Goethes »Iphigenie« und Diderot

Zusammenfassung

Die wissenschaftliche Erkenntnis des Kunstwerkes beruht einzig und allein darauf, daß man seinem Entstehen nachforscht oder daß man dem Kristallisationsprozeß nachzugehen sucht, aus welchem es sich ergibt; denn es versteht sich von selbst, daß man nur auf diesem Wege eine vollständige Einsicht in den Zusammenhang des künstlichen Baus selbst gewinnen kann. Der Künstler hatte einen Stoff, ein Gegebenes vor sich, dieses hat er im Kunstwerk umgebildet; wie hat sich nun solche Umbildung gefunden, welche Motive liegen bei dem Einzelnen zugrunde? Besonders ergeben sich hier interessante Gesichtspunkte, wenn die umgestaltete Grundlage nicht etwas in der Natur oder Geschichte unmittelbar Gegebenes ist, sondern selbst schon eine künstlerische Verarbeitung. Diese mußte doch der Anlage nach vollkommen gut und zweckmäßig sein; wie rechnet sichs nun heraus, daß das spätere Werk dies, nach andern Rücksichten und Gesichtspunkten betrachtet, ebenfalls ist? Natürlich ist bei solchen Untersuchungen sehr erwünscht, wenn bestimmte Fingerzeige oder gar ausdrückliche Äußerungen von Seiten des Künstlers selbst zugrunde gelegt werden können; sie befriedigen dann und wann, z.B. bei Goethes »Werther«, das wissenschaftliche Bedürfnis einstweilen gänzlich. Nur wenn der verarbeitete Stoff in größerer Vollständigkeit zugänglich wird, wie dies in diesem Fall bei Veröffentlichung der Briefe an Lotte geschehen würde, werden weiter ins einzelne gehende Betrachtungen notwendig.