Zusammenfassung
Die Organisation von Wissen hat sich selbst vielfach als Abbildung oder aber als Herstellung einer räumlichen Struktur interpretiert. Der Gedanke, daß die Ordnung des Wissens sich als die eines Raumes auffassen läßt, liegt unter anderem jener berühmten Bemerkung Kants aus der Kritik der reinen Vernunft zugrunde, derzufolge das eigene kritische Unternehmen eine Reise durch das »Land des reinen Verstandes« gewesen sei, in deren Verlauf die »jedem Dinge« angemessene Stelle bestimmt worden sei. Mit einer weitläufig ausgesponnenen Wendung stellt sich der Kritiker des Verstandes, dessen bahnbrechender Hypothese zufolge sich die Gegenstände der Erkenntnis nach den ›Begriffen‹ des erkennenden Subjekts richten und nicht umgekehrt, als Kartograph dar.1 Abgestimmt auf das Modell vom ›Raum‹ des Wissens erscheint die Erfassung, Verzeichnung und Speicherung von Wissen als ein topographisches Verfahren. Die topographische Darstellung von Räumen verweist als ein Spezialfall auf das Problem von Darstellung überhaupt. In der Moderne tritt an die Stelle einer sich als ontologisch fundiert begreifenden Abbildung von Welt ein neues Selbstverständnis der Erkenntnis. Das Interesse konzentriert sich nunmehr auf Prozesse und Formen der Darstellung von Wissen — einer Darstellung, welche die Idee der Vermittelbarkeit des Gegenstandes an eine dritte Instanz impliziert. Mit jedem Prozeß der Darstellung wird zwar etwas Darzustellendes als gegeben suggeriert, doch erst durch diesen Prozeß konstituiert es sich als etwas, das gewußt, kommuniziert und verhandelt werden kann.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Brunkhorst, Martin: »Fugard, Soyinka und die attische Tragödie«. In: Schmeling, Manfred (Hg.): Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. Würzburg 1995, S. 33.
Vgl. dazu: Maresch, Rudolf/Werber, Niels: »Permanenzen des Raums«. In: dies. (Hg.): Raum, Wissen, Macht. Frankfurt a.M. 2002, S. 13f.
Vgl. Borges, Jorge Luis: La Biblioteca de Babel. In: ders.: Obras Completas. Barcelona 1989. Bd. 1 (1923–1949). Andere Beispiele für diese Verknüpfung beider Themen wären zu nennen, so Musils Bibliothekskapitel im Mann ohne Eigenschaften und Canettis Blendung.
Eco, Umberto: Der Name der Rose. München/Wien 1983.
Glaser, Hermann: Weltliteratur der Gegenwart. Dargestellt in Problemkreisen. Frankfurt a.M./Berlin/Wien 91970 [zuerst 1962].
Ried, Georg: Weltliteratur unserer Zeit. München 21969 [zuerst 1961].
Vgl. etwa: Wilpert, Gero v./Ivask, Ivar (Hg.): Moderne Weltliteratur. Die Gegenwartsliteraturen Europas und Amerikas. Stuttgart 1972. Noch steht hier der Begriff der Nationalliteratur im Zentrum.
Mühlmann, Wilhelm E.: Pfade in die Weltliteratur. Königstein/Ts 1984. Das Buch gliedert sich in ›Zugänge‹.
Vgl. etwa: Schütz, Hans Lothar/Fenner, Marlott Linka (Hg.): Welt-Literatur heute. Eine aktuelle Bestandsaufnahme. München 1982.
Enzensberger, Hans Magnus (Hg.): Museum der modernen Poesie. 2 Bde. Frankfurt a.M. 1980 [zuerst 1960]. Zur Genese von »Nationalliteratur«, vgl. S. 17f.
Sartorius, Joachim (Hg.): Atlas der neuen Poesie. Reinbek 1996.
Harald Hartung nennt das Museum die »wichtigste und folgenreichste Lyrikanthologie der deutschen Nachkriegsära« (Hartung, Harald (Hg.): Luftfracht. Internationale Poesie 1940 bis 1990. Frankfurt a.M. 1991, S. 9).
Celan, Paul: »Der Meridian«. In: ders.: Gesammelte Werke. Hg. v. Beda Allemann u. Stefan Reichert. Bd. 3. Frankfurt a.M. 1986, insbes. S. 183–186.
Vgl. Wirth, Uwe: »Literatur im Internet. Oder: Wen kümmert’s, wer liest?« In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hg.): Mythos Internet. Frankfurt a.M. 1997, S. 319–337.
— Vgl. auch: Idensen, Heiko: »Die Poesie soll von allen gemacht werden«. In: Matejovski, Dirk/Kittler, Friedrich (Hg.): Literatur im Informationszeitalter. Frankfurt a.M./New York 1996, S. 155.
Vgl. Gabriel, Norbert: Kulturwissenschaften und neue Medien. Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter. Darmstadt 1997, S. 56–57.
Vgl. Münker, Stefan: Als die Wörter laufen lernten. Dichten jenseits der GutenbergGalaxis. 1997 [http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/2128/html].
Jorge Luis Borges hatte die Welt im Gleichnis einer — allerdings unermeßlich großen — Bibliothek beschrieben. Bei Idensen und Krohn (Idensen, Heiko/Krohn, Wolfgang: Die imaginäre Bibliothek. 1990 [http://www.hyperdis.de/pool/]) wird darauf in Form eines verfremdenden Zitats Bezug genommen.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2005 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Schmitz-Emans, M. (2005). Topographien der Weltliteratur: ›Museum‹, ›Atlas‹, ›Luftfracht‹ und ›Imaginäre Bibliothek‹. In: Böhme, H. (eds) Topographien der Literatur. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05571-2_18
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-05571-2_18
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-02117-5
Online ISBN: 978-3-476-05571-2
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)