Zusammenfassung
ÉINE VIEL RADIKALERE AUFFASSUNG VON DER FREIHEIT DES DICHTERS gegenüber der Geschichte bringt die Aufklärung in ihrer weiteren Entwicklung. Wie bei jeder Verstandeskultur liegt ihr Verdienst und ihre Grenze darin begründet, dass sie zwar scharf analysiert, aber synthetische Formen nicht zu erfassen vermag. Wie sie den Volks-Staat, die Liebes-Ehe, den Gottes-Dienst, und ähnliche komplexe aber um so lebensstärkere Erscheinungen der Geschichte nicht als Ganzheit zu fassen vermag, sondern in die zwei ursprünglichen Phänomene zerlegt, so geschieht es auch beim Geschichtsdrama, Bis dahin war wie in den frühen mythischen Zeiten das vergangene grosse Geschehen in der Menschheit, ob es nun biblisch oder profan war, als der eigentliche Gegenstand des Dramas betrachtet und dementsprechend der Glaube an eine innere Beziehung zwischen Drama und „Geschichte“ festgehalten worden. Zu welchen Selbsttäuschungen, und schliesslich auch Heucheleien das in der schon stark rational durchtränkten Barockkultur führte, haben wir da und dort angedeutet. Die Aufklärung nun erkennt schon, dass es so etwas wie Geschichtsdichtung „eigentlich“ nicht gibt. Entweder ist es Dichtung oder ist es Geschichtsschreibung. Den revolutionären Charakter dieser heute banal gewordenen Erkenntnis sieht man am besten, wenn man sie vom Hintergrund des enzyklopädischen Barockromans aus betrachtet. In diesem ist geschichtliche Gelehrsamkeit und dichterisches Erfinden zu einer Einheit verbunden, die man nicht entschuldigen muss, auf die man vielmehr stolz ist.
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Notizen
Karl Bauer, Das Problem der Geschichte im Deutschen Drama im 18. Jahrhundert bis zum Sturm und Drang, Diss. München 1924, (Masch.), S. 10.
Es sei hier nicht unterlassen, auf E. Ermatingers u. F. Brüggemanns langjährige Bemühungen um ein Verständnis der Aufklärung hinzuweisen. Zur Würdigung Gottscheds vgl. G. Schimansky, Gottscheds deutsché Bildungsziele, Königsberg und Berlin 1939, Schriften der Albertus Universität Band 22.
Eugen Wolff, J.E. Schlegel, Bln. 1889, S. 42.
Gustav Tobler, Bodmers Politische Schauspiele, in: J. J. Bodmer Denkschrift zum 200. Geburtstag, Zürich 1900, S. 115 ff. Bespricht nur die Schweizer Stücke und ist in der Wertung und literarhistorischen Einordnung Bodmers sehr ergänzungsbedürftig.
F. Muncker (Friedrich Gottlieb Klopstock Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, Stuttgart 1888, S. 387) behauptet, auch später sei Klopstocks religiöse Dichtung seine „erste und eigentliche Aufgabe“, die vaterländische eine Beschäftigung der Mussestunden. Die von Kindermann (Klopstocks Entdeckung der Nation … Danzig 1935, S. 5) bekämpfte These Gundolfs ist nur eine zugespitzte Reproduktion dieser älteren Auffassung.
Willy Krogmann (Das Arminiusmotiv in der deutschen Dichtung, Wismar 1933) sieht in Huttens Dialog den entscheidenden Schritt dazu (S. 8 ff.).
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Sengle, F. (1952). Ansätze im Zeitalter der Aufklärung. In: Das Deutsche Geschichtsdrama. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-98830-0_3
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