Zusammenfassung
Die Novellen des frühen und des späten Storm liegen künstlerisch und geistig so weit auseinander, daß man fast versucht ist, sie zwei verschiedenen Autoren zuzuordnen. »Immensee« (1850): ein lyrisches Stimmungsbild eines resigniert verträumten Biedermeierpoeten; »Der Schimmelreiter« (1888): ein dramatisch zugespitztes Heldenlied von Kampf, Sieg und Opfertat, dem nur die äußere Form zu einer ins Übermenschliche tendierenden Tragödie fehlt. Für diese auffällige Gegensätzlichkeit hat man die verschiedensten Gründe ins Feld geführt. So unterschied Wolfgang Kayser in den dreißiger Jahren zwischen „Novellen des Bürgertums“ und „Novellen des Stammestums“, wobei ihm als Wendemarke das Jahr 1870 erschien.1 Andere sind vom Wandel der Novellentechnik her zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Wohl die größte Gruppe der Storm-Interpreten bemüht sich, diese offensichtliche Diskrepanz als eine Wertfrage zu interpretieren, indem sie ‚Spätphase‘ gleich ‚erreichte Höhe‘ setzt. Bei weitem die beste Gliederung im Rahmen dieser Richtung gibt Franz Stuckert, der das Stormsche Novellenwerk je nach den Stadien seiner ‚inneren‘ Entwicklung in „Situationsnovellen“ (vor 1857), „psychologische Problemnovellen“ (1857 bis 1867) und „tragische Schicksalsnovellen“ (ab 1871) einzuteilen versucht.2
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Anmerkungen
Wolfgang Kayser, Bürgerlichkeit und Stammestum in Theodor Storms Novellendichtung (Berlin 1938).
Franz Stuckert, Theodor Storm. Sein Leben und seine Welt (Bremen 1955).
Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (Leipzig 1879–1894), Bd I, S. 28.
Herman Grimm, Zehn ausgewählte Essays (Berlin 1871), S. 158.
Nietzsche, Werke (Leipzig 1899 ff.), Bd VII, S. 251.
Einer der wenigen, der die Stormsche Chroniknovelle mit der historischen Dichtung der siebziger Jahre verglichen hat, ist Albert Köster in seiner Einleitung zu Storms ‚Sämtlichen Werken‘ (Leipzig 1921).
Eine typische Gegenreaktion darauf bildet der Essay von Walther Brecht ‚Storm und die Geschichte‘, DVjs. 3 (1925), S. 444–462, in dem Storm lediglich als „Einzelmensch“ gedeutet wird.
Fritz Martini, Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus (Stuttgart 1962), S. 662.
Meyer, Werke (Stuttgart 1960), Bd II, S. 228.
Storm, Sämtliche Werke (München 1951). Alle weiteren Seitenangaben erscheinen im Text.
Heyse, Gesammelte Werke (Berlin 1882–1885), Bd XVIII, S. 265.
Vgl. Lee B. Jennings, ‚Shadows from the Void‘ in Theodor Storms Novellen. In: Germanic Review 37 (1962), S. 174–189.
Diese Sicht herrscht vor allem bei Fritz Böttger, Theodor Storm in seiner Zeit (Berlin 1962), S. 350 ff.
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Hermand, J. (1969). Hauke Haien Kritik oder Ideal des gründerzeitlichen Übermenschen?. In: Von Mainz nach Weimar (1793–1919). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-98970-3_9
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