Das Leid in der »Klage«

Zusammenfassung

Bei der näheren Bestimmung der Bedeutung von mhd. leit im Nibelungenlied, wie sie Friedrich Maurer zuerst in dem »Angebinde für John Meier« und danach erneut im zweiten Kapitel seines »Leid«-Buches zu geben versucht hat, darf der Sprachgebrauch der »Klage« nicht übergangen werden. Diese in ihrem poetischen Wert recht mittelmäßige Fortsetzung unseres Heldenepos ist in allen vollständigen Handschriften (von der jungen Piaristen-Handschrift k, 15. Jahrhunderts, abgesehen) mit ihm zusammen überliefert und in engster räumlicher und zeitlicher Nähe entstanden zu denken. Nach Edward Schröder stammt sie “aus dem gleichen engen Entstehungskreise, ist in allerengster Verbindung mit dem Nibelungenlied an die Öffentlichkeit getreten”.¹ Sie stellt daher zugleich eine erste, von den Abschreibern an- und aufgenommene Interpretation des Liedes dar² und vermag mindestens darüber etwas auszusagen, was zeitgenössische Hörer und Leser unter leit verstanden und worin sie Kriemhilts Leid vornehmlich erblickt haben. Es ist bekannt, daß die Nibelungenlied-Bearbeitung *C stark unter dem Einfluß der »Klage« steht, vielleicht überhaupt durch sie veranlaßt worden ist. Heinrich Hempel hat ihre Einwirkung sogar auf den Archetypus des Nibelungenepos ausgedehnt,³ und Edward Schröder hat ihm ausdrücklich zugestimmt, da das nur mit der »Klage« zusammen edierte Nibelungenlied “auf engstem Raum mit dieser eine Schlußredaktion erfahren hat und so gar nicht ohne Einfluß von daher bleiben konnte”.⁴