Zusammenfassung
Im Jahre 1873 spielte Friedrich Nietzsche in den Einleitungssätzen der ersten seiner »Unzeitgemäßen Betrachtungen« auf den gewonnenen Krieg und die Bismarcksche Reichsgründung von 1871 an und gab eine eindringliche Warnung vor dem „weitverbreiteten, ja allgemeinen Irrtum:… daß auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe und deshalb jetzt mit den Kränzen geschmückt werden müsse, die so außerordentlichen Begebenheiten und Erfolgen gemäß seien.“ In Wahrheit, sagt Nietzsche, drohe die Gefahr einer Niederlage des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches.1 Nietzsche sprach damit etwas aus, was viele Zeitgenossen zunächst unklar empfanden und bald mit bewußter Beunruhigung und mit fordernder Ungeduld ebenfalls feststellten. Man fand, daß das geistige und künstlerische Leben mit der allgemeinen Entwicklung nicht Schritt gehalten hätte. Im Hochgefühl der erfüllten nationalpolitischen Hoffnungen, die sich in einer schnell ansteigenden wirtschaftlichen Entfaltung bestätigten, vermißte man eine Literatur, die solchem Aufschwung des nationalen Lebens gemäß und würdig wäre. Die Dichtung dieser Jahre bewegte sich vorwiegend in abgestandenen Formen und verbrauchten Tönen, in einer wesenlos gewordenen poetischen Scheinwelt.
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Anmerkungen
Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hg. v. Karl Schlechta, München 1954–56, Bd I, S. 137.
Blätter für die Kunst. Eine Auslese aus den Jahren 1898–1904, Berlin 1904, S. 15.
Von der gängigen Auffassung entfernen sich mit wichtigen neuen Ansätzen vor allem die Darstellungen von Richard Hamann und Jost Hermand: Naturalismus, Berlin 1959; Impressionismus, Berlin 1960;
Gründerzeit, Berlin 1965. Das gleiche gilt von dem Aufsatz von Hans Schwerte, Deutsche Literatur im Wilhelminischen Zeitalter, Wirkendes Wort, Jg. 14, 1962, S. 254ff. Jetzt auch in: Zeitgeist im Wandel. Das Wilhelminische Zeitalter, hg. von Hans Joachim Schöps, Stuttgart 1967, S. 121 ff.
Hans Carossa, Das Jahr der schonen Täuschungen, Leipzig 1945, S.56.
Vergl. Julius Meier-Gräfe, Die Weltausstellung in Paris 1900, Paris und Leipzig 1900, S. 54.
Hugo von Hofmannsthal, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, hg. v. Herbert Steiner, Prosa III, Frankfurt 1964, S. 65.
Rudolf Borchardt, Gesammelte Werke in Einzelbänden, hg. v. Marie Luise Borchardt, Prosa I, Stuttgart 1957, S. 105 ff.
Hugo von Hofmannsthal, Prosa IV, Frankfurt 1955, S. 76.
Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 242.
Vgl. Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956, S. 294.
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen, Frankfurt 1959, S. 106.
Paul Valéry, Briefe, Übertr. v. Wolfgang A. Peters, Wiesbaden 1954, S. 8. — Die Übersetzung von Peters ist an einigen Stellen verändert worden.
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen, Frankfurt 1959, S. 204.
Blätter für die Kunst. Eine Auslese aus den Jahren 1892–1898, Berlin 1899, S. 129.
Stefan George, Das Buch der hängenden Gärten, Werke, Ausgabe in zwei Bänden, Bd I, München und Düsseldorf 1958, S. 102.
Thomas Mann, Der Zauberberg, Gesammelte Werke in 12 Bänden, Bd. III, Frankfurt 1960, S. 745f.
Georg Simmel, Der Konflikt der modernen Kultur, München und Leipzig 1921, S. 8f.
Heinrich Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt, Stockholm 1948, S. 4.
Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Werke, hg. v. E. und A. Horneffer, Leipzig 1901, S. 554.
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen, Frankfurt 1959, S. 145.
Franziska Reventlow, Gesammelte Werke, hg. von Else Reventlow, München 1925, S. 729.
Thomas Mann, Der Weg zum Friedhof. In: Sämtliche Erzählungen, Frankfurt 1965, S. 150, 152.
Rainer Maria Rilke, Auguste Rodin, Leipzig 1924, S. 106.
Hugo von Hofmannsthal, Prosall, Frankfurt 1959, S. 14, 16.
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen, Frankfurt 1959, S. 215.
Thomas Mann, Der Tod in Venedig, In: Sämtliche Erzählungen, Frankfurt 1963, S. 557.
Rainer Maria Rilke, Sämtliche Werke, Bd I, Wiesbaden 1955, S. 697.
Zitiert nach: Hans Eggert Schröder, Ludwig Klages. Die Geschichte seines Lebens. Erster Teil, Bonn 1966, S. 207.
Vgl. dazu Otto Friedrich Bollnow. Die Lebensphilosophie, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1958. Ferner: Heinrich Rickert, Die Philosophie des Lebens, Tübingen 1920.
Max Scheler, Versuch einer Philosophie des Lebens. In: Vom Umsturz der Werte, Leipzig 1915.
Philipp Lersch, Lebensphilosophie der Gegenwart, Philosophische Forschungsberichte Nr. 14, München 1932.
Karl Löwith in der Einleitung zu der Anthologie: Friedrich Nietzsche, Vorspiel einer Philosophie der Zukunft, Frankfurt 1959, S. 16.
Karl Joël, Seele und Welt, Jena 1912, S. II.
Friedrich Gundolf, George, Berlin 1920, S. 164.
Blätter für die Kunst. Eine Auslese aus den Jahren 1892–98, Berlin 1899, S. 112.
Für Hofmannsthal wird das Verhältnis von Lebensphilosophie und Dichtung in ähnlicher Weise bestimmt bei Karl Pestalozzi, Sprachskepsis und Sprachmagie im Werk des jungen Hofmannsthal. Züricher Beiträge zur deutschen Sprach- und Stilgeschichte, Nr. 6, Zürich 1958, S. 14.
Alfred Seidel, Bewußtsein als Verhängnis, hg. von Hans Prinzhorn, Bonn 1927, S. 185.
Max Weber, Wissenschaft als Beruf, Leipzigund München 1930, S. 21.
Gerhart Hauptmann, Meisterdramen, Berlin 1960, Einleitung von HeinzHilpert, S. 9.
Frank Wedekind, Gesammelte Briefe, hg. von Fritz Strich, Erster Band, München 1924, S. 265.
Frank Wedekind, Gesammelte Werke, 3.Bd, München 1920, S. 232, 236.
Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, hg. von Friedrich Beißner, Frankfurt 1961, S. 492f., S. 640, S. 642.
Richard Dehmel, Gesammelte Werke, Erster Band, Berlin 1913, S. 99.
Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt 1966, S. 41.
David Friedrich Strauß, Der alte und der neue Glaube, Gesammelte Schriften, hg. von Eduard Zeller, Bd 6, Bonn 1877, S. 161.
Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, hg. von Adolf Frisé, Hamburg 1952, S. 57, 56, 59.
Ebenda, S. 106. Vergl. dazu Wolfdietrich Rasch, Über Robert Musils Roman »Der Mann ohne Eigenschaften«, Göttingen 1967, S. 96f., 112f.
Paul Böckmann, Die Bedeutung Nietzsches für die Situation der modernen Literatur, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Bd 27, 1953, S. 80.
Stefan George, Friedrich Gundolf, Briefwechsel. Hg. von Robert Boehringer mit Georg Peter Landmann, Düsseldorf 1962, S. 202.
Friedrich Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie. Kritische Schriften, hg. von Wolfdietrich Rasch, München 1964, S. 184.
Johann Jacob Bachofens gesammelte Werke, Vierter Band, Versuch über die Gräbersymbolik der Alten, hg. v. Ernst Howald, Basel 19543, S. 25.
Brief vom 14. Juni 1873 an Karl und Emilie Zöllner. Theodor Fontane, Briefe an seine Freunde, Erster Band, Berlin 1925, S. 312.
Theodor Fontane, Sämtliche Werke, hg. v. Walter Keitel, Fünfter Band, München 1966, S. 797.
Gustav Landauer, Skepsis undMystik, Zweite Aufl. Köln 1925, S. 7f.
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen, Frankfurt 1959, S. 107.
Hugo von Hofmannsthal, Briefe 1890–1901, Berlin 1935, S. 141. 103 Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Berlin und Leipzig 19005, S. 37.
H. F. Peters, Lou. Das Leben der Lou Andreas-Salome, München 1964, S. 106.
Lou Andreas Salomé, Lebensrückblick, Zürich und Wiesbaden 1951, S. 47.
Fü die Intensität der inneren Beziehung Rilkes zu Lou Andreas-Salomé gibt es noch ein spätes indirektes Zeugnis. Sie schrieb am 26. Dezember 1920 an Sigmund Freud: „Tod und Leben stehen eben in einer Aufeinanderbezogenheit, die uns notwendig als Ganzes entgeht, sind immer die Hälfte eines Geschehens; wie die unsichtbar bleibende Mondhälfte steht das Abrundende um den Begriff unfaßlich herum.“ (Sigmund Freud, Lou Andreas-Salomé, Briefwechsel, hg. von Ernst Pfeiffer, Frankfurt 1966, S. 116f.). In dem vielzitierten Brief, den Rilke 1925 an Hulewicz zur Erläuterung der Elegien schrieb, klingt ein Satz wie ein Echo jenes Satzes von Lou, mit der Rilke 1919 zwei Monate in München verlebte. „Lebens- und Todesbejahung erweist sich als Eines in den »Elegien« … Der Tod ist die uns abgekehrte, von uns unbeschienene Seite des Lebens.
(R. M. Rilke, Briefe, Frankfurt 1966, S. 896).
R.M. Rilke, Briefe, Frankfurt 1966, S. 896–898.
Lou Andreas-Salomé, In der Schule bei Freud, hg. von Ernst Pfeiffer, München 1965, S. 58.
Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse. Das Unbehagen in der Kultur, Fischer-Bücherei, Frankfurt 1953, S. 90f.
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen, Frankfurt 1959, S. 117.
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Rasch, W. (1967). Aspekte der deutschen Literatur um 1900. In: Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99005-1_1
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