiss, Wilhelm Meisters theatralische Sendung — Ernst oder Ironie? In: Jb. d. dt. Schiller-Gesellschaft II, 1967, S. 268 ff.
Theodor W. Adorno, Quasi una Fantasia. Musikalische Schriften II. Frankfurt 1963, S. 354.
Walter Benjamin. Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt 1961, S. 22.
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Schweikert, U. (1971). Kunst und Gesellschaft im »Komet«. In: Studien zu Jean Pauls »Komet«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99723-4_10
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