Zusammenfassung
Wie schon erörtert wurde, kann jener ‚existentiell‘ betreffende Anspruch der christlichen Religiosität, dessen exklusive Zeugenschaft in keinem Vernunftgrunde legitimiert ist, in der reinen Metapher Religion nicht erscheinen, die einzig den poetischen Aspekt aller Religionen in sich vereint, z. B. weil wir in „den meisten Religionssystemen […] als Glieder der Gottheit betrachtet“ werden (2II, S. 451). Insofern nun das Christentum (§ 25) der „Keim alles Demokratismus“ ist (III, S. 318), hat es das Versprechen dieser Metapher, alles frei zu vereinen und zu versöhnen — die Rolle des vereinigenden, individualisierenden Prinzips (§ 4) — deutlicher gemacht; unter diesem Aspekt „gibt“ es für Novalis im Grunde „keine Religion, die nicht Christentum wäre“ (III, S. 293). Enthält die literarische Überlieferung der Religionen mehr oder weniger erkennbar die figurale Progression des allgemeinen Vereinigungsstrebens, so zeichnet sich dieses auch in die Schrecken der Kriege, der Anarchien, gewalttätigen Verfolgungen und in die sonst zutage tretende „Grausamkeit“ der Menschen ein, die Novalis für eine Erscheinung der sich nicht bewußt gewordenen Liebe hält (III, S. 298); daher wundert er sich, „daß nicht längst die Assoziation von Wollust, Religion und Grausamkeit die Leute aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und ihre gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat“ (III, S. 294)122.
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Anmerkungen
Peter Weiss, »Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade«, (edition suhrkamp), (1964), passim.
Zur Struktur der ‚Mystik‘ einleuchtend, klar und kurz: Carl Heinz Ratschow, Magie und Religion, 2. Aufl. (photomechan. Nachdruck der 1. Aufl.), (1955), S. 108–112.
Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und Geschichte, 2., verb. Aufl., 1952, S. 329: „Novalis hat also der Welt des Lichtes nicht abgesagt […], ganz im Gegenteil“ (zum ‚Dithyrambus‘ s. die Anm. 117 u. 158).
vgl. dazu Klaus Ziegler, Die Religiosität des Novalis im Spiegel der »Hymnen an die Nacht«, ZfdPh. Bd 70, 1949, S. 396–418, und Bd 71, 1951, S. 256–277
Vgl. auch die sehr abweichende, reich belegte und anregende Interpretation von Walther Rehm, Orpheus. Der Dichter und die Toten. Selbstdeutung und Totenkult bei Novalis-Hölderlin-Rilke, 1950, S. 32–57.
vgl Arnold Oppel, Das Hohelied Salomonis und die deutsche religiöse Liebeslyrik (Diss. Freiburg i. Br.), 1911, bes. S. 10, 55.
vgl. W. Maisch, Zur Deutung der dichterischen Wirklichkeit in den Werken des Novalis, Diss. Freihurg i. Br. (Masch.) 1957, S. 139, 193–231.
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Malsch, W. (1965). Die Darstellung der Peripetie oder „Gegenwart“ im „Hervortritt“ der „Religion“ aus ihrer zerstörerischen in ihre friedenstiftende Möglichkeit als philosophisch-poetisches ‚connubium verbi et animae‘ auf Grund durchschauter Dialektik von „Wahn und Wahrheit“ in der ‚Dialektik der Aufklärung‘; mit einem Exkurs zur ideenoperativen Voraussetzung und geistesgeschichtlichen Begrenzung der Religionsbeschwörung durch die Poesie: Peripetie der Religion. In: »Europa« Poetische Rede des Novalis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99625-1_8
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