Zusammenfassung
Konrad von Fußesbrunnen, der hier so selbstbewusst die Autorschaft an seiner Dichtung beansprucht und daraus das Recht ableitet, sie in der von ihm geschaffenen Form bewahrt, sie ohne Eingriffe durch Dritte weitergegeben zu sehen, der sich sogar vorbehält, über Änderungsvorschläge selbst zu entscheiden, stellt sich auf geradezu verstockte Weise gegen die Erkenntnisse der neueren Forschung. Von ihr hätte er lernen können, dass er anderes als Veränderung nicht erwarten durfte: »L’écriture médiévale ne produit pas de variantes, elle est variance. […] La variance de l’Œuvre médiévale est son caractère premier, altérité concrète de la mobilité discursive, figure d’un écrit prémoderne […].«2 »Wenn es zum Prinzip mittelalterlicher Texte gehört, daß sie variabel sind«3, dann gibt es also zumindest einen Autor, der sich diesem Prinzip nicht fügt, dann ist nicht nur für uns, die wir angeblich aus der »moderne[n] Schriftlichkeit […] nur noch feste Texte« kennen,4 »der Gedanke, daß Texte prinzipiell variabel« sind, »schwer zu realisieren«.5
Dâ disiu rede geschriben was an ein buoch unt ich si las, hêt ich ir mêre funden dâ od in ander buochen anderswâ od in gewæren mæren vernomen, ich wær ir noch niht ze ende chomen. ich hête gern dar an geleit mînen flîz unt mîn arbeit: swer sich nu dar an richet unt ez baz oder anders sprichet unt sezzet sîniu spel dar zuo, des dunchet mich, er missetuo, wan er entêrt selbe sich. der ir begunde, daz bin ich von Fuozesbrunnen Chuonrât, unt ez ouch volendet hât. swelch mîn vriunt mich âne haz nu meldet, dem enphâhe ich daz ze guote, ob er mir etwaz zeiget, dar an ich ze laz bin gewesen unt vergaz der mâze unt ez unrehte maz: sô snüer ich gern ein anderz baz.
(Konrad von Fußesbrunnen, Kindheit Jesu, Vv. 3005–3027).1
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Literatur
Bernard Cerquiglini, Éloge de la variante. Histoire critique de la philologie Paris 1989, S. 111 f.
Joachim Bumke, Die vier Fassungen der ›Nibelungenklage‹. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert, Berlin, New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 8), S. 54.
Ernst Strehlke, »Di Kronike von Pruzinlant des Nicolaus von Jeroschin«, in: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft, Leipzig 1861, Bd.1, S. 303–624.
Bernhard Schnell, Thomas Peuntner, Büchlein von der Liebhabung Gottes. Edition und Untersuchung, München 1984 (MTU 81), S. 216.
Dietrich Schmidtke, Studien zur dingallegorischen Erbauungsliteratur des Spätmittelalters. Am Beispiel der Gartenallegorie, Tübingen 1982, S. 213 (Anm. 84). Vgl. dort (S. 213) auch das Versbeispiel: kann nu ymant pessern dy lere,/der thu es frolichen in gotes ere (Krautgartengedicht, 2. Fassung).
Alfred Karnein, De Amore deutsch. Der Tractatus des Andreas Capellanus in der Übersetzung Johannes Hartliebs, München 1970 (MTU 28), S. 65, Z. 12–15.
Zitiertnach Alois Brandstetter, Prosaauflösung. Studien zur Rezeption der höfischen Epik im frühneuhochdeutschen Prosaroman, Frankfurt a. M. 1971.
Ulrich Montag, Das Werk der heiligen Birgitta von Schweden in oberdeutscher Überlieferung. Texte und Untersuchungen, München 1968 (MTU18).
Anders akzentuiert Jan-Dirk Müller, »Aufführung–Autor–Werk. Zu einigen blinden Stellen gegenwärtiger Diskussion«, in: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster, hg. v. N. F. Palmer und H.-J. Schiewer, Tübingen 1999, S. 149–166.
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Grubmüller, K. (2001). Verändern und Bewahren Zum Bewusstsein vom Text im deutschen Mittelalter. In: Peters, U. (eds) Text und Kultur. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05567-5_2
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