Zusammenfassung
Am ersten Abend des bedeutungsvollen Jahres 1922 las Rilke die Aufzeichnungen der Frau Oukama Knoop über das Leiden und Sterben ihrer Tochter Wera, eines sehr jung verstorbenen Mädchens. Die wenige Tage später geschaffenen »Sonette an Orpheus« wurden ihr als Totenmal errichtet. Entstehung und Gehalt dieser Dichtung sind in sich eine überzeugende Bestätigung dafür, daß Rilke seine Einsichten über die Ganzheit von Leben und Tod, über das »Offenhalten« des Lebens hin zum Tode auch wirklich gelebt hat. Es könnte darüber der Heidegger’sche kurze und knappe Satz stehen: »Das Sein-zum-Ende ist eine Weise zu sein.« Die Dichtung ist hervorgegangen aus einem einzigen auf das tiefste erfühlten Bewußtsein von dieser Ganzheit, in die wir aus einer Verwandlung von Flüchtigkeit und Grenze eintreten können. Das bleibt hier nicht nur eine allgemeine Erkenntnis. In den Versen sind die Grenzen niedergelegt zwischen einer Verstorbenen und ihrem Dichter, zwischen einem jahrtausende alten Mythos und der Gegenwart. Diese Dichtung ist entstanden aus der »äußersten Verpflichtung«, die von jenseits des Todes durch die Gestalt der Verstorbenen »sich auf die langsam wachsenden Kräfte« Rilkes legte und diese Kräfte zum Schöpferischen befreite. In den letzten Jahren war Rilkes Sinnen damit beschäftigt, die Ganzheit von Leben und Tod ins gültige Wort der Dichtung zu fassen.
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Buddeberg, E. (1956). Die Sonette des Orpheus. In: Denken und Dichten des Seins. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99341-0_15
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-99341-0_15
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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