Zusammenfassung
In Novalis’ »Die Lehrlinge zu Sais« läßt der Erzähler die Reisenden, die sich auf ihrer Suche nach dem verloren gegangenen Urvolk zeitweilig in Sais aufhalten, die Problematik der Repräsentation der Natur debattieren. Der erste Redner richtet sein Augenmerk auf das Denkvermögen des Menschen und visiert ein »Gedankensystem zur getreuen Abbildung und Formel des Universums«1 an, der zweite spekuliert über »das große Zugleich in der Natur« (NS I, 102) und deutet damit das an, was Novalis im etwa gleichzeitig entstandenen Allgemeinen Brouillon die »Wechselrepräsentationslehre des Universums« (NS III, 266) nennt, während der letzte, ein »schöner Jüngling mit funkelnden Augen«, das sonderbare Vermögen des Dichters lobpreist, »sich gleichsam in (die Natur) hineinzufühlen« (NS I, 105). Der dritte symphilosophierende Gesprächspartner spielt auf einen eigenartigen Repräsentationsmodus an, der sich sowohl vom Gedankensystem und der magischen Wechselrepräsentation als auch von der Dichtung unterscheidet: Kartographie. Er konfrontiert den das Gedankensystem des ersten Gesprächspartners anzweifelnden zweiten Redner mit der Frage: »Glaubst du nicht, daß es gerade die gut ausgeführten Systeme sein werden, aus denen der künftige Geograph der Natur die Data zu seiner großen Naturkarte nimmt? Sie wird er vergleichen, und diese Vergleichung wird uns das sonderbare Land erst kennen lehren.« (NS I, 98f.) Bekanntlich erwartete Novalis vom künftigen Dichter, daß er den Menschen mit der entfremdeten Natur wieder vertraut macht.
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Anmerkungen
Im akademischen Jahr 1797/98, als Novalis in Freiberg studierte, las Johann F. Lempe über Feldmeßkunst und Markscheidekunst. Siehe Schulz, Gerhard: »Die Berufslaufbahn Friedrich von Hardenbergs (Novalis)«. In: ders. (Hg.): Novalis. Darmstadt 21986, S. 302.
Kant, Immanuel: »Was heißt: sich im Denken orientieren?«. In: Gesammelte Schriften, Akademie Ausgabe. Berlin 1902f., Bd. 8, S. 134f..
Hake, Günter/Grünreich, Dietmar/Meng, Liqiu: Kartographie: Visualisierung raumzeitlicher Informationen. Berlin 82002, S. 4.
Kinder entwickeln normalerweise mit drei Jahren die Fertigkeit, einfache Karten in unkomplizierten Situationen zu benutzen. In den folgenden fünf bis zehn Jahren wird diese Fertigkeit dann gradweise verbessert. Vgl. Newcombe, Nora/Huttenlocher, Janellen: Making Space: The Development of Spatial Representation and Reasoning. Cambridge/MA 2000, S. 145–177.
Eckert, Max: Die Kartenwissenschaft. Bd. 1. Berlin/Leipzig 1921. S. 441, 448.
Bagrow, Leo: Die Geschichte der Kartographie. Berlin 1951. S. 7.
Vgl. Schäffner, Wolfgang: »Operationale Topographie. Repräsentationsräume in den Niederlanden um 1600«. In: Rheinberger, Hans-Jörg u.a. (Hg.): Räume des Wissen. Berlin 1997, S. 63–90.
Vgl. Edney, Matthew: »Reconsidering Enlightenment Geography and Map Making: Reconnaissance, Mapping, Archive«, in: Livingstone, David (Hg.): Geography and Enlightenment. Chicago 1999, S. 165–198.
Zur Etablierung des Lehmannschen Paradigmas in der Geländedarstellung, siehe Papay, Gyula, »’Keine Wahrheit gedeiht ohne Widerspruch…’. Paradigmenwechsel in der Kartographie am Beispiel der Lehmannschen Theorie«. In: Scharfe, Wolfgang (Hg.): 9. Kartographiehistorisches Colloquium Rostock 1998. Bonn 2002, S. 1–11.
Zur Geschichte der Geländedarstellung, vgl. Ambroziak, Brian: Infinite Perspectives: Two Thousand Years of Three-Dimensional Mapping. New York 1999.
Großmaßstäbliche Regionalkarten vor Cassini entbehren in der Regel einem passend gewählten und maßstäblich dem topographischen Bildgefüge entsprechenden Gradnetz und lassen sich deswegen gar nicht zusammenfügen. Vgl. hierzu im Hofe, Eduard: »Beiträge zur Geschichte der topographischen Kartographie«. Internationales Jahrbuch für Kartographie IV (1964), S. 149f.
Burnet, Thomas: The Sacred Theory of the Earth (1681). London 1965, S. 112.
Vgl. Jäger, Eckhard: Prussia-Karten, 1542–1810. Weissenhorn 1982, S. 189f.
Bosse, Heinrich: »›Die Schüler müßten selbst schreiben lernen‹ oder die Einrichtung der Schiefertafel«. In: Boueke, Dietrich/Hopster, Norbert (Hg.): Schreiben — Schreiben lernen. Tübingen 1985, S. 164.
Rousseau, Jean-Jacques: Emile. Paderborn u.a. 101991, S. 163.
Zur Reflexion zweiter Ordnung bei Novalis, vgl. Frank, Manfred: Unendliche Annäherung. Frankfurt a.M. 1997, S. 818f.
Vgl. Vogl, Joseph: Kalkül und Leidenschaft. München 2002, S. 264f.
Zur Poetik absoluter Darstellung bei Novalis, vgl. Götze, Martin: Ironie und absolute Darstellung. Paderborn 2001, S. 254f.
Zur imaginativen Vereinigung aller Wissenschaften zur poetischen Totalwissenschaft, vgl. Barck, Karlheinz: Poesie und Imagination. Stuttgart 1993, S. 79–115.
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Tang, C. (2005). Romantische Orientierungstechnik: Kartographie und Dichtung um 1800. In: Böhme, H. (eds) Topographien der Literatur. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05571-2_7
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