Zusammenfassung
Hugo von Hofmannsthal ist der typische Neuromantiker unserer Tage, und in ihm haben sich ein Talent und eine Richtung in einer Weise mit einander vermählt, dass er eine symptomatische Bedeutung für die Gegenwart in Anspruch nehmen darf. Aber es ist möglich, dass er in diesem Sinn Aufmerksamkeit bei der Nachwelt erregen [S. 116:] mag, die ohnehin manche seiner Prosaschriften übernehmen dürfte. Doch für uns ist er hauptsächlich von Bedeutung durch seine Missgriffe und schweren Mängel, und man darf ihn jenem „kranken Pferd“ vergleichen, dessen Bild in den Stuben der Bauern hängt, damit sie jederzeit einen Anhalt haben, um Krankheit und Gesundheit zu unterscheiden. Hofmannsthal kann uns darüber belehren, dass ein Drama nicht möglich ist, wo ein Wille fehlt, der stärker als Natur und Stimmung ist; und wo ferner der Glaube an die Vernunft fehlt, die über maniakalische Besessenheit zu triumphieren vermag. Und er gemahnt daran, dass der Mythos höchstens die Wiege des Dramas gewesen ist, jedoch nicht sein Ursprung, da es auch bereits bei primitiven Menschen in der Logik und in der Zielbewusstheit gewurzelt hat. Vor allem wird aber an seinem Beispiel ersichtlich, dass die üppigste Rednerpracht und ein verfeinertes Formgefühl die Kraft der Gestaltung und den Verdichtungsprozess nicht ersetzen, und dass sogar eine schier mystische Empfänglichkeit der Sinne, die vielleicht dem Maler genügen mag, für den Dichter nicht ausreicht, der geistiger Eigenschaften, die aus einer grossen und organisierenden Vernunft kommen, nicht entraten kann. Hofmannsthal bildet durchaus die Ergänzung zu dem naturalistischen Drama, das in Gerhart Hauptmann gipfelt.
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Ruprecht, E., Bänsch, D. (1970). Samuel Lublinski [»Das kranke Pferd«]. In: Ruprecht, E., Bänsch, D. (eds) Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890–1910. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99502-5_49
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