Zusammenfassung
Die theoretische Gestalt, die die Sprachwissenschaft im 20. Jahrhundert gewonnen hat, ist Resultat einer Entwicklung, die man durchaus zurecht unter dem Titel einer Entrhetorisierung der Geisteswissenschaften subsumieren kann. Schon bei F. de Saussure und im frühen Strukturalismus, dezidiert dann bei Noam Chomsky ist eine Vernachlässigung der Performanz als theoretischen Gegenstandes der Disziplin zu konstatieren.1 Wie immer dies begründet sein mochte — diese Entwicklung hat die Linguistik nicht nur von der Philologie emanzipiert, sie hat sie jedem rhetorischen Verständnis von Sprache entfremdet. Denn die Performanz steht im Zentrum, ist Gegenstand einer jeden Rhetorik. Darstellung, so die Quintessenz der Symboltheorie Nelson Goodmans, ist an Performanz gebunden.2 Von dieser Ebene — in Saussures Terminologie der parole — hat sich die Linguistik mit der von Chomsky eingeleiteten Wende der Disziplin hin zu einer Kognitionswissenschaft so weit entfernt, daß die sprachliche Performanz aus dem Kreis möglicher Gegenstände der Sprachtheorie gänzlich ausgeschlossen scheint. Die Metaphysik dieses Paradigmas folgt gänzlich dem von Ryle beschriebenen Mythos vom Geist in der Maschine.
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Notizen
Vgl. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übersetzt von Bernd Philippi. Frankfurt/M. 1997, S. 140: »Prinzipiell ist Erfüllung [eines gegebenen Symbolschemas, Ch. St.] mit einer Inskription verbunden«, d. h. mit der performativen Instantiierung eines Charakters. Goodmans Symboltheorie setze ich im folgenden voraus, ohne sie hier explizit einzuführen. Als knappe Orientierung sei verwiesen auf Goodmans Beitrag »Rerepräsentierte Repräsentation« in
Goodman, Nelson/Elgin, Catherine Z.: Revisionen: Philosophie und andere Künste und Wissenschaften. Frankfurt/M. 1989. Zu den Begriffen Symbolschema und Symbolsystem vgl. N. Goodman: Sprachen der Kunst, S. 128 ff.; N. Goodman/C. Elgin: Revisionen, S. 165 ff.
Vgl. hierzu Stetter, Christian: »Am Ende des Chomsky-Paradigmas — zurück zu Saussure?« In: Cahiers Ferdinand de Saussure 54 (2001), S. 219–267.
Vgl. hierzu Stetter, Christian: »Der Käfer in der Schachtel: Das Privatsprachen-problem und die Universalgrammatik«. In: Lili 29 (1999), Heft 115, S. 37–66.
Vgl. hierzu grundlegend schon Simon, Josef: Philosophie und linguistische Theorie. Berlin, New York 1971; darauf aufbauend
Stetter, Christian: Schrift und Sprache. Frankfurt/M. 1997, Kap. 5.
Diesen Anspruch der generativen Theorie hat sehr klar Grewendorf in einer Arbeit verdeutlicht, die zu der hier diskutierten Käfer-in-der-Schachtel-Aporie in engem thematischem Bezug steht. Vgl. Grewendorf, Günther: Sprache als Organ — Sprache als Lebensform. Anhang: Interview mit Noam Chomsky: Über Linguistik und Politik. Frankfurt/M. 1995, S. 60 ff., dazu meine Diskussion der Interpretation, die Grewendorf dort dem Privatsprachenproblem gibt, in C. Stetter: »Der Käfer in der Schachtel« (s. Anm. 4). Ich kann hier die logische Problematik dieser Methodologie nicht weiter diskutieren. Im Kern läuft sie darauf hinaus, daß sie aus verschiedenen Gründen die Falsifikation einer hypothetisch angenommenen UG-Eigenschaft so gut wie ausschließt: Je komplexer die theoretischen Vorannahmen eines »Experiments« werden, desto schwieriger wird zu entscheiden, worauf ein negativer Ausgang zurückzuführen ist. Belegen läßt sich eine theoretische Annahme durch Beispielsätze ohnehin nicht. Daß dies ein Trugschluß ist, hat schon Aristoteles gezeigt, vgl. Aristoteles: Rhetorik. II, 20, 1394a.
Zurecht hat daher Saussure den Satz als Element der parole begriffen. Vgl. de Saussure, Ferdinand: Cours de linguistique générale. Édition critique préparée par Tullio de Mauro. Paris 1974, S. 172, im folgenden: CLG.
Vgl. Ryle, Gilbert: The Concept of Mind. London 1963. (Dt.: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969), Kap. 1.
Vgl. Popper, Karl R./Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn. München, Zürich 81989, S. 64 ff.
Den klassische Beleg liefert Platons Theaitetos mit dem sokratischen Mythos von den einfachen, nichts mehr bedeutenden Urelementen. Vgl. Platon: Theaitetos. In: ders.: Werke in 8 Bänden. Griechisch und Deutsch. Hg. von Gunther Eigler. Darmstadt 1990, 201e ff.
Vgl. hierzu Jakobson, Roman: Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze. Frankfurt/M. 1969.
Vgl. hierzu Stetter, Christian: »Linguistische Ästhetik: Zum mimetischen und logischen Gebrauch der Schrift«. In: Borsò, Vittoria et al. (Hg): Schriftgedächtnis — Schriftkulturen. Stuttgart, Weimar 2002, S. 219–237. Im Sinne der Goodmanschen Notationstheorie ist die parole als Lautereignis syntaktisch ›dicht‹. Vgl. N. Goodman: Sprachen der Kunst (s. Anm. 2), S. 128 ff.
In der Sprachphilosophie Herders und W. von Humboldts finden sich dagegen durchaus schon Reflexionen, wo dieser Tatbestand berührt wird. Vgl. Humboldt, Wilhelm von: »Ueber die Buchstabenschrift«. In: ders.: We rke in fünf Bänden. Hg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. Bd. III. Darmstadt 1960 ff., S. 89 ff. (im folgenden: WW III)
Geleistet ist diese Protologik im Kratylos. Vgl. hierzu Lorenz, Kuno/Mittelstraß, Jürgen: »On Rational Philosophy of Language: The Programme in Plato’s Cratylus Reconsidered«. In: Mind 76, No. 301 (1967), S. 1–20 und C. Stetter: Schrift und Sprache (s. Anm. 6), S. 322 ff.
Die Eingangsdefinition von Perì hermeneías 16a hat also den schlichten logischen Zweck, den allgemeinen Begriff von Extension zu formulieren, den Aristoteles für seine logische Semantik braucht, die eine Klassenlogik ist. Das páthema tes psychés, das in der christlichen Tradition dann zum conceptus mutiert (vgl. Ockham, Wilhelm von: Summa Logica, In: ders.: Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft. Lateinisch/Deutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Ruedi Imbach. Stuttgart 1984, I, 1, 2 f.), ist bei Aristoteles nichts als die Extension des sprachlichen Namens. In den Kategorien, Kap. III, ist dies bereits vorausgesetzt. Ohne diese Voraussetzung wäre die im I V. Kapitel der Kategorien getroffene Auszeichnung der ersten ousía als eines Seienden, das niemals selbst ausgesagt werden kann, sondern von dem nur etwas ausgesagt werden kann, undenkbar.
Grundlegend der Dualis und die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaus. Vgl. hierzu Borsche, Tilman: Sprachansichten. Der Begriff der menschlichen Rede in der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts. Stuttgart 1981, S. 277 ff.; Di
Cesare, Donatella: »Wilhelm von Humboldt«. In: Borsche, Tilman (Hg.): Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky. München 1996. S. 275–289 und C. Stetter: Schrift und Sprache (s. Anm. 6), S. 491 ff.
Dies ist zweifellos schon bei Herder der Fall. Man vgl. etwa Teil I, 3 seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (Herder, Johann G.: Frühe Schriften 1764–1772. Hg. von Ulrich Gaier. Frankfurt/M 1985 (= Werke in zehn Bänden, hg. von Martin Bollacher et al., Bd. 1), S. 733 ff.
Vgl. Humboldt, Wilhelm von: »Grammatischer Bau«. In: ders.: Gesammelte Schriften. 17 Bde. Hg. von Albert Leitzmann et al. Berlin 1903 ff. Photomech. Nachdr. Berlin 1968, Bd. VI, S. 346 ff.; dazu C. Stetter: Schrift und Sprache (s. Anm. 6), S. 491 ff.
Vgl. hierzu Stetter, Christian: »Ferdinand de Saussure«. In: Dascal, Marcelo/Gerhardus, Dietfried/Lorenz, Kuno/Meggle, Georg (Hg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd. Berlin, New York 1992, S. 510–523 (hier: S. 511 ff.).
Das Morphem ist für Saussure Zeichen: »Le vrai nom de morphologie serait: La theorie des signes — et non des formes …« (de Saussure, Ferdinand: Cours de linguistique générale. Édition critique par Rudolf Engler. Wiesbaden 1967 ff., N 7, fasc. 4, S. 17).
Vgl. zur wissenschaftstheoretischen Charakterisierung dieses Modells i. e. Schneider, Hans J.: Phantasie und Kalkül. Über die Polarität von Handlung und Struktur in der Sprache. Frankfurt/M. 1992, S. 41 ff.
Vgl. hierzu die in Krämer und König (Krämer, Sybille/König, Ekkehard (Hg.): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen? Frankfurt/M. 2002) versammelten Beiträge.
Vgl. hierzu auch Putnam, Hilary: Repräsentation und Realität. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt/M. 1991.
Vgl. hierzu etwa Spitzer, Manfred: Geist im Netz. Modelle für Lernen, Denken und Handeln. Darmstadt 1996.
Vgl. Leroi-Gourhan, André: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt/M. 21984.
Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. In: ders.: Werkausgabe in acht Bänden. Bd.I, Frankfurt/M. 1984, 243 ff., C. Stetter: Schrift und Sprache (s. Anm. 6), S. 571 ff.
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Stetter, C. (2004). Nach Chomsky. Überlegungen zu einer symboltheoretisch fundierten Linguistik. In: Fohrmann, J. (eds) Rhetorik. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05569-9_10
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