Zusammenfassung
Was die Sage z. B. erzählt von Flußopfern, von Seen, die ihr jährliches Opfer haben wollen, von der Pest, die die Darbringung eines Menschenopfers erfordert, von Bauopfern usw., entspricht vielfach realen Vorkommnissen, für die wir auch geschichtliche Nachrichten haben. In einer Sage wird z. B. ein Kind lebend in den Damm eines Teiches vergraben, um ein großes Fischsterben zu beenden. Nach einer anderen Erzählung kann ein Deichbruch erst wieder geschlossen werden, wenn vorher ein lebender Mensch in das Loch gestürzt worden ist. Die Errichtung eines großen Bauwerks, z.B. einer Kirche, eines mittelalterlichen Domes, gelingt erst, wenn ein Mensch lebendig eingemauert wird. Alle diese Erzählungen sind ‘Sage’ erst seit einer Zeit, in der solche Vorkommnisse zum Unglaublichen und Abergläubischen gehören. In Wirklichkeit sind es historische Berichte, und wir besitzen für alle diese verschiedenen Opfersagen genügend parallele Realbelege, wie etwa eingemauerte Skelette, die man allenthalben in Schlössern, Kirchen, Brücken, Deichbauten usw. fand. Insbesondere Kinder als lebende Bauopfer entsprachen nicht erst der epischen Steigerung der Sage, sondern im realen Opferbrauch wollte man ihre ungebrochene Vitalkraft und ungeschwächte Lebenspotenz der dauerhaften Gestaltung eines Bauwerks zugute kommen lassen.
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Röhrich, L. (1966). Erklärungssagen (Sage und Wirklichkeit). In: Sage. Sammlung Metzler. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-98777-8_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-98777-8_6
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-10055-9
Online ISBN: 978-3-476-98777-8
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