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Racine — oder die Ästhetisierung des Archaischen

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Part of the book series: Germanistische Symposien Berichtsbände ((GERMSYMP))

Zusammenfassung

Racine hat seine Stücke erkennbar so ganz an den Etiketten des Hofes, am preziös fundierten Sprachpurismus der Zeit und generell an den auf Dezenz ausgerichteten Erwartungen seines Publikums orientiert, daß in seiner Realisierung der Tragödie die für die Gattung so traditionsmächtige Ebene von Gewalt und Leidenschaft sich gleichsam verflüchtigt zu haben scheint. Diesem ersten Eindruck korrespondiert in der Tat ein Großteil der Wirkungsgeschichte. So hat Voltaire in seiner Eigenschaft als Hauptvermittler der klassischen Literatur im 18. Jahrhundert eine Racine-Rezeption begründet, die ganz auf die formale Perfektion der jeweiligen Stücke sowie auf die immer wieder bewunderte Schönheit der einzelnen Verse abhebt und im Zuge dieser Fokussierung als Wirkungsziel das ›Interesse‹ des Zuschauers bestimmt, wobei dieser Begriff des Interesses schon ganz im Vorzeichen einer zunehmend um sich greifenden Empfindsamkeitskultur steht.1

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Notizen

  1. Zu der durchgehend admirativ geprägten Racine-Rezeption Voltaires siehe: Ages, Arnold: »Voltaire on Racine«. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 78 (1968) S. 289–301.

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  2. Vossler, Karl: Jean Racine. München 1948, S. 66.

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  3. Racine: Œuvres complètes I. herausgegeben Raymond Picard. Paris 1950, S. 868.

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  4. Auerbach, Erich: »Racine und die Leidenschaften«. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 14 (1927), S. 371–380, wiederabgedruckt in: E.A.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie. Bern 1967, S. 196–203; Barthes, Roland: Sur Racine. Paris 1963; Valéry, Paul: »Sur Phèdre femme«. In: Œuvres I. herausgegeben Jean Hytier. Paris 1957, S. 499–508; Giraudoux, Jean: »Racine«. In: Littérature. Paris 1941, S. 21–47.

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  5. Freud, Sigmund: »Der Mann Moses und die monotheistische Religion«. In: ders.: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet, Bd. 16. Frankfurt 1950, S. 101–246, hier: S. 186 f.

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  6. Barthes, Roland: Sur Racine. Paris 1963, S. 20.

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  7. Umfangreiches Material für eine solche Auslegung der ›doctrine classique‹ findet sich bei: Bray, René: La Formation de la doctrine classique en France. Paris 1963, insbes. S. 19–239.

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  8. Zu dieser Positionierung Corneilles siehe vor allem: Kommerell, Max: Lessing und Aristoteles. Untersuchung über die Theorie der Tragödie. Frankfurt/M. 1960, S. 37–50 passim.

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  9. Besonders pointiert heißt es in der »Préface« zu Bérénice: »La principale Règle est de plaire et de toucher. Toutes les autres ne sont faites que pour parvenir à cette première.« (Racine, Jean: Œuvres complètes I.Théâtre — Poésie, herausgegeben Georges Forestier. Paris 1999, S. 452.) — Die Wirkungsmächtigkeit dieser Formel läßt sich am besten daran ablesen, daß Boileau sie an zentraler Stelle von L’ Art poétique — zu Beginn des dritten Gesangs — wieder aufgreift: »Le secret est d’abord de plaire et de toucher:/ Inventez des ressorts qui puissent m’attacher.« (Boileau: Œuvres complètes, herausgegeben Françoise Escal. Paris 1966, S. 169).

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  10. Die umfassendste neuere Darstellung der Theaterkritik bietet: Baristi, Jonas: The Antitheatrical Prejudice London 1981. Für unseren Gegenstandsbereich besonders einschlägig: Urbain, Charles/Levesque, Emile (Hg.): L’Eglise et le théâtre. Paris 1930.Während Urbain/Levesque insbesondere den Beitrag von Bossuet und dessen Umfeld dokumentieren, gilt folgende Arbeit von Barras dem ganzen Spektrum der Kontroverse: Barras, Moses: The Stage Controversy in France from Corneille to Rousseau. New York 1933. Anders als der Titel erwarten ließe mit expliziter Einbeziehung des späten 17. Jahrhunderts: Bourquin, Louis: »La Controverse sur la comédie au XVIIIe siècle et la lettre à d’Alembert sur les spectacles«. In: Revue d’histoire littéraire de la France. 1919, S. 43–86. Mit pointiertem Rekurs auf die Logique de Port-Royal zu dem hier anstehenden Problem: Vinken, Barbara: »The Concept of Passion and the Dangers of Theatre: Une esthétique avant la lettre: Augustine and Port Royal«. In: Romanic Review 83 (1992), S. 45–59.

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  11. Nicole, Pierre: »De la comédie«. In: Œuvres philosophiques et morales, comprenant un choix de ses essais, herausgegeben Charles M. G.Bréchillet Jourdain. Paris 1845, S. 436–461, hier: S. 438.Wie sehr der aus christlicher Sicht gebotene ›horreur‹ über das Genus des Theaters durch gleichsam schleichende Faszination substituiert wird, erläutert intensiv auch Bossuet: »Je vous prie, que fait un acteur, lorsqu’il veut jouer naturellement une passion que de rappeler autant qu’il peut celles qu’il a ressenties et que, s’il était chrétien, il aurait tellement noyées dans les larmes de la pénitence, qu’elles ne reviendraient jamais à son esprit, ou n’y reviendraient qu’avec horreur, au lieu que, pour les exprimer,il faut qu’elles lui reviennent avec tous leurs agréments emposonnés, et toutes leurs grâces trompeuses?« (Maximes et réflexions sur la comédie. In: L’Eglise et le théâtre, S. 167–276, hier: S. 180f.)

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  12. Keineswegs abwegig ist ein Seitenblick auf Pascal und die Funktion, die er der ›force‹ im Feld des politischen Zusammenlebens zuweist: Die Korrumpiertheit der Welt ist derart, daß es einer unbefragt gültigen ›force‹ bedarf, damit ein soziales Zusammenleben überhaupt möglich ist. Die Provokation Pascals liegt dabei vor allem darin, dieser ›force‹ jegliche substantielle oder gar transzendente Absicherung abzusprechen und ihre Geltung gleichwohl festzuschreiben. Als entscheidender Bezugstext sei hier das berühmte Fragment 103 der Edition Lafuma genannt. Vgl. dazu: Auerbach, Erich: »Über Pascals politische Theorie«. In: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, herausgegeben Fritz Schalk. Bern/München 1967, S. 204–221. Von der neueren Literatur kapital zu diesem Problem: Lazzeri, Christian: Force et justice dans la politique de Pascal Paris 1993.

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  13. Marin, Louis: »La Critique de la représentation«. In: Pascal et Port-Royal. herausgegeben Alain Cantillon. Paris 1997, S. 169–266, hier: S. 255.

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  14. Als Praradigmen seien genannt: Orlando, Francesco: Due Letture Freudiane: Fedra e il Misantropo. Turin 1990 sowie Pavel, Thomas: L’Art de l’élognement. Essai sur l’imagination classique. Paris 1996.

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  15. Dazu näher: Galle, Roland.: »Die französische Klassik«. In: Simm, Hans-Joachim (Hg.): Literarische Klassik. Frankfurt/M. 1988, S. 182–203.

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  16. Weinrich, Harald: Tragische und komische Elemente in Racines ›Andromaque’. Münster 1958. In kritischer Auseinandersetzung mit dieser These: Jauß, Hans Robert: »Racines ‘Andromaque‹ und Anouilhs ›Antigone‹. (Klassische und moderne Form der französischen Tragödie). In: Die Neueren Sprachen NF 9 (1960), S. 428–444. Die Arbeit von Jauß führt allerdings über diese Auseinandersetzung weit hinaus und beinhaltet insbesondere eine präzise historische Situierung der Racine eigenen Konzeption des Tragischen.

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  17. In mehrfacher Hinsicht problematisch scheint mir — vor diesem Hintergrund — die generell intendierte Feststellung von Karl August Ott, derzufolge Racine »für die Gestaltung ausgeprägter Charaktere und einer tragisch wirkenden Handlung nur ein einziges Mittel besaß: die Schilderung auswegloser, entsetzlicher Situationen, deren bloße Vorstellung spontanes Mitleid erzeugt.« (Ott, Karl August: »Racine. Adromaque«. In: Stackeiberg, Jürgen von (Hg.): Das französische Theater. Vom Barock bis zur Gegenwart. Bd.1, Düsseldorf 1968, S. 137–163, hier: S. 142) Die hier zugrunde gelegte Vorrangigkeit der ›Situation‹ dem Charakter gegenüber verdankt sich natürlich Aristoteles. Ob sie das neuzeitliche Theater im allgemeinen und Racine im besonderen noch trifft, scheint mir zweifelhaft. Wichtiger ist aber in unserem Argumentationszusammenhang die Rede vom ›spontanen Mitleid‹, das sich aufgrund der ausweglosen Situationen mit den Protagonisten einstelle. Eine solche Spezifizierung und Herleitung des Mitleids verstellt eher den provokativen Charakter der Affektartikulation, auf die es uns hier ankommt. Zum Skandalon wird der affektive Mitvollzug des Zuschauers ja nicht, weil er von ausweglosen Situationen ausgelöst würde, sondern dadurch, daß er sich auf per se — und bei Racine in besonderem Maße — verwerfliche Leidenschaften bezieht. Und die Pointe unserer Anekdote liegt ja darin, daß Racine an eben diesem Befund ansetzt und die Höhe seiner Kunst an der Überwindung der so errichteten Schranke bemißt.

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  18. Diese Erweiterung der Anthropologie ist in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kein isolierter Fall. Sie hat Entsprechungen insbesondere im Werk von La Rochefoucauld. Als Aufriß der Anthropologie im 17. Jahrhundert ist immer noch instruktiv: Ansmann, Liane: Die Maximen von La Rochefoucauld. München 1972. Eine umfassende Darstellung bietet: van Delft, Louis: Littérature et anthropologie. Paris 1993. Den Fragen, die die ästhetische Umsetzung und die Zuschauerwirkung der Racineschen Anthropologie aufwirft, stellt sich besonders intensiv: Matzat, Wolfgang: Dramenstruktur und Zuschauerrolle. Theater in der französischen Klassik. München 1982, insbes. S. 138–210. Matzat versucht, die normativen Vorgaben, unter denen das Publikum steht und die Identifiaktion mit den diesen Normen ganz fremden Leidenschaften dadurch zu plausibilisieren, daß er den Grad der Identifikation von dem Normverstoß der Leidenschaften abhängig sein läßt. Wie aus diesem Beitrag ersichtlich, schließe ich mich einer solchen Unterscheidung von identifikationswürdigen und tendenziell identifikationsverweigernden Leidenschaften nicht an. Die Lösung des Problems scheint mir nicht in der Norm-Kompatibilität der jeweiligen Leidenschaft, sondern mehr noch als dies Matzat selbst zum Gegenstand der Analyse macht in der ästhetischen Transformierung dieser Leidenschaften zu liegen.

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  19. Spitzer, Leo: »Die klassische Dämpfung in Racines Stil«. In: Romanische Stil- und Literaturstudien I. Marburg 1931, S. 135–270.

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  20. Dazu ausführlich: Galle, Roland: Tragödie und Aufklärung. Zum Funktionswandel des Tragischen zwischen Racine und Büchner. Stuttgart 1976.

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  21. In ihrem — immer noch — höchst inspirierenden Buch hat Odette de Mourgues zwischen einem »tragic pattern« und einem »pattern of order« unterschieden. Im »pattern of order« sieht sie »a framework which is necessary to the comfort of the audience« und findet damit eine Formulierung, die der von Hegel nahegelegten Versöhnung im Zuschauer nahekommt, (de Mourgues, Odette: Racine or the Triumph of Relevance. Oxford 1963, S. 121 f.)

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Galle, R. (2001). Racine — oder die Ästhetisierung des Archaischen. In: Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Germanistische Symposien Berichtsbände. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05566-8_3

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