Zusammenfassung
Die Beurteilung der spätmittelalterlichen Dichtung hat in den fünfziger Jahren eine merkliche Wandlung erfahren. Dieser Wandel stand im Zusammenhang mit der wachsenden Aufnahmebereitschaft des allgemeinen literarischen Geschmacks für manieristische Sprachfiguren und Motivverknüpfungen und deren hergebrachter Kehrseite: einer zunehmenden Vorliebe für den haut goût grellfarbiger Zeitsatire. Der Verdacht, selber einer Spätzeitentwicklung ausgesetzt zu sein, und der resolute Wille zur Abstandnahme von grob mißbrauchten poetischen Lebensgütern trugen dazu bei, diese allgemeine Disposition unter der ernüchterten ersten Generation der Nachkriegsgermanistik in ein Forschungsinteresse umzusetzen. Zwar konstatierte sie nach wie vor den künstlerischen Abstieg von der Höhe der klassischen Jahrzehnte zu der massenhaften und weithin eintönig schematischen literarischen Produktion der späteren Zeit. Aber sie opponierte nicht mehr nur mit allgemeinen Rechtfertigungsversuchen, sondern mit den Ergebnissen konkreter Stilanalyse gegen das Gewohnheitsbild von der poetischen Unfruchtbarkeit ganzer Jahrhunderte, in dem die theoretisch längst widerlegte Lorenz-Scherersche Wellen-Theorie hartnäckig fortgewirkt und die Gliederung der Literaturgeschichten wie die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit für Jahrzehnte mitbestimmt hatte.
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Notizen
So K. Viëtor, Probleme der literarischen Gattungsgeschichte, DVjs. 9, 1931, S. 444.
Eine in aller Kürze prägnante Kennzeichnung des Sachverhalts gibt P. Wapnewski, Dt. Lit. d. Mittelalters, 1960, S. 97 f.
Vgl. H. Kuhn, Eine Sozialgeschichte der Kunst und Lit., Vjschr. f. Sozial-u.Wirtschaftsgesch. 43, 1956, S. 25, wo diese Formen allerdings als heteronome Wurzelformen der Kunst noch schärfer getrennt werden sollten.
Zur Kritik O. Höfler, Zur Anonymität des Nibelungenliedes, DVjs. 29, 1955, S. 171, 175f.
A. Hübner, Die deutschen Geisslerlieder, Studien zum geistlichen Volksliede des Ma., 1931, bes. S. 163 ff.
K. Helm und W. Ziesemer, Die Literatur des deutschen Ritterordens, 1951, bes. S. 120ff.
F. Sengle, Die literarische Formenlehre, 1967, bes. S. 12 ff.
H. Kuhn, Gattungsprobleme, 1959; praktisch demonstriert wurde die Orientierung der Gattungssystematik an den realiter vorherrschenden Literatursparten des Spätmittelalters bereits in dem literarhistorischen Ahriß Wapnewskis (1960), in dem weitschichtigen Gattungspanorama der Literaturgeschichte de Boors (Bd III, 1, 1962) und methodisch ausgeführt in Kuhns Gattungstypologie des 13. Jh., Minnesangs Wende, 2. Aufl., 1967, S. 169 ff.
Entsprechende Forderungen macht K. Brunner plausibel: Der Inhalt der mittelenglischen Handschriften und die Literaturgeschichte, Anglia 65, 1941, S. 81–86; vgl. ferner D. Mehl, DVjs. 38, 1964, S. 517f.
Vgl. über den Umfang der Zusätze Zarncke, Narrenschiff, S. 164 ff.; zum Vergleich Gumbel, Brants ›Narrensch.‹ u. Freidanks ›Besch.‹, S. 27ff. Zum Facetus vgl. L. Zatočil, Cato und Facetus, 1952, S. 533 ff.
O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Ma. seit der Mitte des 13. Jh., 1. Bd, 3. Aufl. 1886, S. 236.
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Lämmert, E. (1970). Wandlungen und Neuansätze in der Beurteilung spätmittelalterlicher Literatur. In: Reimsprecherkunst im Spätmittelalter. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99137-9_1
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