Zusammenfassung
Das Junge Deutschland hat sich in der öffentlichen Meinung selten eines guten Leumunds erfreut. Von vielen Seiten verfolgt und diffamiert, sank es nach einer kurzen Blütezeit zwischen 1830 und 1835 im Laufe des 19. Jahrhunderts auf den Rang einer fragwürdigen Clique herah, die man im ‚Tempel der deutschen Literatur‘ wie einen ungebetenen Gast behandelte. Vor allem von antiliberal-romantisierender und rein ästhetischer Seite wurde versucht, die Vertreter dieser Richtung als bloße Literaten, Epigonen oder Tendenzschriftsteller anzuprangern, deren dichterisches Unvermögen auch durch ihr revolutionäres Gehabe nicht verdeckt werden könne. Andere bezeichneten sie als Anhänger eines undeutschen Libertinismus, als großsprecherische, aber feige Revoluzzer, die beim ersten Warnschuß — dem Bundestagsverbot von 1835 — schnell zu Kreuze gekrochen seien. Als besonders effektvoll erwies sich dabei der Trick, das Ganze auf die Namen Börne, Heine, Gutzkow, Laube, Mundt und Wienbarg zu reduzieren und diese Gruppe den ‚Denunzianten‘ Wolfgang Menzel gegenüberzustellen, der im Herbst 1835 im Stuttgarter »Literaturblatt« mit einer scharfen Artikelserie gegen die Jungdeutschen aufgetreten war.
Vor neun Jahrzehnten nannte man sich: Das junge Deutschland. Dichterziel war: die Politik. Sturm gegen die Niederhaltenden. ‚Unreifes‘ lief zwischendurch, — es wird von allen Oberlehrern betont, welche niemals an einer sonstigen Staatsströmung das Unreife betonen. (Bloß hier, weil es die Welt vorwärts bringen half).
(Alfred Kerr, 1918) 1
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Anmerkungen
Alfred Kerr, Junges Deutschland 1918. In: Expressionismus. Der Kampf um eine literarische Bewegung, hrsg. von P. Raabe (München 1965), S. 121 f.
Heine, Sämtliche Werke, hrsg. von E. Elster (Leipzig 1887–90), Bd VII, S. 65.
Adolf Glassbrenner, Bilder und Träume aus Wien (Leipzig 1836), Bd II, S. 106.
Börne, Sämtliche Schriften, hrsg. von I. und P. Rippmann (Düsseldorf 1964), Bd II, S. 869.
Ludolf Wienbarg, Ästhetische Feldzüge, hrsg. von W. Dietze (Berlin 1964), S. 24 f.
Mundt, Moderne Lebenswirren (Leipzig 1834), S. 40.
Ferdinand Gustav Kühne, Eine Quarantäne im Irrenhause (Leipzig 1835), S. 40.
Heinrich Laube, Das neue Jahrhundert (Leipzig 1833), Bd I, S. XV.
Ernst Willkomm, Die Europamüden (Leipzig 1838), S. 239.
Alexander von Ungern-Sternberg, Die Zerrissenen (Stuttgart 1832), S. 121.
Mundt, Madonna (Leipzig 1835), S. 325.
Karl Gutzkow, Vertraute Briefe über die Lucinde (Hamburg 1835), S. XXXVIII.
Büchner, Werke und Briefe, hrsg. von Fr. Bergemann (Wiesbaden 1958), S. 396.
Wienbarg, Wanderungen durch den Tierkreis (Hamburg 1835), S. 41 ff.
zit. bei Emil Jenal, Der Kampf gegen die jungdeutsche Literatur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 58 (1934), S. 180.
Gustav Bacherer, Die junge Literatur und der Roman Wally (Stuttgart 1835), S. 23.
Wolfgang Menzel, Unmoralische Literatur. In: Literaturblatt (Beilage zum Morgenblatt), 1835, S. 276.
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Hermand, J. (1969). Das Junge Deutschland. In: Von Mainz nach Weimar (1793–1919). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-98970-3_6
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